Das Kraftfeld am Eingang des Raumes blitzte auf und brach in sich zusammen. Wie eine Flut ergossen sich die kalten Gase der Außenwelt über die Wiese und ließen sie erstarren. Bevor die Welle über Luca hinweg rollte, zog sie sich hastig das flexible Material ihres Helms über den Kopf. Durch die beschlagene Sichtscheibe sah sie, wie das letzte Pulsieren in Phagos Kristall erlosch. Unter ihren Händen erstarrten die Blumen zu Eis.
Gewonnen, … aber zu welchem Preis , dachte Luca beim Anblick der sterbenden Pflanzen.
Zögernd erhob sie sich und sah sich um. Von der einstigen Schönheit war nichts geblieben. Dieser Raum war so tot wie jeder andere Ort auf ihrer sterbenden Heimatwelt. Achtlos warf sie die Sprengladung beiseite und ging auf den Ausgang zu. Knisternd zersplitterten die gefrorenen Grashalme unter ihren Füßen. Wie betäubt verließ sie die Zentrale und ging an den glühenden Überresten des Vantas vorbei. Ohne hinzusehen, passierte sie den zerrissenen Schutzanzug mit Marcs ausgekühlter Leiche. Auf dem Weg nach draußen drängte sie sich durch die in der Bewegung erstarrten Kampfmaschinen und erreichte schließlich das offene Schott des Haupttores. Lucas leerer Blick wanderte über das brennende Schlachtfeld.
Waffen feuerten in den grauen Himmel. Soldaten tanzten um die bewegungslosen Statuen der Roboter. Ein Jubelsturm brandete über Funk auf sie ein. Das Signal der Kommandofrequenz drängte die Stimmen in den Hintergrund. Die feierliche Stimme von General Hare ertönte in ihrem Ohr.
»Sie haben es geschafft, Luca. Wir sind gerettet!«
»Nein, ich…«, wollte Luca widersprechen, aber der aufbrausende Jubel spülte ihre Worte hinweg. Sie wollte ihnen erklären, dass die überlegene KI nur durch einen Zufall zerstört wurde. Am liebsten hätte sie den Namen jedes einzelnen ihrer toten Kameraden herausgeschrien, aber niemand war bereit, ihr zuzuhören.
***
Zwei Wochen später …
Die Beschleunigung drückte Luca in den Sitz. Heftige Vibrationen liefen durch die Hülle des Raumschiffes, als es die dichte Wolkendecke aus kondensiertem Stickstoff durchbrach. Die Rakete schwenkte in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. Der Beschleunigungsdruck wich der Schwerelosigkeit. Luca löste ihren Gurt und schwebte zu einem der großen Panoramabildschirme hinüber. Ihr neuer Kampfanzug schimmerte in einem metallischen Blau. Im Notfall konnte er sie sogar vor dem Vakuum des Weltraums schützen.
Mit einer Berührung aktivierte Luca den Bildschirm und wählte eine der Außenkameras an. Schweigend sah sie hinab auf die tote Oberfläche ihres Heimatplaneten. Nach dem Abflug des letzten Fluchtschiffs schalteten sich die verbliebenen Systeme aus. Nacheinander erloschen die Lichter und tauchten den Planeten in Dunkelheit.
Die meisten ihrer Kameraden lagen bereits an Bord ihrer Schiffe in den Stasiskammern. Nahe dem absoluten Nullpunkt verharrten ihre eingefrorenen Körper in einem traumlosen Zustand zwischen Leben und Tod. Auf Bitten des Rates flog sie selbst im zivilen Teil der Flotte mit. Nur eine Handvoll Techniker überwachte von ihren Kontrollpulten aus das Ankoppeln der einzelnen Schiffe an das Mutterschiff.
Neben ihr schwebte Ratsvorsitzender Larson an das Display heran und folgte ihren Blicken. Die Sorgen und Nöte des Krieges hatten im Laufe der Jahre tiefe Furchen in seinem schmalen Gesicht hinterlassen. Um seine langen blonden Haare in der Schwerelosigkeit zu bändigen, hatte er sie nach hinten zu einem Zopf zusammen gebunden. Nachdenklich fuhr seine Hand durch den rotblonden Vollbart.
»Wir sollten nach vorne schauen«, sagte er zu Luca und legte ihr seine gewichtslose Hand auf die Schulter.
Luca presste die Lippen aufeinander. »Ich trauere nicht. Ich frage mich nur, ob wir richtig gehandelt haben.«
»Du hast mehr als einhunderttausend Menschen das Leben gerettet. Niemand musste zurückbleiben. Wir sind alles, was von der Menschheit übrig ist.«
Luca warf ihm einen Seitenblick zu. »Ich glaube, wir haben mehr zurückgelassen, als wir denken. Kurz bevor Phago zerstört wurde, hat er es mir gezeigt. All diese Pflanzen und Tiere, unsere eigene Geschichte, gespeichert in seinen Datenbanken. Es ist alles verloren.«
Hinter ihnen ertönte ein verächtliches Schnaufen. Ratsmitglied Sehun hatte sich unbemerkt genähert. Er war deutlich jünger als Larson und sein glattrasiertes Gesicht strahlte eine unbändige Energie aus. »Diese verrückte Maschine hat versucht, Sie mit rührseligen Hologrammen zu manipulieren, um ihre eigene Haut zu retten. Werfen Sie lieber einen Blick auf die Leute, die Sie gerettet haben! Familien mit Kindern, unsere lebendige atmende Zukunft. Wir waren die erste intelligente Spezies in dieser Galaxie und ich werde dafür sorgen, dass wir auch die letzte sein werden.«
Luca hatte sich zu Sehun umgedreht und zog ihre Augenbrauen zusammen. Sie konnte ihn nicht ausstehen. Zu viele ihrer Kameraden waren von ihm auf aussichtslose Missionen in den Tod gesandt worden. »Schicken wir sie denn tatsächlich in eine bessere Welt?«
Sehun sah sie mit seinem durchdringenden Blick an. »Das wissen wir nicht«, musste er zugeben. »Aber Sie haben die Fluchtschiffe nach unserem Sieg gesehen. Phago, diese verfluchte Maschine, hatte bereits damit begonnen, die Stasiskammern auszubauen, um seine eigenen Speichereinheiten einzulagern. Er hätte uns alle auf diesem gefrorenen Friedhof zurückgelassen.«
»Vielleicht hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, als ihn zu zerstören?«
Sehun winkte ihr abweisend mit der Hand zu und stieß sich von der Wand ab. Ohne zurückzublicken, schwebte er zu den Mitgliedern des militärischen Stabes um General Hare.
Luca wandte sich an Larson, der die Unterhaltung schweigend beobachtet hatte. »Nicht alles in Phagos Zentrale war eine Illusion.«
Larson nickte ihr zu. »Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen«, sagte er und schaute wieder auf den Bildschirm.
Von der Seite schob sich die gigantische Antriebseinheit des Mutterschiffes in das Sichtfeld. Eine gewaltige Antriebseinheit in Form einer langgestreckten Hantel. Wie Patronen in einem Trommelrevolver hatten die Raumschiffe rings um den Antrieb angedockt. Zivile und militärische Schiffe – von außen kaum zu unterscheiden – verteilten sich über den Ring, um eine symmetrische Verteilung der Masse zu gewährleisten. Ein fahles Glühen ging von den Düsen des Hauptantriebs aus.
Larson streckte seine Hand aus und zeigte auf die blaue Flamme. »Die Beschleunigungsphase hat bereits begonnen. In zwei Jahrzehnten werden wir schnell genug sein, um dieses Sonnensystem zu verlassen. In einigen tausend Jahren erreichen wir unsere maximale Reisegeschwindigkeit.« Larson strich sich über den gepflegten Bart. »Bis wir unser Ziel erreichen, werden wir mehr als eine halbe Million Jahre eingefroren in den Stasekapseln liegen.«
»Nur ein Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit«, entgegnete Luca. »Ich glaube nicht, dass wir Phago wirklich besiegt haben«, wechselte sie unvermittelt das Thema. »Es war zu einfach. Eine KI der Stufe 5 erschießt sich nicht versehentlich selbst.«
Larson nickte ihr zu. »Ich habe deinen Bericht gelesen. Aber bedenke: keine Intelligenz, egal welcher Stufe, ist vor dem Zufall sicher. Jede von Phagos Entscheidungen basiert auf Wahrscheinlichkeiten. Er suchte sich stets die beste Option heraus. Aber die Chance, dass wir trotzdem gewinnen, war stets größer als Null.«
Larson drehte sich zur Seite. »Aber ich teile deine Bedenken und deswegen habe ich einen weiteren Auftrag für dich.«
Luca schwebte vor ihm im Raum und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Du bist für unser Volk zu einer Heldin geworden. Ein Symbol für dessen Hoffnungen und Träume. Wenn wir unser Ziel erreichen, werden wir solche Symbole brauchen.«
»Ich mache mich nicht gut als Politiker«, antwortete sie ihm abweisend.
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