„Einen Moment bitte, ich hole nur kurz die Unterlagen ihrer Tochter“, antwortet Herr Holm.
Jutta stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Ihr graut es immer vor Gesprächen mit den Lehrern.
„Wie ich hier sehe, ist ihre Tochter versetzungsgefährdet“, teilt ihr der Direktor ohne Vorwarnung mit.
„Oh, das wusste ich nicht“, stammelt Jutta.
Leider kann sie das nicht einfach auf Rüdiger schieben.
„Am besten verbleiben wir so, ich spreche mit der Klassenlehrerin, und Sie rufen bitte morgen noch einmal an.“
„Ja, das mache ich. Vielen Dank.“
„ Auch das noch“ , denkt Jutta verärgert. „Bleibt mir denn nichts erspart?“
„Jenny, kommst du bitte mal zu mir.“
Nichts Gutes ahnend kommt Jenny langsam ins Wohnzimmer, denn sie weiß, dass ihre Mutter in der Schule angerufen hat. Jetzt schlägt für sie die Stunde der Wahrheit. Schuldbewusst sieht sie ihre Mutter an.
„Ich habe gerade mit deinem Direktor gesprochen. Er hat mir gesagt, dass du eventuell sitzen bleibst. Hast wenigstens du das gewusst?“
„Na ja, es lief eben nicht so gut. Die anderen waren alle so doof zu mir, und mit Nicole habe ich mich laufend gestritten. Es war furchtbar in der Schule und zu Hause auch kaum auszuhalten. Und dann war ich so traurig, dass du allein weggezogen bist.“
„Du wusstest doch, dass das nur für kurze Zeit ist.“
„Ja. Ich will aber nicht mehr in diese Schule. Und Nicole kann mich mal. Aber in Omas Gymnasium will ich auch nicht. Die erkundigt sich dann vielleicht täglich bei meinen Lehrern und macht mich ständig vor allen runter. Diese Peinlichkeit tue ich mir nicht auch noch an“, äußert Jenny ihren klaren Standpunkt.
„Warten wir das Gespräch morgen mit Herrn Holm erst einmal ab“, sagt Jutta.
Das verschiebt sich aber noch um ein paar Tage, da Jennys Klassenlehrerin krank geworden ist. Jutta ist über die Verzögerung sehr erleichtert.
An einem wunderschönen Maitag genießt Lydia wieder einmal die Ruhe in Christines Garten und macht sich Gedanken über ihr neues Buch. Hier draußen kann sie so richtig schön abschalten und sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Christine ist kurz in die Stadt gefahren und bringt gleich die Kinder mit. Lydia freut sich auf einen gemeinsamen Nachmittag.
Es dauert auch nicht lange, da hört sie Christines Auto kommen. Tilly ist als erste bei ihr.
„Hallo, Lydia. Schön, dass du da bist. Dann kann ich dir gleich von unserer Klassenfahrt erzählen. Wir fahren dieses Jahr in die Alpen. Eigentlich wollen die meisten lieber in eine Großstadt, aber auch nur wegen der Shoppingmeilen und des aufregenden Nachtlebens“, berichtet sie aufgeregt.
„Ihr seid doch erst vierzehn Jahre alt und habt bestimmt nicht genug Geld für die Boutiquen in solchen Straßen, und für das Nachtleben seid ihr noch zu grün hinter den Ohren“, antwortet Lydia ihr.
Christine stellt ihre Einkaufstüten ab und sagt schmunzelnd: „Das ist allerdings auch meine Meinung, aber die zählt nicht, denn ich bin bloß eine Mutter, die nicht viel Ahnung hat.“
Lydia packt ihren Laptop ein. Sie ist davon überzeugt, dass es bei diesem Trubel nichts mehr mit Schreiben wird, denn Daniel kommt nun auch angerannt. Aber nur, um sie kurz zu begrüßen und zu sagen, dass er eine wichtige Verabredung mit seinen Kumpels hat.
„Dann lass dich nicht aufhalten“, ruft Lydia ihm lauter werdend hinterher, denn er sitzt schon auf seinem Fahrrad und radelt los.
„Die Lehrerin von Tilly, Frau Berger, hat mich gefragt, ob ich nicht als Betreuerin mit an der Klassenfahrt teilnehmen möchte. Sie ist der Meinung, da ich zu Hause arbeite, kann ich das sicher einrichten. Ich habe aber keine Lust, mir das noch einmal anzutun“, sagt Christine.
Tilly guckt Lydia verschmitzt an und fragt: „Wie wäre es, wenn du uns begleitest?“
„Das würde ich mir an deiner Stelle sehr gut überlegen“, mischt sich Christine ein. „Das kann niemand von dir verlangen.“
Lydia wird nachdenklich.
„Na ja, warum eigentlich nicht? Ich brauche noch ein paar Ideen für mein neues Buch. Vielleicht finde ich in den Alpen welche.“
„Oder du landest hinterher in einer Nervenheilanstalt“, sagt Christine. „Erinnere dich, warum du nicht Lehrerin geworden bist. Das soll nur eine Warnung sein.“
„So schlimm wird es schon nicht werden. Ich passe gut auf dich auf und halte dir die schlimmsten Jungs vom Hals“, verspricht ihr Tilly. „Außerdem fährt Herr Schulze, der Vater vom Hannes, wieder mit. Der ist so groß und kräftig, dass schon sein Aussehen den meisten Schülern wenigstens etwas Respekt einflößt. Wenn der tief einatmet, stehen fast alle stramm. Komm, sag schon ja. Bitte, bitte.“
„Frag doch erst mal deine Lehrerin. Vielleicht darf ich gar nicht mitfahren, weil ich kein Kind in eurer Klasse, eigentlich gar kein Kind habe. Eventuell mangelt es mir aus Sicht der Lehrerin an Erfahrung“, sagt Lydia zu Tilly.
Christine runzelt die Stirn.
„Willst du dir das wirklich antun? Obwohl, dieses Jahr fahren sie nur drei Tage, da würdest du ganz gut wegkommen. Eigentlich lohnt sich das nicht. Aber ich glaube, Frau Berger graut es auch jedes Mal davor. Bei wem sollte sie sich aber beschweren? Es bleibt ihr ja nichts anderes übrig.“
Tilly strahlt Lydia an und sagt: „Ich kümmere mich gleich darum und gebe dir Bescheid, sowie ich etwas weiß.“
Lydia ist sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen soll. Aber zur Not kann sie einfach ablehnen, falls sie es sich noch anders überlegt.
„Wie war es eigentlich im Laden? Hast du einen neuen Auftrag bekommen?“, fragt sie Christine.
„Na ja. Marianne will zum Stadtfest einen Stand aufstellen und braucht dafür noch einige Ausstellungsstücke. Sie hat mir eine Liste mitgegeben, leider eine kurze. Nachher bestelle ich das Material und dann reicht es für heute mit der Arbeit. Du siehst, es stimmt schon – wer zu Hause arbeitet, hat fast nichts zu tun“, mit diesen Worten geht sie lachend ins Haus.
Lydia hat zwar auch noch nicht viel geschafft, verschiebt die Arbeit trotzdem auf später. Die Idee, in das nächste Buch einige Erlebnisse der Klassenfahrt einzubauen, gefällt ihr. Sicher sind in Tillys Klasse aufgeweckte Kinder, die mit ihrem Verhalten ganz von selbst für Stoff sorgen. Sie muss dann nur alle ganz genau beobachten.
Lydia wird aus ihren Gedanken gerissen, als Tilly aufgeregt die Treppe heruntergestürmt kommt. Sie sieht Lydia freudestrahlend an.
„Lydia, ich habe Frau Berger angerufen. Du darfst mit. Die ist vielleicht erleichtert. Beinahe hätten wir nicht fahren können, weil sich niemand außer Hannes Vater bereit erklärt hat, uns zu beaufsichtigen. Oh, ich freu mich so.“
Sie tanzt um Lydia herum und ist außer sich vor Freude.
„Du hast es ja wirklich eilig, mich zu dieser Fahrt zu verdonnern. Hoffentlich überlebe ich das. Und es sind wirklich nur drei Tage?“, fragt Lydia.
„Ja. Montagfrüh geht es mit dem Bus los und Freitagnachmittag sind wir wieder zurück.“
„Das sind schon mal fünf Tage“, stellt Lydia etwas verwundert fest.
„Na ja, aber nur drei Tage in den Alpen. Es sind fast zwei Tage Fahrt dabei und die zählen nicht.“
Christine hat Eisbecher gemacht und stellt diese auf den Tisch. Es sieht einfach köstlich aus. Lydia lässt sich nicht lange bitten und greift zu.
„Danke. Du verwöhnst mich wieder. Wenn ich hier wohnen müsste, würde ich bald auf keine Waage mehr freiwillig steigen“, sagt sie zu Christine. „Zum Glück lebe ich allein und finde im Kühlschrank nur, was ich wirklich ganz allein da reingetan habe. Seitdem ich den Rat aus so einer bunten Zeitung befolge und nur noch satt einkaufen gehe, ist auch nie viel im Einkaufswagen und somit im Kühlschrank. In letzter Zeit schaffe ich es bis zum nächsten Einkauf oft nicht mehr, zu Hause noch genug Nahrung zu finden, um dann satt einkaufen gehen zu können. Daran muss ich noch arbeiten.“
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