Karl Gabl - „Ich habe die Wolken von oben und unten gesehen

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Die einen nennen ihn Schönwetterguru, die anderen ihren Sturmpropheten, und kaum einer geht an den höchsten Bergen der Welt ohne seinen Rat länger vors Zelt: Karl Gabl ist einer der renommiertesten Expeditions-Meteorologen, auf dessen Prognosen sich Extrembergsteiger weltweit verlassen. Wer aber steckt hinter dem bekannten Wettergesicht? Humorvoll und hintergründig, kurzweilig und geistreich erzählt er selbst aus seinem Leben, das ihn als Bergsteiger auf fast fünfzig Gipfel über 5000 Meter geführt hat, und das ihn als Meteorologe noch immer bei spektakulären Erstbegehungen auf der ganzen Welt hautnah dabei sein lässt.
Wer in der Nachkriegszeit als „Christkindl" am Arlberg geboren wird und dort seine Kindheit verbringt, den prägen der Schnee, die Berge, das Wetter. Gabl erinnert sich an die Streiche seiner Kindheit in St. Anton ebenso wie an die verheerenden Lawinen, die ihn Mut und Hilfsbereitschaft, aber auch Respekt vor der Natur gelehrt haben. Er berichtet von seinen bergsteigerischen Anfängen, von seinem Weg als Bergführer und Meteorologe und von seinen Touren in den Alpen, im Hindukusch, im Himalaya und in den Anden. Natürlich gibt Gabl auch Einblicke in seine Arbeit als Wetterberater und sein Bemühen, immer neue Maßnahmen für die Sicherheit in den Bergen zu entwickeln. Welche Bedeutung ein Anruf bei Charly wirklich hat, lassen schließlich die Beiträge von Extrembergsteigern wie Gerlinde Kaltenbrunner, Simone Moro, den Huber-Buam, Ines Papert oder Hansjörg Auer mehr als erahnen.

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KARL

GABL

„Ich habe die Wolken von oben und unten gesehen“

DIE BERGE. DAS WETTER. MEIN LEBEN.

Für Edith und Stephanie Berge hinterlassen Spuren Nach der Expedition auf - фото 1

Für Edith und Stephanie

Berge hinterlassen Spuren Nach der Expedition auf den Putha Hiunchuli 7246 - фото 2

Berge hinterlassen Spuren: Nach der Expedition auf den Putha Hiunchuli (7246 Meter) im Oktober 2012

VORWORT

Als der Everest-Pionier George Leigh Mallory einmal gefragt wurde, weshalb er auf Berge steige, soll er geantwortet haben: „Weil sie da sind.“ Weshalb ich dieses Buch geschrieben habe? Die Antwort ist ganz einfach: Weil ich darum gebeten wurde. Und ich muss zugeben, ich habe mich lange Zeit davor gedrückt. Nicht nur, weil mir das Ansinnen, meine Memoiren zu verfassen, vor Augen führte, dass mein Cursor auf der Zeitleiste des Lebens schon weit nach rechts gerückt ist. Vor allem war mir bewusst, dass wer sich an sein Leben zurückerinnert, nicht nur an die schönen Momente denken kann. So hat auch der Rückblick auf die 70 Jahre meines Lebens frappierende Ähnlichkeit mit einem spannenden, nicht endenden Bergwetterbericht, der Perioden mit Hochs und Tiefs, mit strahlendem Sonnenschein, mit dichtem Nebel, aber auch mit Schneesturm, Gewittern und Naturkatastrophen beschreibt.

Was bleibt, sind dann aber doch die schönen Stunden. Ich habe sie vor allem entdeckt, als ich mein umfangreiches fotografisches Archiv in Augenschein nahm. Denn es sind ja insbesondere diese Ereignisse, die wir für später festhalten. Für die Retrospektive kramte ich in Tausenden von Fotos. Ich wühlte mich durch Kartons voller Papierbilder, durchforstete Kleinbild- und Mittelformatdias und Ordner mit digitalen Aufnahmen. Die Bilder erinnerten mich an große Abenteuer und berührende Momente. Wochenlang standen auf dem Esstisch und auf dem Fußboden, auf dem Sideboard und dem Couchtisch die grauen Dia-Boxen. Wie die Türme der Sella-Gruppe wuchsen sie in die Höhe. Mal wirkten sie auf mich bedrohlich, weil ich es vor langer Zeit verabsäumt hatte, die Boxen zu beschriften, mal empfand ich unermessliche Mühe, die Dias abzuarbeiten, und das andere Mal hatte ich große Lust auf dieses besondere Abenteuer, das mich natürlich in die Berge führte.

Zwar verbinden viele mit meinem Namen vor allem die Wetterberatung von Bergsteigern. In aller Bescheidenheit möchte ich aber doch behaupten, dass es eine Zeit gab, in der ich ganz passabel unterwegs war: In den Nordwänden von Königsspitze und Ortler und auch in der Ostwand des Monte Rosa. Auch den Peutereygrat am Mont Blanc habe ich gemacht. Im Fels der Dolomiten die Agnèrkante, Routen an der Tofana di Rozes, die „Lacedelli/Ghedina“ in der Scotoni-Westwand, die Nordwand der Großen Zinne, die „Gelbe Kante“ und die „Egger/Sauschek“ an der Kleinen Zinne; im heimischen Karwendel den Hechenbergpfeiler, die meisten klassischen Routen in der Martinswand und auch die Laliderer-Nordwand. Viele dieser Routen kletterte ich zu einer Zeit, als beim Abseilen noch die Dülfer-Methode das Nonplusultra war. Mit einigen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wiederholten Erstbegehungen habe ich lokale Bergsteigergeschichte geschrieben. Mit unserer Skiexpedition zum Noshaq stellten wir sogar den Höhenweltrekord für Skibergsteiger auf. Mittlerweile habe ich fast fünfzig Gipfel über 5000 Meter Höhe bestiegen, zahlreiche Sechstausender und drei Siebentausender. Auf 17 Vulkanen bin ich gestanden, darunter auf dem höchsten aktiven Vulkan der Erde, dem Ojos del Salado (6893 m) in Chile. Und dass ich es im fortgeschrittenen Alter von 66 Jahren noch auf einen Siebentausender geschafft habe, erfüllt mich doch mit einer gewissen Zufriedenheit.

Wer 70 Jahre in zwei Buchdeckel packen will, der kann nur unvollständig bleiben. Meine Memoiren sind deshalb keine taxative Aufzählung aller meiner Taten und auch keine Chronik meiner Missetaten. Sie können dem Leser nur einige für mich wichtige Momente am Berg, im Beruf und mit der Familie näherbringen.

Zwar dachte ich zunächst, mein Leben würde nie und nimmer ein ganzes Buch füllen können. Nachdem ich mir aber die ersten Zeichen mühevoll abgerungen hatte, bestand die Schwierigkeit am Ende darin, mich zu beschränken. Ich konnte deshalb nicht alle Wegbegleiter namentlich erwähnen und genauso wenig all jene, die mir heute wichtige Stützen und liebe Freunde sind. Sie mögen mir das verzeihen.

Danken möchte ich an dieser Stelle Anette Köhler und Margret Haider, die meinen Text mit großer Umsicht und mich zur rechten Zeit auch mit dem nötigen Nachdruck begleitet haben. Ich danke allen Bergsteigern, die zu diesem Buch einen Beitrag beigesteuert haben. Über die Jahre sind sie mir sehr ans Herz gewachsen und zu Freunden geworden. Und schließlich möchte ich auch meiner Frau Stephanie danken, ohne deren Unterstützung ich mir dieses Projekt nie und nimmer zugetraut hätte.

Karl Gabl

Sankt Anton, 26. Juli 2016 – am Fest der heiligen Anna

INHALT

Der „Piargers Karl“

In der Stella Matutina

Bergleidenschaft

Skigeschichten

Spiel und Ernst: Meine Zeit bei Fußball, Musikkapelle und Bergrettung

Ein Weltrekord auf 7492 Meter Höhe

Wolfgang Nairz: Vor dem Sturm am Elbrus

Neue Wege in Südamerika

Thomas Klimmer: Touren in Fels und Eis

Im Lawinenstrich

Bergpraxis

Ernst Vogt: Das „Rucksackradio“

Im Dienste der Sicherheit am Berg

Gegen den weißen Tod

Thomas Huber: Vier perfekte Tage am Ogre

Alexander Huber: Free solo am Grand Capucin

Wetterwissen

Stephan Siegrist: Die halbe Miete

Familienwege

Simone Moro: Im Vertrauen

Die Arlberger Baruntse-Expedition

Alix von Melle: Sturm am Dhaulagiri

In Richtung Achttausender

Ralf Dujmovits: Ohne Erfrierungen

Schienen durch St. Anton: Wie es zur Bahnverlegung kam

Axel Naglich: Nicht ohne Charlys Handynummer

Von Goldmedaillen, Warnsystemen und Wetter-Radarstationen

Tamara Lunger: Das unsichtbare Teammitglied

Wetterfenster in Sicht – Expeditionsberatungen

Gerlinde Kaltenbrunner: Noch eine Chance am K2

Ungewöhnliche Prognosen

Heinz Zak: Ein langer Weg mit Charly

Weitere Expeditionen an hohen Bergen

Hansjörg Auer: Die Richtung, aus der das Wetter kommt

Touren in Afrika

Ines Papert: Ein Grundkurs in Wetterprognose

Mit 66 Jahren

DER „PIARGERS KARL“

Bei meiner Geburt im Dezember 1946 war der Zweite Weltkrieg gerade eineinhalb Jahre vorüber. Mein Vater Karl, von Beruf Malermeister, hatte den Krieg als Soldat der Wehrmacht hauptsächlich an der Eismeerfront in der Nähe von Murmansk verbracht, am einzigen eisfreien Hafen nördlich von Finnland. Meine Mutter Marianne ängstigte sich und zitterte, ob mein Vater wieder aus dem Krieg nach Hause kommen würde. Meine Schwester Erika, die im September 1939 geboren wurde, und mein Bruder Sigi, der im April 1944 zur Welt gekommen war, mussten ihre ersten Lebensjahre ohne Vater auskommen. Ich hatte es da besser.

Die Zeit nach dem Krieg war von Entbehrungen geprägt. Die Leica, die sich mein Vater während des Kriegs gekauft hatte, tauschte er nach seiner Rückkehr aus Russland gegen eine Ziege ein, um täglich frische Milch für die Familie zu haben. Das ist auch der Grund, weshalb es keine Fotos von mir als Baby gibt. Alles, was ich über meine ersten Wochen und Monate sagen kann, weiß ich aus den Erzählungen meiner Mutter. Etwa, dass Weihnachten 1946 sich alles um mich scharte, den „Piargers Karl“ – „Piargers“ ist unser Hausname, der wohl von den Vorfahren herrührt, die von Tannberg, also von der anderen Seite des Arlbergs, stammten. Der Piargers Karl lag also Weihnachten 1946 in seinem Bett und die Nachbarn kamen mit Geschenken, um das „Christkindl“ mit den blonden Haaren und den blauen Augen zu bestaunen. So erzählte es meine Mutter.

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