Das Geräusch leiser Schritte drang in seine Gedanken. Torian sah überrascht auf — und auch ein wenig verärgert, denn er schätzte es gar nicht, wenn er hier oben gestört wurde — und blinzelte gegen das helle Rot des Sonnenaufganges. Aber sein Ärger wurde zur Freude, als er erkannte, wer es war, der den gewundenen Weg von der Stadt heraufkam: niemand anderes als Ayla, in deren Begleitung sich zwei vielleicht zehnjährige Kinder befanden: Relay und Bell, sein eigener Sohn und Shyleens und Garth’ Tochter.
Er stand auf, ging den dreien entgegen und küßte Ayla flüchtig, ehe er die beiden Kinder auf die Arme nahm und ihre stürmische Begrüßung genoß. Ayla ließ die beiden eine Weile gewähren, ehe sie sie mit sanfter Gewalt von ihm löste und den Jungen mit einem Klaps auf den Rücken davonscheuchte.
»Manchmal sind die beiden eine Plage«, bemerkte sie. Aber sie lächelte dabei, und Torian spürte, wie wenig ernst sie diese Worte meinte.
»Aber sie geben einmal ein hübsches Paar ab«, sagte er.
»So hübsch wie wir?« wollte Ayla wissen.
»Mindestens« erwiderte Torian. »Irgendwann.« Er legte Ayla den Arm um die Schulter, drehte sich wieder herum und führte sie zu der Stelle zurück, an der er gesessen hatte, ehe sie gekommen war. Eine Weile standen sie einfach schweigend da und sahen dem Weichen der Nacht zu, dann fragte Ayla:
»Wirst du gehen?«
»Gehen?« Torian runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
Ayla zog eine Schnute. »Behandle mich nicht wie ein dummes Kind«, hat sie. »Ich habe gehört, was Garth und du besprochen haben.«
»Die Kundschafter.« Torian nickte und sah wieder nach Westen. Auch am anderen Ende des Tales wurde es jetzt Tag. Er sprach nicht weiter.
»Sie haben endlich den Weg über die Berge gefunden«, sagte Ayla schließlich. Sie seufzte. »Ihr wollt ein Heer aufstellen.«
»Vielleicht«, gab Torian zu. »Vielleicht irgendwann einmal. Zuerst einmal werden ein paar Männer reichen, welche die Welt dort draußen erkunden.«
»Und du wirst einer dieser Männer sein, vermute ich.«
»Und wenn es so wäre?«
Ayla schwieg lange. In ihrer Stimme war eine leise Spur von Trauer, als sie endlich fortfuhr. »Ich... wäre nicht sehr glücklich. Aber ich würde dich gehen lassen.«
»Ich würde zurückkommen«, versprach Torian. »Aber ich muß wissen, wie es dort aussieht – auf der anderen Seite der Berge.«
»Und warum?«
Diesmal war es Torian, der nicht sofort antwortete; ganz einfach, weil er die Antwort nicht wußte. »Vielleicht, weil es meine Natur ist«, erklärte er schließlich. »Ich bin lange genug Gott gewesen.« Er machte eine Geste mit der freien Hand, die das gesamte Tal einschloß. »Es gibt hier nicht mehr sehr viel für mich zu tun, weißt du?«
Ayla nickte. »Ich weiß es schon lange. Du hast... viel geschaffen. Aus unserem Dorf ist eine mächtige Festung geworden, und wir haben endlich Frieden gefunden.« Sie lächelte. »Erträgst du es nicht?«
»Frieden?« Torian nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Doch. Aber ich ertrage es nicht, untätig zu sein.« Er deutete nach Westen. »Es gibt neue Aufgaben dort. Und neue Herausforderungen.«
Er spürte, wie Ayla traurig zu werden begann, und drückte sie fester an sich. »Irgendwann einmal«, sagte er. »Es ist meine Natur, Ayla. Nur so kann ich glücklich werden.«
»Und das sollst du auch», räumte Ayla ein. Plötzlich lächelte sie wieder. »Aber noch ist es nicht so weit.«
»Ja«, bestätigte Torian. Er küßte Ayla, sanft und zärtlich, aber sehr lange, und für einen ganz kurzen Moment spürte er wieder dieses Gefühl von Geborgenheit und Wärme, das sie ihm vom allerersten Moment an vermittelt hatte und das nicht weniger geworden war, in all den Jahrhunderten, die seither vergangen waren. Er lächelte, als er sich von Ayla löste und sie ansah, und er lächelte erneut, als er an die unbekannte Welt dachte, die hinter den Bergen im Westen lag und nur darauf wartete, von Garth und ihm erobert und von Shyleen beherrscht zu werden.
Irgendwann einmal. Was zählten schon ein paar Jahre oder auch Jahrhunderte? Er hatte viel Zeit.
Alle Zeit der Welt.