Als er sich der Adresse nähert, an der er den deutschen Beamten erwartet, sieht er schon von weiten den Gesuchten am Straßenrand stehen, der seine Vorstellungen sogar noch übertrifft. Nicht nur dass er klein, untersetzt, Mitte 50 ist und sonstige Klischees bedient, die sich Jean vorgestellt hat. Vor allem fällt seine Kleidung dermaßen auf, dass er am liebsten kehrt gemacht hätte. Eine schöne Lederhose mit Hosenträgern, ein komischer Hut und weiße Kniestrümpfe – mon dieu.
Jean reißt sich zusammen, geht auf ihn zu und will ihn gleich testen. Er spricht ihn auf Französisch an, wobei er dabei auch noch höflich salutiert. „Bonjour, sind Sie der deutsche Kommissar, der für die Ausstellung abkommandiert wurde?“ Der Mann schaut ihn verdutzt an und fragt zurück: „Wos host gsagt?“ Jean rollt mit seinen Augen, als hätte er es nicht gewusst, nicht nur dass er kein Französisch kann, sondern der Dialekt ist so schlimm, dass er sich fragt, ob das überhaupt Deutsch ist. Also fragt er ihn nochmal auf Deutsch, aber so langsam, dass es jeder verstehen müsste: „Sind – Sie – der – deutsche – Kommissar –für – die - Weltausstellung?“ „Bist deppert? I watt auf mei Frah!“ kam eine forsche kurze Antwort zurück.
Anscheinend ist er nicht der gesuchte Kommissar, auch wenn Jean nicht verstanden hat, was der andere geantwortet hat! Glück gehabt, das war der Falsche, wie hätte das funktionieren sollen, wenn er den Deutschen nicht verstehen würde? Am Ende steht er noch dumm da, weil seine Kollegen denken würden, er könnte gar kein Deutsch, obwohl er immer damit angegeben hatte. Er entschuldigt sich noch bei dem armen Mann am Straßenrand und begibt sich zum Haus der genannten Adresse.
Jean läutet bei der Concierge, die mit ziehen an einem Draht die Türe öffnet. Jean begibt sich zur Pförtnerloge, die es nur in den feineren Häusern gibt und fragt gleich nach dem deutschen Gast: „Bonjour Madame, mein Name ist Jean Roussou von der Pariser Polizei, ist hier heute Mittag ein Deutscher abgestiegen?“ dabei zeigt er noch seine Dienstmarke, um sich auszuweisen. „Non, Non Monsieur, es ist kein Deutscher hier im Haus, wir sind hier ein anständiges Haus, hier kommt so schnell kein Deutscher rein. Wäre noch schöner, einen Deutschen zu beherbergen, da müsste ich das Bettzeug verbrennen, wenn der wieder geht, am besten sogar das ganze Bett. Non, Non, Monsieur, hier wohnen nur anständige Leute“, antwortet die Concierge aufgeregt, die offensichtlich keine Sympathie für Leute aus Deutschland zu haben scheint, wohl ein Überbleibsel vom Krieg vor ca. 30 Jahren.
„Sie missverstehen mich Madame, ich bin auf der Suche nach einem deutschen Kommissar, der hier ein Apartment haben soll.“ „Ein Kommissar? Hier bei uns? Aus Deutschland? Was bezahlen die dem, dass er sich unser Haus leisten kann? Aber was soll`s, wie ich Ihnen schon gesagt habe, wohnt hier kein Deutscher. Nach der Namensliste, die ich bekommen habe, sind heute ein englischer Gentleman namens John Butterfield, ein Landsmann Namens Albert de Menier und eine feine russische Dame abgestiegen – also kein deutscher Inspekteur! Heute wird auch sonst keiner mehr erwartet.“ „Merde, da haben mir die Idioten auf der Wache die falsche Adresse mitgeteilt.“ Mit lauten Flüchen verlässt Jean das Gebäude wütend und genervt.
Das fängt gut an, erst dieses Geschrei unten am Eingang, was man eher in einer Absteige erwarten würde und dann sollte ich eigentlich bereits vor einer Stunde von einem französischen Kollegen abgeholt werden. Wenn der mich schon am ersten Tag versetzt, kann ich mich auf etwas gefasst machen. Wenn ich jetzt gehe und er kommt doch noch, sieht es schlecht für mich aus, aber ich bin jetzt schließlich in Paris und da sollte ich keine Zeit verlieren. Nichts desto trotz, ist die Wohnung hier schon unglaublich, es gibt sogar eine Toilette innen drin, da muss man nicht raus auf den Flur oder in einen Hinterhof. Wenn ich jetzt noch einen Bediensteten hätte, wäre das hier perfekt, aber so muss ich eben alles selber machen. Nachdem Albert alles resümiert hat, macht er sich dann doch auf den Weg zum deutschen Konsulat.
Sein erstes Abenteuer wird eine Fahrt mit dem Pariser Omnibus sein. Albert begibt sich bei der nächsten Station zum Bureau d` Omnibus und zieht eine Nummer. Diese Nummer ist die Reihenfolge in der die Fahrgäste zusteigen dürfen. Ist der Omnibus voll steht am Bus „complète“ und man muss auf den nächsten warten. Das soll verhindern, dass es ein Gedrängel gibt. Albert hat Glück der Conducteur auf der hinteren Plattform ruft seine Nummer auf und er steigt mutig auf die obere Plattform. Dort oben sitzt man im Freien und er genießt die Frühlingssonne. Kaum hat er seinen Platz eingenommen, gibt der Omnibuskutscher in seiner schicken Uniform – Blaue Jacke, Hose und einem schwarzen Hut mit Silberband – den Pferden die Peitsche zu spüren.
So etwas Vergleichbares gibt es in Berlin nicht, da drängen sich die Fahrgäste noch rein, auch wenn es schon so eng ist, dass man Angst hat, der Wagen fliegt gleich auseinander. Auch würde sich eine Dame wohl nie hier hoch bemühen, aus Angst die Kleidung könnte verrutschten und einen unvorteilhaften Ausblick präsentieren. Auf der Fahrt beobachtet er die Pariser und Pariserinnen. Die kleinen anmutigen französischen Dienstbotinnen, auch Trottin genannt, eilen durch die Straßen. Sie tragen mit Stolz die Hutschachteln oder auch andere Artikel zu den Damen, die schon sehnsüchtig darauf warten. Straßenhändler bieten ihre Waren an und hier und da staut sich der Verkehr, da durch die Weltausstellung zwei Brücken für den Verkehr nicht mehr freigegeben sind.
Nach einiger Zeit erreicht Albert die Rue de Lille 78, in der sich das deutsche Konsulat und die Gesandtschaft befinden, da er sich hier zu seinem Dienstantritt melden soll. Der Gesandte des deutschen Reiches gibt Albert noch letzte Instruktionen:
„Herr de Menier, ich hoffe es ist Ihnen bewusst, wie wichtig ihre Aufgabe hier für das Wohl der Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland ist. Ich denke, ich muss Ihnen nicht sagen, dass ein kleiner Zwischenfall große Konsequenzen haben kann. Hier wird nicht nur ihr polizeiliches Wissen, sondern auch ihr politisches Feingefühl gefragt sein. Es wurde uns eine Depesche mit einer Auflistung deutscher Verbrecher übersandt, die sich wahrscheinlich in Paris aufhalten. Bei Bedarf können Sie diese Informationen mit ihren französischen Kollegen teilen. Haben Sie schon Kontakt zur französischen Polizei aufgenommen?“ „Nein, leider hat man mich diesbezüglich versetzt, die Beamten haben es wohl nicht so wie wir mit der Pünktlichkeit.“ „Damit müssen Sie hier rechnen, machen Sie aber deswegen bloß keinen Aufstand. Sie wissen ja, nur keine Aufregung – Deutsch-Französische Beziehungen! Vor der morgigen Eröffnung der Weltausstellung werden Sie Herrn Müller treffen. Ihren Kontaktmann auf dem Ausstellungsgelände im deutschen Haus am Quai d`Orsay. Er wird Sie täglich um 8:00 Uhr morgens über die Geschehnisse des Vortages informieren, sei es von der Ausstellung, sowie nationale oder internationale Vorkommnisse. Sie werden ihn natürlich über ihre Fälle informieren wie weit Sie sind und was Sie zu tun gedenken. Also, ich hoffe Sie werden alles dafür tun, um uns keine Schande zu bescheren!“
Während der Gesandte Albert noch ermahnt, händigt er ihm noch ein Schreiben, welches ihm Zutritt zur Einweihungsfeier verschafft und eine extra Polizeimarke aus, die nur für die diensthabenden Polizisten auf der Ausstellung gültig ist. Nachdem Albert demütig alles bejat und zum Abschied noch salutiert, macht er sich nun auf den Weg zur Polizeipräfektur auf der Île de Cité in der Nähe von Notre Dame, um sich auch hier zu melden.
Am Tresen weißt sich Albert beim Beamten aus und wird gleich zum Commissaire de police zitiert, der ihm ebenfalls einen herzlichen Empfang bereitet. „Monsieur de Menier, willkommen in unserer schönen Stadt, wir dachten schon Sie wollten gar nicht zu uns kommen. Ihr neuer Kollege sollte Sie eigentlich in Empfang nehmen, aber er konnte Sie an der besagten Adresse nicht auffinden.“
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