Nicht weit entfernt entdeckte Jim die Abordnungen der Bellemon und Gobis in ihren Schlammbecken. Misstrauisch funkelten sich die beiden verfeindeten Arten an und tauschten verdeckte Drohgebärden aus.
Beim Betreten der Halle schlug Jim ein unangenehmer Gestank entgegen. Nach dem ersten Atemzug drückte Healy das Gesicht angeekelt in sein Fell. »Es liegt etwas Bedrohliches in der Luft«, hörte Jim die gedämpfte Stimme seines Partners. »Die Stinker können ihre Aufregung kaum verbergen.«
»Jeder spricht auf seine Art«, sagte Jim und hielt sich ebenfalls die Nase zu.
Der Schlag eines Gongs hallte durch die Kuppel. Der durchdringende Ton wurde von einer Reihe von Lichtsignalen und chemischen Botenstoffen begleitet. Sie alle forderten auf ihre spezielle Art nach Aufmerksamkeit. Die Aktivitäten der Ratsmitglieder verebbten. Alle Sinnesorgane wandten sich der zentralen Plattform des Sprechers zu.
Die schwarze Gestalt von Ratssprecher Bol erschien. Scharfe Klauen an vier stämmigen Gliedmaßen schabten über den Boden. Ähnlich einem Gorilla stapfte er aus einer dunklen Nische in das gedämpfte Licht seiner Plattform. Eine metallene Maske auf dem Gesicht des Ratssprechers schützte seine empfindlichen Augen vor der Helligkeit.
Ein Punkt auf Bols Stirn begann zu flackern. Die automatischen Übersetzer der jeweiligen Spezies nahmen ihre Arbeit auf. Aus einem verborgenen Lautsprecher an Jims Plattform drang eine emotionslose Stimme. »Ich grüße euch, Repräsentanten der Völker des letzten Planeten.« Bol wartete, bis seine Begrüßung in alle Formen der Kommunikation übersetzt worden war. »Ich habe euch zusammengerufen, weil es etwas gibt, das uns alle angeht.«
Eine angespannte Stille legte sich über die Halle. Die Glaskuppel hinter Bol wurde intransparent und zeigte eine Ansicht des Planeten. »Unsere Satelliten haben vor wenigen Tagen Folgendes aufgezeichnet.« Er hob seinen behaarten Arm und zeigte mit einer der langen Krallen auf den Bildschirm.
Der Hintergrund wurde schwarz. Ein blasser Punkt schob sich aus der Tiefe des Weltraums auf die Anwesenden zu und wurde zunehmend größer. Ein vielstimmiges Raunen, begleitet von unangenehmen Gerüchen, zog sich durch den Saal. Eine der Spezies links unterhalb von Jim holte tief Luft und trompete die Befürchtung der Anwesenden hinaus. »Ein schwarzes Loch!«
Bols Stirn fing erneut an zu blitzen. »Diesbezüglich kann ich euch beruhigen. Es handelt sich definitiv nicht um ein schwarzes Loch«, tönten seine Worte in allen Sprachen und Tonlagen aus den Übersetzern. »Unsere Aufklärung hat die Struktur eindeutig als ein Raumschiff identifiziert. Und es ist hierher unterwegs.«
Zusammen mit 326 anderen Spezies hielt Jim den Atem an.
»Wir müssen es zerstören!«, hallten die ersten spontanen Ausrufe von den Rängen herab. Gleichzeitig begann sich ein unerträglicher Gestank auszubreiten. Jim brauchte keinen Übersetzer, um die Bedeutung der chemischen Botenstoffe seiner Nachbarn zu verstehen. Sogar die Männchen am Körper der Bellemon schwangen aggressiv ihre Tentakel.
Bol tippte mit der Klauenspitze auf einen verborgenen Schalter. Erneut mahnte der Gong die Anwesenden zur Ruhe. »Ich kann eure Aufregung verstehen. Ich teile eure Sorge um das Gleichgewicht unserer Gesellschaft. Die Ankunft des letzten Flüchtlingsschiffes ist mehr als 800 Millionen Jahre her. Seitdem leben wir in Frieden.«
Abgesehen von gelegentlichen Streitereien , dachte Jim und strich über seine Glatze.
»Wir werden das Schiff nicht zerstören, es wird eine andere Lösung geben!«, sagte Bol eindringlich. Das Leuchten auf seiner Stirn war mit einem matten Rot hinterlegt.
Empörung verbreitete sich auf den Rängen der Halle. »Wir werden keinen Quadratmeter Sumpf abtreten«, hörte Jim das Gluckern der Gobis aus dem Wirrwarr heraus. Die Vertreterin der Bellemon stimmte der Äußerung ihrer Rivalen mit einem lauten Klappern ihres Schnabels zu.
Healy rollte sich aus und ließ sich locker über Jims Schulter hängen. »Der Planet ist aufgeteilt. Alle bekannten Spezies sind hier versammelt. Niemand wird bereit sein, Platz zu machen«, flüsterte er dem Menschen ins Ohr. Jim nickte dem Wollon zu.
Ein erneuter Schlag des Gongs brachte die Menge zum Schweigen. »Wir haben die Bauweise des Schiffes analysiert.« Bol ließ eine bedeutungsschwangere Pause folgen. »Mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent handelt es sich um Menschen.«
Ein tosender Sturm brach über Jim herein. »Menschen!«, flutete es in allen Klängen, Formen, Farben und Gerüchen durch die Halle der Zivilisationen. Mehrfach wurde der Gong geschlagen, um die Völker zur Ruhe zu bringen. Erst als Ratssprecher Bol sein Maul aufriss und die Reihen seiner neonweißen Zähne zeigte, verebbte das vielstimmige Gezeter.
»Ich möchte alle Anwesenden daran erinnern, dass jede Spezies, ungeachtet ihrer Herkunft oder Vergangenheit, auf diesem Planeten willkommen ist. Für jede wurde ein Platz vorgesehen. Das gilt auch für die Menschen!«, dröhnte es aus den Übersetzern.
»Aber wir haben doch bereits mehr als genug von ihnen!«, rief jemand in die entstandene Pause hinein. Unzählige Augen, Fühler und Nasen richteten sich auf Jim. »Die Menschen sind wie ein Krebsgeschwür. Sie werden das Gleichgewicht mit Füßen treten«, durchzog ein empörter Kommentar die Halle.
Reglos stand Jim auf seiner Plattform und bat mit erhobener Hand, um das Recht zu sprechen. Bols Stirn blinkte auf »Die Menschheit hat das Wort.«
Jim trat an den Rand der Plattform.
»Versuche, nicht wieder gefressen zu werden«, flüsterte Healy ihm zu.
Jim räusperte sich. »Ruhe«, zischte er seinem Partner zu. Nachdem er tief Luft geholt hatte, begann Jim zu sprechen. »Als offizieller Vertreter der Menschheit möchte ich für die Taten der Vergangenheit um Vergebung bitten. Im falschen Glauben an die eigene Überlegenheit brachte die Menschheit unaussprechliches Leid über die Völker der lokalen Gruppe. Aber ich stehe heute vor ihnen als ein Wächter des Friedens. Als jemand, der jeden Tag seinen Körper riskiert, um das Gleichgewicht zu erhalten.« Jim machte eine Pause. Er fühlte, wie hunderte misstrauische Blicke auf ihm ruhten.
»Wir können uns einfügen!«, rief er in die Halle hinein. »Die Menschheit wird das Gleichgewicht akzeptieren und sich seinen Regeln unterwerfen.«
Die Vertreterin der Bellemon schob sich an den Rand ihres Schlammbeckens und streckte zwei ihrer Tentakel ins Jims Richtung aus. Anklagend zeigten ihre gebogenen Krallen auf ihn. »Sie haben uns einst fast ausgerottet«, dröhnte ihre tiefe Stimme aus dem verborgenen Schnabel. »In ihrer grenzenlosen Arroganz bezeichneten sie uns als Monster. Wo sie uns fanden, jagten sie uns und machten Trophäen aus unseren Körpern.«
Das war vor mehr als achtzig Billionen Jahren!«, entgegnete Jim auf die Anklage.
»Ganz schlechte Antwort«, hörte er Healy piepsen.
Die Bellemon stemmte sich auf ihren Tentakeln in die Höhe. »Und was geschah vor zwei Tagen, als der Mensch eine schutzlose Mutter zusammen mit einer Horde Gobis angriff?«
»Das ist eine Falle«, meldete sich Healy erneut.
Jim ignorierte die Anmerkung des Wollon. »Sie war in fremdes Gebiet eingedrungen und störte das Gleichgewicht!«, verteidigte er sich empört.
»Hört ihr das?«, richtete sich die Bellemon an die übrigen Repräsentanten. »Er streitet den Angriff nicht einmal ab! Anstatt Neutralität zu bewahren, verbündete er sich mit den Gobis und attackierte eine verirrte Mutter mit ihren Kindern.« Sie wandte sich wieder an Jim. »Haben dich die hübschen goldenen Flossen dieser Sumpfspringer betört, Mensch? War es ihr rotes Blut? Oder erinnerten dich ihre Hände an deine eigenen?« Die Männchen auf ihrer grauen Haut wedelten angriffslustig mit den Tentakeln. »Wolltest du sie vor dem Monster beschützen?«
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