George Effinger - Das Ende der Schwere

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Marîd Audran ist Privatdetektiv im Bordellbezirk einer nordafrikanischen Stadt im 21. Jahrhundert. Die Elektronik hat die Künste der Liebesdienerinnen perfektioniert. Ob man mit Madame Bovary, einer weltbekannten Schönheit oder einer perfekten Kunstkreatur aus den Studios für Persönlichkeitsdesign bumsen will — Schädelimplantate machen's möglich. Das entsprechende Moddy in die Schläfenbuchse gesteckt, und schon werden Charakteristika direkt ins Gehirn gespielt. Die Illusion ist total.
Doch es gibt auch Schwarzmarkt-Moddys von Jack the Ripper und anderen einschlägigen Künstlern. Und die machen Marîd Audran das Leben schwer, denn sie sind ihm mit ihren implantierten Fähigkeiten immer einen Schritt voraus. Als eine gute Freundin von ihm auf bestialische Weise ermordet wird, entschließt er sich doch, sein Gehirn durch ein Interface aufmotzen zu lassen. Die daraus erwachsenden Möglichkeiten sind zwar phänomenal, aber der Preis ist hoch: es wird immer schwieriger, sich ein Bild von der eigenen Persönlichkeit zu machen, die einem mehr und mehr entgleitet, wenn einem fremde Erinnerungen durch den Kopf gehen und ein Gefühl der Besessenheit um sich greift.

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George Alec Effinger

Das Ende der Schwere

… Er muß der beste Mensch auf der Welt sein und ein Mensch, der gut genug ist für jede Welt …

Er ist ein einsamer Mensch, und sein Stolz ist, daß Sie seinen Stolz respektieren, sonst würde es Ihnen bald sehr leid tun, ihn kennengelernt zu haben. Er redet, wie ein Mann seines Alters redet — das heißt, mit rauhem Witz, mit lebhaftem Sinn fürs Groteske, mit Abscheu vor Heuchelei und Verachtung für alles Kleinliche.

Raymond Chandler Die simple Kunst des Mordes

When you're lost in the rain in Juarez and it's Eastertime too
And your gravity fails and negativity don't pull you through
Don't put on any airs when you're down on Rue Morgue Avenue
They got some hungry women there and they really make a mess out of you.

Bob Dylan Just Like Tom Thumb's Blues

Dieses Buch ist dem Gedenken an Amber gewidmet.

»Und es gibt Menschen, denen wurden keine Denkmale errichtet.«

1. Kapitel

Chirigas Nachtclub lag zentral, mitten im Budayin, acht Straßen vom Osttor und acht Straßen vom Friedhof entfernt. Gerade die Nähe des Friedhofs kam oft gelegen. Der Budayin war ein gefährlicher Ort, das wußte jeder. Deshalb auch die Mauer, die den Budayin auf drei Seiten umgab. Touristen wurden vor dem Budayin gewarnt, aber sie kamen trotzdem. Sie hatten ihr ganzes Leben lang Geschichten darüber gehört, und sie würden lieber tot umfallen, als heimzukehren, ohne den Budayin gesehen zu haben. Die meisten Touristen kamen durch das Osttor und gingen neugierig die Promenade hinauf. Nach zwei oder drei Blocks begannen sie nervös zu werden und suchten sich einen Platz, wo sie sich hinsetzen, etwas trinken und ihre Tabletten nehmen konnten. Danach versuchten sie in der Regel, den Budayin so schnell wie möglich auf demselben Weg zu verlassen, auf den sie ihn betreten hatten, und schätzten sich glücklich, wenn sie wieder im Hotel angekommen waren. Ein paar weniger Glückliche blieben auf dem Friedhof zurück. Wie gesagt, der Friedhof lag ideal, das sparte uns Zeit und Ärger.

Ich betrat Chiris Lokal, froh darüber, die heiße, stickige Nacht hinter mir zu lassen. Am Tisch neben der Tür saßen zwei Frauen, Touristinnen mittleren Alters, mit Einkaufstaschen voller Souvenirs und Geschenke für die Daheimgebliebenen. Die eine hatte eine Kamera und machte damit Hologramm-Schnappschüsse von den Leuten im Nachtclub. Gewöhnlich mögen das die Stammgäste ganz und gar nicht, aber sie nahmen keine Notiz von diesen Touristinnen. Ein Mann hätte diese Fotos nicht schießen können, ohne dafür zu bezahlen. Alle ignorierten die zwei Frauen, nur ein großer, sehr hagerer Mann nicht, der einen dunklen europäischen Anzug und eine Krawatte trug. Diese Aufmachung war mit die aufsehenerregendste, die ich diese Nacht gesehen hatte. Ich fragte mich, was wohl seine Nummer wäre, und wartete deshalb einen Moment an der Bar, um zu lauschen.

»Ich heiße Bond«, sagte der Kerl. »James Bond.« Als ob daran jemand gezweifelt hätte.

Die zwei Frauen bekamen es anscheinend mit der Angst zu tun. »Oh, mein Gott«, flüsterte die eine.

Ich war jetzt dran. Ich ging von hinten auf den Moddy zu und packte ihn am Handgelenk. Ich legte meinen Daumen auf seinen Daumennagel und drückte ihn gegen seine Handfläche. Er schrie vor Schmerz auf. »Folgen Sie mir, Null-Null-Sieben, alter Haudegen«, brummte ich ihm ins Ohr, »klären wir das woanders.« Ich brachte ihn zur Tür und verfrachtete ihn in die schwüle, nach Regen riechende Nacht.

Die zwei Frauen blickten mich an, als wäre ich der Messias, der ihnen gerade die Bestätigung für ihre Erlösung in zwei versiegelten Umschlägen überbringt. »Dankeschön«, sagte die eine mit der Kamera. Sie sprach Französisch. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich kann Ihnen nur meinen Dank aussprechen.«

»Nichts zu danken«, sagte ich. »Ich mag es nicht, wenn diese Leute mit ihrem einsteckbaren Persönlichkeitsmodul sich nicht darauf beschränken, nur andere Moddys zu belästigen.«

Die andere Frau sah verwirrt drein. »Ein Moddy, junger Mann?« Als ob es sowas dort, wo sie herkam, nicht gäbe.

»Ja. Er trägt ein James-Bond-Modul. Glaubt, er sei James Bond. Er führt sich die ganze Nacht so auf, bis ihn sich jemand schnappt und ihm das Moddy aus dem Kopf prügelt. Und genau das verdient er. Nur Allah weiß, was er zusätzlich noch an Daddys einstecken hat.« Sie sah mich wieder fragend an, und so fuhr ich fort. »Daddy ist hier der geläufige Ausdruck für ein Add-on, ein Chip, mit dem man sich noch weiter aufmotzen kann. Mit so einem Daddy schiebt man sich Spezialfertigkeiten rein. Wenn Sie sich zum Beispiel einen Schwedisch-Daddy reinschieben, können Sie solange Schwedisch, solange Sie das Ding drin lassen. Geschäftsleute, Anwälte und andere Beutelschneider benutzen Daddys.«

Die zwei Frauen sahen mich an, als seien sie sich noch immer nicht ganz klar darüber, ob sie mir glauben sollten. »Sie stecken sich das direkt ins Gehirn?« sagte die zweite Frau. »Das ist ja schrecklich.«

»Wo kommen Sie her?« fragte ich sie.

Sie sahen einander an. »Volksrepublik Lothringen«, sagte die eine.

Damit war alles klar: Sie hatten wohl noch nie einen Moddy-getriebenen Idioten gesehen. »Wenn Sie von mir einen Rat annehmen wollen, meine Damen«, sagte ich, »ich bin mir ziemlich sicher, Sie sind hier in der falschen Gegend. Und auf alle Fälle in der falschen Bar.«

»Danke schön«, sagte die zweite Frau. Sie fuchtelten aufgeregt und kreischten, rafften ihre Pakete und Taschen zusammen, ließen ihre halbvollen Gläser stehen und liefen, so schnell sie konnten, zur Tür. Hoffentlich kamen sie heil aus dem Budayin raus.

Chiri arbeitete diese Nacht allein hinter der Bar. Ich mochte sie; wir waren alte Freunde. Sie war eine große, eindrucksvolle Frau mit den geometrischen Tätowierungen auf ihrer schwarzen Haut, die aussahen wie die aufgeworfenen Narben ihrer Urahnen. Wenn sie lächelte — was nicht oft der Fall war —, blitzten ihre Zähne beunruhigend weiß; beunruhigend deshalb, weil ihre Eckzähne spitz zugeschliffen waren. Ein Kannibalenbrauch, wissen Sie. Betrat jemand den Club, den sie nicht kannte, blickten ihre Augen scharf und schwarz, bar jeden Interesses wie zwei Einschußlöcher in der Wand. Wenn sie jedoch mich sah, begrüßte sie mich mit diesem breiten Lächeln. »Jambo!« rief sie. Ich beugte mich über die schmale Bar und küßte sie auf die tätowierte Wange.

»Was gibt's, Chiri?« sagte ich.

»Njema«, sagte sie in Swahili, aus freundlicher Gewohnheit. Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, überhaupt nichts, immer derselbe langweilige Job.«

Ich nickte. In der Straße änderte sich nicht viel, außer den Gesichtern. Im Club waren zwölf Kunden und sechs Mädchen. Ich kannte vier der Mädchen, die anderen zwei waren neu. Vielleicht blieben sie jahrelang in der Straße wie Chiri, vielleicht hielten sie's nicht aus. »Wer ist das?« erkundigte ich mich nach dem neuen Mädchen auf der Bühne.

»Sie läßt sich Pualani nennen. Gefällt dir das? Heißt soviel wie ›Himmlische Blume‹, sagt sie. Ich weiß nicht, woher sie kommt. Sie ist übrigens echt.«

Ich hob die Augenbrauen. »Jetzt hast du also jemand, mit dem du sprechen kannst.«

Chiri verzog das Gesicht. »O ja«, sagte sie. »Versuche nur mal, mit ihr zu reden. Du wirst schon sehen.«

»Ist es so schlimm?«

»Du wirst schon sehen. Du kannst gar nicht anders. Na, bist du jetzt gekommen, um mir die Zeit zu stehlen, oder bestellst du auch etwas?«

Ich sah auf die Digitaluhr, die an der Registrierkasse hinter der Bar blinkte. »Ich bin mit jemand in einer halben Stunde verabredet.«

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