Dieser Haltung wird von Heidegger die vorausspringende Fürsorge gegenübergestellt, die dem Anderen »in seinem existentiellen Seinkönnen vorausspringt, nicht um ihm die Sorge abzunehmen, sondern erst eigentlich als solche zurückzugeben.« (ebd.). Eine solche Fürsorge »verhilft dem Anderen dazu, in seiner Sorge sich durchsichtig und für sie frei zu werden.« Einfach gesagt: sie gewährt ihm einen Freiraum, der ihn dazu befähigt, seine eigentlichen Bedürfnisse wahrzunehmen und dadurch sein Dasein selbst zu bestimmen. Diese Art der Fürsorge ist das Grundprinzip der humanistischen Psychologie nach Carl Rogers (2016), bei der es nicht darauf ankommt, für die Klientinnen und Klienten eine Lösung ihrer Probleme zu finden, sondern ihnen eine Auseinandersetzung mit sich selbst zu ermöglichen, die dann zu Sinnfindung, Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentwicklung führt. In gleicher Weise sollte in einer Pflegebeziehung den Pflegebedürftigen diese Möglichkeit zugestanden werden. Dies ist das Grundprinzip der person-zentrierten Pflege, die sich in ihrem Selbstverständnis aus der humanistischen Psychologie herleitet. Selbstbestimmung kann dabei bei Menschen mit Demenz durch wertschätzenden Umgang, aktives Zuhören, Eingehen auf non-verbale Signale und deren Beteiligung an Entscheidungsfindungen gefördert werden (DNQP 2019, S. 40). Person-zentrierte Pflege ist damit eine Innovation, die den Innovationsbegriff erweitert. Es ist keine Technologie zur Reduktion der Unsicherheit beim Erreichen eines gewünschten Outcomes, vielmehr basiert sie auf einer Haltung, die auf Kontrolle verzichtet und das Risiko auf sich nimmt, eine Beziehung zu einer pflegebedürftigen Person einzugehen, in der dieser die Pflege mitbestimmt, was immer zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen kann.
Eine derartige Fürsorge schließt ein technologisches Machbarkeitsdenken nicht aus, sie lässt sich nur nicht von ihm bestimmen. Einspringende Fürsorge ist bedingt sinnvoll, nämlich da, wo sich Pflegebedürftige nicht selbst versorgen können, weil ihnen die Fähigkeit oder das Wissen hierzu fehlen. Einspringende Fürsorge sollte dabei auch effektive Technologien verwenden und auf externer Evidenz basieren. Sie muss jedoch in eine person-zentrierte Pflege eingebettet sein und durch diese begrenzt werden. Primär geht es darum, interne Evidenz zu gewinnen und das Anliegen der Pflegebedürftigen zu verstehen, erst dann lässt sich externe Evidenz zu Rate ziehen, um die Pflege mit ihnen abzustimmen. Eine derartige Person-Zentrierung ist auch das Anliegen des von McCormack et al. (2013) vorgeschlagenen Konzepts Praxisentwicklung. Folgt man diesem Ansatz, so kann eine Weiterentwicklung der Pflege nicht nur aus einer kritischen Bewertung von Studien zu innovativen Maßnahmen bestehen, die dann im Falle nachweislicher, positiver Effekte in der Praxis implementiert werden sollen. Sie erfordert vor allem eine hermeneutisch-dialogische Kompetenz, um zu verstehen, worum es den Pflegebedürftigen in ihrem Leben und ihrer Behandlung bzw. Betreuung geht. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, ob eine Maßnahme für sie sinnvoll ist oder nicht. Nur eine Weiterentwicklung der Pflege, die sich dieser zweifachen Aufgabe stellt, kann dem Anspruch gerecht werden, welcher der Pflege innewohnt.
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