»Fang bitte nicht schon wieder damit an!«
Healy rollte sich verschreckt zusammen und blinzelte durch die Fransen seines Fells aus der Kugel hervor. »Deine Ignoranz ändert nichts daran.«
Vor ihnen schälten sich die Umrisse einer ineinander verkeilten Baumgruppe aus der trüben Nebelwand. »Wie konnte sich überhaupt aus elefantengroßen Sumpfkraken eine Spezies der Stufe 4 entwickeln?«, grübelte Jim.
»Das frage ich mich bei euch ehemaligen Baumaffen auch immer«, fügte Healy hinzu.
Jims Mundwinkel zuckte zu einem spöttischen Grinsen nach oben. »Eben wolltest du noch andeuten, wir seien gar nicht intelligent.«
»Zumindest nicht nach der Definition der Wollon.« Healys Körper zog sich zusammen. Hunderte unter dem dichten braunen Fell verborgene Stummelfüße setzten sich in Bewegung und ließen ihn über Jims Nacken auf die andere Schulter kriechen. »Aber falls es dich beruhigt, die Männchen der Bellemon sind kaum größer als deine Faust. Nur ihre Weibchen können bis zu vier Tonnen schwer werden.«
Jim nickte und schaute weiter geradeaus, den Blick auf die Baumgruppe gerichtet. »Und bis zu hundert Eier auf einmal legen.«
Er blieb stehen und duckte sich hinter einem abgebrochenen Baumstumpf. »Ich glaube, zwischen den Stämmen bewegt sich was.«
Healy rollte sich ängstlich zu einem Ball zusammen und verbarg seine schwarzen Knopfaugen. Bibbernd drückte er sein nasses Fell gegen Jims Hals. Geduckt watete Jim durch den Schlamm auf die abgestorbenen Bäume zu. Als sie sich ihnen bis auf zehn Meter genähert hatten, konnten sie erkennen, woher die Bewegungen rührten. Das morsche Holz war übersät mit melonengroßen Eierkapseln. In dichten Trauben klebten die durchsichtigen Säcke an den Stämmen. In ihnen wand und zuckte ein Gewirr von Tentakeln und Saugnäpfen.
Jim sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Der Bellemon macht keine halben Sachen. Sollten die Eier schlüpfen, wäre es das Aus für die Gobis.«
»Es heißt DIE Bellemon. Sie ist ein Weibchen«, drang Healys gedämpfte Stimme aus dem Pelzball auf Jims Schulter.
»Healy! Du neunmalkluge…«
»Unterstehe dich!«, piepste der Wollon empört.
»… fette…«
»Wehe!« Healy rollte sich aus und blickte Jim mit seinen großen Augen an.
»… haarige Raupe.«
Der Wollon kniff den winzigen Mund zusammen und sträubte das Fell. »Nackter Affe«, warf er Jim entgegen. Eingeschnappt rollte er sich ein.
Hinter Jim glitt etwas durch das Wasser. »Schluss jetzt!«, zischte er Healy zu und drehte sich um. Eine Spur aufsteigender Luftblasen zog sich durch den vom ständigen Regen aufgewühlten Sumpf. »Ich glaube, sie ist hier«, stellte Jim in trockenem Ton fest und legte die Hand auf den Schocker.
Ein grauer Körper zerteilte die Wasseroberfläche und schnitt ihm den Rückweg ab. Auf baumdicken Tentakeln drückte sich der Koloss aus dem Schlamm in die Höhe. Erst drei Meter über der Wasseroberfläche verharrte die Gestalt auf ihren muskulösen Stützen. Die tellergroßen Augen sahen von oben auf Jim herab. Dutzende kleiner Kraken, hatten sich an der Haut der Bellemon festgesaugt und ließen ihre Greifarme schlaff herunterhängen. An der Unterseite des gewaltigen Rumpfes – versteckt zwischen den Tentakeln – schnappten die messerscharfen Knochenplatten eines Schnabels bedrohlich zusammen.
Eines der langen Gliedmaßen schlängelte sich auf Jim zu und hob sich direkt vor ihm aus dem Wasser. Das Tentakel lief in einer gebogenen Klaue aus. Wankend hielt sich diese vor dem Gesicht des Menschen in der Luft.
Jim verbarg seine Aufregung hinter einer starren Maske aus Gleichgültigkeit. Ungerührt erwiderte er den Blick der Bellemon. Die Spitze der Kralle bewegte sich auf seine Brust zu und tippte gegen die Jacke. Der Stoß zwang Jim einen Schritt nach hinten.
»Was willst du, Einsamer?«, dröhnte eine tiefe Stimme zwischen den Tentakeln hervor. »Bringst du uns Futter?«
Jim bemerkte ein vielstimmiges Klicken, gleich einem gehässigen Kichern. Es kam aus den Schnäbeln der an dem Weibchen festgesaugten Männchen.
»Alien-Witze, das fehlt mir gerade noch«, meinte Jim zu sich selbst.
Healy lugte mit einem Auge unter dem Fell hervor. »Die Männchen sind in Symbiose mit dem Nervensystem des Weibchens verbunden. Genau genommen hat sie gerade selbst über ihren Scherz gelacht.«
Hast du noch mehr solch hilfreiche Informationen für mich?«, fragte Jim leise mit zusammengekniffenen Lippen. Er versuchte, die scharfe Kralle, die vor seinem Gesicht hin und her pendelte, zu ignorieren.
Jim holte tief Luft. »Laut des Vertrages zur Bewahrung des Gleichgewichts steht dieses Gebiet dem Volk der Gobis zu. Du bist unerlaubt eingedrungen. Bitte verlasse es sofort mitsamt deiner Eier!«
Der Körper der Bellemon schüttelte sich. Die Männchen auf ihrer Haut streckten angriffslustig ihre Tentakel in Jims Richtung aus. »Der Vertrag ist über zehntausend Jahre alt. Die Bellemon verlangen eine Revision!«, brüllte die dumpfe Stimme zwischen den Knochenplatten des Schnabels hervor.
»Ich war dabei, als er unterzeichnet wurde«, sagte Jim unbeeindruckt. »Im Sinne des ewigen Gleichgewichtes bekamen die Bellemon ein anderes Siedlungsgebiet zugesprochen. Sind sie bereit, dieses an das Volk der Gobis im Tausch zu übergeben?«
Die Bellemon blähte ihren Körper auf und schlug mit den Tentakeln auf das Wasser. Ein Schwall aus Schlamm spritzte an Jim hoch und besudelte seine Jacke. »Ich glaube, du hast sie verärgert«, meinte Healy, der sich hinter Jims Kopf versteckt hatte.
»Mensch!«, brüllte die Stimme der Bellemon. Zwei weitere Tentakel schossen vor Jim aus dem Wasser und richteten ihre Klauen auf Jim. »Die Gobis sind eine erbärmliche Spezies. Sie taugen kaum als Futter für unsere Jungen. Wir werden unseren Anspruch auf keines der Gebiete zurückziehen!«
Jim legte die Hand auf den Schocker an seinem Gürtel. »Ich bin vom Rat der Zivilisationen dazu autorisiert, jedes erforderliche Mittel anzuwenden, um das Gleichgewicht zu bewahren.«
Eines der Tentakel zeigte auf Jims Waffe. »Damit willst du mir drohen?« Die Bellemon schüttelte sich. Ihre Männchen brachen in schrilles Gelächter aus. Willst du damit einen meiner Gatten kitzeln?«
Jim hörte, wie hinter ihm etwas zerriss. Mehrere Objekte schlugen klatschend ins Wasser.
»Meine Kinder!«, fuhr ein markerschütternder Schrei aus dem Schnabel der Bellemon. Zu Dutzenden stimmten die kreischenden Stimmen ihrer symbiotischen Männchen mit ein. Der gewaltige Körper warf sich nach vorne und schlug auf das Wasser. Die Tentakel tauchten unter und schossen auf Jim zu. Eines der muskulösen Gliedmaßen wickelte sich um seine Hüfte, hob ihn in die Luft und schleuderte ihn achtlos zur Seite. Noch während Jim durch die Luft wirbelte, zogen sich Healys Muskeln zusammen und stießen den Wollon von Jims Schulter ab.
Während der Friedenswächter in den Schlamm klatschte, landete Healy behände auf einem der schief stehenden Bäume. Jim sprang aus dem Morast auf und zog den Schocker. Entsetzt blieben seine Augen an den Gelegen der Bellemon hängen. Mehr als ein Dutzend Gobis schwamm zwischen den vermoderten Baumstämmen umher. Wie im Rausch gingen sie mit ihren Messern und Speeren auf die Eier los. Erbarmungslos schlitzen sie die transparenten Hüllen auf und erstachen die ungeschlüpften Jungen.
Die Mutter der Bellemon zog sich mit ihren Tentakeln vorwärts durch den Schlamm. Krachend durchbrach ihr Körper einen querliegenden Baumstamm. Die Gobis stoben nach allen Seiten auseinander. Wo sie konnten, setzten sie ihr grausames Werk fort. Die kreischende Bellemon streckte ihre Greifarme nach einem der goldbeschuppten Körper aus. Ihre Krallen verhakten sich in den Schuppen. Zwei weitere Tentakel wickelten sich um den zappelnden Leib. Wütend hob sie den Gobi aus dem Wasser und riss ihn, begleitet von einem infernalischen Schrei, auseinander.
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