Healy lag zusammengerollt auf dem Sofa und schaute mit seinen schwarzen Augen nach draußen. »Hallo Jim, wie geht es dir?«, fragte er mit heller Stimme.
»Wie neu geboren«, antwortete ihm Jim zynisch. Er schlurfte zur Küche und holte sich ein Glas Wasser. »Könntest du mich das nächste Mal etwas früher warnen?« Er ging zum Sofa und setzte sich neben den Wollon.
»Wieso? Lief doch super.« Healy streckte sich aus und robbte zu Jim. Der Wollon zog sich an Jims Bein hoch. Fordernd legte er sein flauschiges Kopfende in den Schoß des Menschen. Mit routinierten Handbewegungen begann Jim, ihm das Fell zu kraulen.
»Naja, mein letzter Körper wird gerade von einer Bellemon verdaut.« Jims Blick schweifte über die weite Ebene. Am Horizont erstreckten sich die ersten Ausläufer der Regenzone. »Wie hast du das eigentlich ganz alleine geschafft?«
Healy hob den Kopf und blinzelte Jim mit den großen runden Augen an. »Du kennst doch meinen Charme.«
»Allerdings.« Jim schmunzelte. »Deswegen wundere ich mich ja, dass sie dich nicht zum Nachtisch verspeist haben.«
»Ich hatte den Vorteil, dass sie bereits satt waren«, entgegnete der Wollon.
In diesem Moment blinkte ein rotes Symbol in der Mitte der Fensterscheibe auf. »Ein Anruf des Rates?«, wunderte sich Jim. »Anruf annehmen.« Die Scheibe wurde auf einer Länge von drei Metern undurchsichtig und verdeckte die Sonne.
Das Bild war pechschwarz. Ein weißes Licht blitzte auf und ließ für den Bruchteil einer Sekunde die Kontur eines pelzigen Wesens sichtbar werden. Jim erwiderte die Begrüßung, noch bevor der automatische Übersetzer die Arbeit aufnahm. »Ratssprecher Bol, es ist mir wie immer eine Ehre, mit Ihnen zu sprechen. Was ist der Grund Ihres Anrufs?«
Eine Folge farbiger Lichter zuckte über den dunklen Bildschirm. Es dauerte eine Weile, bis der Übersetzer die komplexen Signale interpretiert hatte: »Ich habe von den Komplikationen während Ihrer letzten Mission gehört und wollte mich bei Ihnen persönlich für Ihren Einsatz zur Erhaltung des Gleichgewichts bedanken.«
»Keine Ursache. Ich hoffe bloß, dass ich einer gewissen Bellemon kräftige Bauchschmerzen verursache.«
Ratssprecher Bol zeigte als Zeichen der Zustimmung eine Reihe neonweißer Reißzähne.
»Aber das wird doch bestimmt nicht der einzige Grund für Ihren Anruf sein. Gibt es Neuigkeiten vom Rat?«
»Sie haben Recht, Mensch«, flackerte seine Antwort über den Bildschirm. »Es gibt ein Problem. Es wurde eine Sondersitzung der Repräsentanten aller intelligenten Spezies der Stufe 4 angesetzt. Als einziger Vertreter der Menschheit wird Ihre Anwesenheit in der Halle der Zivilisationen erbeten.«
Jim wunderte sich über die laxe Übersetzung der letzten Impulsfolge von Bols Antwort. Die Farbnuance des Lichtes war alles andere als eine Bitte. Sie entsprach viel mehr einer höflichen, aber doch dringenden Forderung. Er setzte sich aufrecht hin und ignorierte Healys protestierendes Mauzen. »Die letzte Vollversammlung ist über eintausend Jahre her. Was ist passiert?«
»Das ist vertraulich«, blinkte Bol und ließ zum Abschied seine zwei langen Eckzähne aufblitzen. Jim erwiderte die Geste, indem er kurz die Oberlippe anhob. Die Verbindung unterbrach und das Fenster wurde wieder durchsichtig. Nachdenklich rieb sich Jim über die glatte Haut seines Kinns.
»Hast du gesehen, wie für einen Moment seine Barthaare flatterten, als er am Ende seine Zähne zeigte?«, fragte ihn Healy. »Der Ratssprecher muss sehr nervös sein.«
»Ich habe bereits ein Fahrzeug geordert«, meldete sich Rubys Stimme aus dem Hintergrund. »Willst du sofort starten?«
»Ja.« Jim stand auf und zog den losen Mantel enger um seine Hüfte. Barfuß ging er zur Fensterfront und öffnete die transparente Tür zur Terrasse. Healy sprang auf seine Schulter hoch. »Die Versammlung ist nur für die offiziellen Repräsentanten einer Spezies. Ich glaube, du musst hier bleiben.«
Healy protestierte piepsend. »Wir Wollon haben keine Geheimnisse voreinander!«
»Ja«, meinte Jim zustimmend. »Ihr seid ja nicht umsonst als die geschwätzigste Spezies der gesamten lokalen Gruppe bekannt.«
Healy verzog schmollend den kleinen Mund. »Soll ich dich daran erinnern, wofür Menschen im Allgemeinen bekannt sind?«
Jim wandte sich ab und sah, wie auf der Terrasse ein automatischer Gleiter zwischen den Pflanzen landete. »Jetzt nicht«, wiegelte er das unangenehme Thema ab und ging nach draußen. Die Tür des Fluggerätes schwang vor ihm auf und gab die Sicht auf zwei Schalensitze frei. Wenigstens hatten sie diesmal eines der Modelle geschickt, die für seine Anatomie geeignet waren. Mit Schrecken dachte er an einen Flug von vor zwei Wochen zurück. Eine gefühlte Ewigkeit hatte er in einem Gleiter, angefüllt mit knietiefem Schlamm, ausgeharrt.
Nachdem Jim sich hingesetzt hatte, kroch Healy von der Schulter und rollte sich in seinem Schoß zusammen. Fast lautlos sprangen die Turbinen an und das wendige Flugzeug erhob sich in die Dämmerung. Auf einer Seite den feurigen Ball der Sonne, auf der anderen die ewige Nacht.
Die Beschleunigung drückte Jim in den Sitz. Mit hoher Geschwindigkeit folgten sie dem Streifen des Zwielichts nach Norden. Sie erreichten die Ufer des Ozeans. Schwimmende Inseln aus abgestorbenen Pflanzen und Baumstämmen trieben mit der Oberflächenströmung in die Dunkelheit. Der beständige Fluss transportierte sie weit in die Dunkelzone hinein. Bis hin zu den Gletschern, an deren Abbruchkante sich das warme Wasser mit dem Eis vermischte. In einem ewigen Kreislauf sank es zu Boden und kehrte mit den kühlen Unterwasserströmungen in das Licht zurück. Eine natürliche Wärmepumpe, ohne die sich der Planet längst in endlose Wüsten und ewige Eisfelder unterteilt hätte.
Nach etwa einer halben Stunde kam die Küste in Sicht. Hinter einer hoch aufragenden Steilwand erstreckte sich das Plateau mit dem Palast des Rates. Das langgezogene Gebäude erstreckte sich mehrere Kilometer quer über die Dämmerungszone und spiegelte die Extreme des Planeten wieder. Während ein Ende golden in der Sonne glänzte, verlor sich das andere in der Dunkelheit der Nacht. In seiner Mitte erhob sich die imposante Glaskuppel der Halle der Zivilisationen.
Der Gleiter landete auf einer Plattform vor dem Zentrum. Jim öffnete die Tür und stieg aus. Vor ihm glitt eine metallisch glänzende Halbkugel über den Boden. Direkt vor seinen Füßen blieb sie stehen.
»Spezies Mensch, bitte um Bestätigung und Identifizierung«, schnarrte eine mechanische Stimme.
»Bestätige Spezies Mensch. Der einzige auf dem ganzen Planeten.«
Der Roboter drehte sich um seine eigene Achse und rollte voran. »Bitte folgen Sie mir, Ratsmitglied Jim!«
Jim ging mit Healy auf dem Arm dem Roboter hinterher. Vor ihnen ragte die transparente Wand der Halle in die Höhe. Vom Fuß der Kuppel aus starteten in schneller Folge Transportkapseln und glitten über die Außenwand nach oben. Unermüdlich brachten sie die Repräsentanten der anderen Völker zu ihren jeweiligen Kabinen am Rand der Versammlungshalle.
Jim und Healy folgten ihrem Führer in eine der Gondeln. Der kleine Roboter rollte zu einer Eingabefläche und ließ seine schnarrende Stimme hören. Ein Ruck ging durch den Boden und die Kapsel beschleunigte. Bereits nach wenigen Sekunden Fahrt bremste sie wieder ab und erreichte den Ratssitz der Menschen. Von einer hüfthohen Brüstung umgeben, ragte die halbrunde Plattform in die Halle hinein. Die erhöhte Position erlaubte einen weitläufigen Rundumblick auf die anderen Ratsmitglieder.
Gemäß ihrer Lebensbedingungen befand sich der Platz der Menschheit zwischen der Tag- und Nachtseite. Alle 327 Völker des Planeten hatten sich zusammengefunden. Am äußersten Ende der Halle saßen die echsenartigen Bewohner der Kernwüste unter grellen Wärmelampen. Lautstark beschwerten sie sich über zu niedrige Temperaturen. Am gegenüberliegenden Ende, in fast völliger Dunkelheit, verharrte die Spezies der Dunkelzone. Regungslos standen sie vor den Aggregaten ihrer Klimageräte und genossen den eiskalten Luftstrom.
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