Wolfgang Hohlbein - Die Saga von Garth und Torian
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Wolfgang Hohlbein
Die Saga von Garth und Torian
Karte von Christian Mogg
Die Stadt der schwarzen Krieger
(Mit Dieter Winkler)
Die Luft über dem Tal flimmerte noch immer vor Hitze und Staub, und der Wind trug den Gestank des Schlachtfeldes heran: ein unbeschreibliches Gemisch aus Blut und Schweiß und Brandgeruch, Urin und Kot, von Schmerzen und Tod und dem Moder aufgewühlten Erdreiches, und das Grau der Dämmerung wurde immer wieder vom Schein zahlloser kleiner und großer Brände zerrissen, die den Himmel über dem Schlachtfeld in einen zerrissenen Flickenteppich aus Dunkelheit und flackerndem Feuerschein verwandelten. Der Fluß, der sich am anderen Ende des Tales dahinschlängelte, schimmerte rot, aber die Farbe stammte nicht allein vom Licht der untergehenden Sonne, und die dunklen Körper, die in seinen Fluten dahintrieben, waren nicht nur Büsche und Erdreich, die mit dem Hochwasser vom Gebirge herunterkamen.
Torian legte mit zitternden Fingern seinen letzten Bolzen auf die Armbrust, zielte kurz und riß den Abzug durch. Das winzige Geschoß sirrte wie ein tödliches Insekt aus Holz und Stahl davon, bohrte sich in den Hals eines Pferdes und ließ das Tier mit einem Schmerzensschrei in die Knie brechen. Sein Reiter verlor durch den plötzlichen Ruck den Halt, segelte in einem grotesken Salto über den Kopf des sterbenden Tieres hinweg und schlug mit grausamer Wucht zwischen den scharfkantigen Felsen auf. Sein Schreckensschrei ging in einem knirschenden Laut unter und verstummte. Torian wartete nicht, ob er wieder aufstand, sondern fuhr herum und rannte geduckt hinter den anderen her. Rechts und links von ihm schlugen Pfeile und Bolzen gegen den Fels, aber das schwächer werdende Tageslicht und seine eigene, hektische Bewegung machten es seinen Verfolgern unmöglich, einen gezielten Schuß anzubringen. Der Boden erhob sich hier, am Ende des tiefen, S-förmig emgeschnittenen Tales zu einer steil ansteigenden Böschung, die weiter oben in eine Geröllhalde überging. Ein Teil der Felswand, vor der der Hang hundert oder hundertfünfzig Meter vor Torian endete, war vor langer Zeit zusammengebrochen, der Boden mit scharfkantigen Felstrümmern und Geröll übersät, zwischen denen Gestrüpp und graues ßrennmoos Halt gefunden hatten, und da und dort hatten sich in der dünnen Erdkruste, die der Wind im Laufe der Jahrzehnte zwischen den Steinen abgeladen hatte, sogar die Wurzeln einer Krüppelkiefer festgekrallt. Die Verfolger würden mit ihren Pferden hier nicht gut vorankommen. Sie würden absitzen müssen und somit einen Gutteil ihrer Überlegenheit einbüßen. »Torian! Hierher!«
Bagains Stimme drang wie von weither an Torians Ohr, und er glaubte einen schwachen Unterton von Panik in seiner Stimme zu hören. Er blieb stehen, warf einen hastigen Blick über die Schulter zurück und lief etwas langsamer weiter. Das schwache Licht behinderte nicht nur die Verfolger, sondern auch ihn, und auf dem mit scharfkantigen Steinen übersäten Boden konnte ein einziger Fehltritt fatale Folgen haben.
Angestrengt starrte er nach vorne und versuchte, eine Spur von Bagain oder den anderen zu entdecken, aber alles, was er sah, waren Schatten. Die Dämmerung ließ die Felswand sich zu einer schwarzen Mauer auftürmen.
Der schwarzhaarige Krieger aus Scrooth duckte sich, als ein neuer Schwärm Pfeile herangesirrt kam und rings um ihn herum klappernd an den Felsen zerbrach. Eines der Geschosse schrammte über seinen Schulterpanzer, glitt an den stahlharten Torron-Schuppen ab und hinterließ einen handlangen, blutigen Kratzer an seinem Hals. Torian merkte es nicht einmal. Sein Körper schien ohnehin ein einziger, pulsierender Schmerz zu sein. Er war nicht ernsthaft verwundet worden, obwohl er im Laufe der letzten dreißig Minuten beinahe ebenso viele Kämpfe ausgefochten hatte, aber all die unzähligen Schnitte und Kratzer, Prellungen und Abschürfungen begannen allmählich ihren Tribut zu fordern.
Schließlich entdeckte er Bagain und die anderen. Sie waren weniger weit über ihm, als er gehofft hatte, kaum zwanzig Schritte, vielleicht noch weniger. Der selbstmörderische Angriff, mit dem er und die vier anderen, die jetzt tot oder sterbend unter ihm im Tal lagen, die Verfolger aufzuhalten versucht hatten, um Bagain Gelegenheit zur Flucht zu geben, war sinnlos gewesen.
Torian schluckte einen Fluch hinunter, sah erneut über die Schulter zurück und rannte, alle Vorsicht vergessend, los. Im Zickzack lief er den Hang hinauf, immer bemüht, in Bewegung zu bleiben und ein möglichst unsicheres Ziel zu bieten.
Die Verfolger verstärkten ihren Beschüß. Die Pfeile fielen immer dichter auf den Hang herunter, ein Regen tödlicher, schlanker Geschosse, der Torian schließlich in Deckung zwang und auch die Handvoll Männer, die mit ihm hierher geflohen waren, weiter den Berg hinauftrieb. Er hörte einen Schrei. Eine der schwarzgepanzerten Gestalten über ihm warf plötzlich die Arme in die Luft, zerrte einen Moment mit verzweifelter Kraft an dem Pfeil, der plötzlich aus ihrem Hals ragte, und brach dann wie vom Blitz getroffen zusammen.
Torian unterdrückte einen Fluch. Sie waren den Tremonen in die Falle getappt wie blinde Schafe! Dabei waren sie gewarnt worden, und das gleich mehrmals. Der velanische Späher hatte schon am Tage zuvor die Fährte einer großen Zahl von Reitern gemeldet, und auch das Orakel, das von ihnen – wie jeden Morgen, bevor sie aufbrachen – befragt worden war, hatte nichts Gutes verheißen. Aber Donderoin hatte sowohl die Worte des Spähers als auch die Warnung des Orakels in den Wind geschlagen und an seinem ursprünglichen Plan festgehalten, den Fluß hier und nicht zwanzig Meilen weiter östlich zu überschreiten, obwohl die Berge hier für einen Hinterhalt wie geschaffen waren.
Nun, Donderoin lag mit eingeschlagenem Schädel unten im Tal, genau wie vierhundertneunzig der fünfhundert Männer, die der Stadthalter von Scrooth ihm anvertraut hatte, um dem Heer im Osten Entsatz zu bringen.
Vierhundertneunzig? dachte Torian in einem Anflug von bitterem Sarkasmus. Im Moment mochte das noch stimmen, aber es war nur noch eine Frage von Augenblicken, ehe die Zahl auf fünfhundert angewachsen war. Die Tremonen waren ihnen an Zahl und Bewaffnung fast um die Hälfte unterlegen gewesen, und trotzdem hatten sie nicht die Spur einer Chance gehabt.
Der Mann an ihrer Spitze mußte ein Genie sein, dachte Torian mit einem Gefühl widerwilliger Anerkennung. Er war jetzt seit über zehn Jahren Krieger, und er hatte längst aufgehört, die Schlachten – große und kleine, sinnvolle und sinnlose –, an denen er teilgenommen hatte, zu zählen. Aber er hatte nie eine derart mörderische Falle erlebt wie heute. Und vor allem, dachte er niedergeschlagen, hatte er noch keine «Verlebt. Schon der erste Pfeilhagel hatte mehr als hundert Krieger getötet oder kampfunfähig gemacht. Die Tremonen hatten Feuerwerkskörper von den Felsen geworfen, um eine Panik unter den Pferden auszulösen, und als sie versucht hatten, das Tal durch den schmalen Felsspalt, durch den sie hereingekommen waren, wieder zu verlassen, hatte sie ein Pfeil- und Geröllhagel empfangen, der die Kampfmoral der Truppe endgültig gebrochen hatte. Als die Reiterei der Tremonen aus ihren Verstecken brach, standen sie keinem Heer mehr gegenüber, sondern einem Haufen verängstigter, kopfloser Männer, die kaum in der Lage waren, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen. Selbst Torian war für einen Moment in Panik geraten.
»Torian! Wo bist du? Lebst du noch?«
Wieder drang Bagains Stimme in seine Gedanken. Torian spürte ein flüchtiges Gefühl der Erleichterung, daß der Hauptmann noch lebte. Er konnte nicht gerade behaupten, daß Bagain und er Freunde waren; ein Söldner hatte keine Freunde. Aber er war einer der wenigen gewesen, zu denen er doch so etwas wie Vertrauen gefaßt hatte, in den letzten Wochen.
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