„Vielleicht solltest du dir eine Haushaltshilfe suchen, die dich nach den neuesten Erkenntnissen auf dem Gebiet der Ernährungswissenschaft versorgt“, schlägt Christine vor.
Sie erhebt sich, weil ihr Telefon läutet, und geht schnell ins Haus.
„Um Gottes Willen. Nein. Dann bekomme ich nur noch Obst und Hasenfutter zu essen“, ruft Lydia ihr nach und schüttelt den Kopf.
„Ich mache jetzt schnell Hausaufgaben. Annika kommt nachher. Wir wollen uns absprechen, was wir zur Klassenfahrt mitnehmen. Außerdem sollen wir uns überlegen, was wir unternehmen wollen“, sagt Tilly.
Sie drückt Lydia ganz fest und flüstert ihr ins Ohr: „Danke, danke. Du bist die Beste.“
„Du weißt doch, dass ich dir keinen Wunsch abschlagen kann und sogar Unannehmlichkeiten auf mich nehme“, sagt Lydia.
„So schlimm wird es sicher nicht. Ich bleibe die ganze Zeit in deiner Nähe“, verspricht ihr Tilly.
Fröhlich hüpft sie ins Haus und wäre beinahe mit ihrer Mutter zusammengestoßen.
„Warum müsst ihr immer so stürmisch sein? Könnt ihr euch nicht normal fortbewegen?“, ruft sie Tilly hinterher.
„Ich hatte gerade einen Anruf“, sagt sie zu Lydia. „Für eine Silberne Hochzeit soll ich Plüschbären anfertigen, die die fünf Kinder der Familie darstellen, also auch eine unterschiedliche Größe haben. Auf der Kleidung soll jeweils der Name eingestickt werden. Ich finde, dass das eine ausgefallene Idee und ein persönliches Geschenk ist. Ich lasse dich jetzt alleine hier sitzen und mache meine Bestellung fertig, damit ich bis zum Wochenende die Ware bekomme und bald anfangen kann. Du weißt ja, ich habe Arbeit gern schnell hinter mir.“
„Dann packe ich eben wieder aus und arbeite noch ein bisschen“, sagt Lydia.
Sie ist bald so in ihre Arbeit vertieft, dass sie ein Geräusch zusammenzucken lässt. Sie hat niemanden kommen gehört und ist erstaunt, dass plötzlich ein Mädchen neben ihr steht. Da ihr Pony bis zur Nasenspitze reicht, kann man ihr Gesicht gar nicht erkennen. Lydia fragt sich, ob die Kleine überhaupt etwas sehen kann. Trotz der hohen Temperaturen hat sie einen dicken Rollkragenpullover an, der ihr mindestens drei Nummern zu groß ist, sowie eine lange Hose. „Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, flüstert die Kleine.
„Das schaffst du nicht so schnell“, sagt Lydia freundlich.
Jetzt erinnert sie sich auch, dass Tilly ihre Freundin erwartet. „Du bist sicher Annika und wurdest mir schon angekündigt.“
Annika schüttelt sich die Haare aus dem Gesicht und sieht Lydia erleichtert an. In dem Moment kommt Tilly angerannt.
„Annika, du weißt noch gar nicht das Neueste. Lydia, äh, darf ich vorstellen“, dabei zeigt sie auf Lydia, „kommt mit auf Klassenfahrt. Ist alles schon geregelt. Das finde ich so cool. Da werden die Models Cindy und Annabell endlich mal neidisch auf mich. Lydia ist nämlich eine berühmte Schriftstellerin.“
„Nun übertreibst du aber“, wirft Lydia schnell vorwurfsvoll ein.
„Das ist nett von Ihnen, dass Sie mitfahren“, sagt Annika.
Lydia reicht dem jungen Mädchen die Hand und sagt: „Ich bin die Patentante von dieser quirligen Tilly. Du musst nicht Sie zu mir sagen.“
Nun lächelt Annika das erste Mal etwas und erwidert schüchtern die Begrüßung. Ihr Händchen verschwindet in Lydias Hand.
„Wieso habe ich dich nicht eher kennengelernt?“, fragt Lydia.
„Ich habe die Klasse gewechselt“, antwortet Annika nur kurz angebunden.
Tilly greift nach Annikas Hand und zieht sie hinter sich her. Sie geht laut plappernd ins Haus und Annika folgt ihr wie erwartet – geräuschlos.
Lydia klappt ihren Laptop zu. Die Gedanken an ihre freiwillige Teilnahme an der bevorstehenden Klassenfahrt muss sie erst einmal verdauen. Sie hofft, nicht übereilt zugesagt zu haben und geht zu Christine ins Haus.
Sie verabschiedet sich, natürlich mit einem großen Dankeschön, dass sie so oft bei ihr sein kann.
„Das nächste Mal bringe ich Eis mit“, verspricht sie.
Das ist nämlich die einzige Nahrung, die Christine nicht selber herstellt und somit ist es auch keine Beleidigung, Eis zu kaufen. Lydia hatte schon mehrmals versucht Pizza oder Kuchen mitzubringen.
Da war Christine jedes Mal beleidigt, weil: „So etwas kann ich doch selber machen“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Ja, das weiß ich. Ich habe es ja nur gut gemeint“, hatte Lydia geantwortet.
Als Lydia am Abend im Bett liegt, erinnert sie sich wieder an Annika, die wie ein Häufchen Unglück gewirkt hat.
„ Da muss ich doch unbedingt Christine mal fragen, was mit der Kleinen los ist“ , sind ihre letzten Gedanken des Tages.
Am Samstag fährt der Möbelwagen bereits am frühen Vormittag an Juttas Wohnhaus vor.
Mit lautem, langanhaltendem Hupen kündigt Rüdiger sein Kommen an.
Beim Blick aus dem Fenster denkt Jutta: „Für die paar Möbel hätte doch ein Lieferwagen gereicht. Typisch Rüdiger. Er muss wieder maßlos übertreiben.“
Sie geht mit Jenny nach unten.
Rüdiger begrüßt seine Tochter mit einer Umarmung und zu Jutta sagt er flüchtig: „Hallo.“
Die beiden Lehrlinge vom Autohaus, Sören und Holger, springen aus dem Fahrerhaus und nicken Jutta freundlich zu. Sie nehmen sich die ersten Teile, um sie hochzutragen. Jenny läuft vor und zeigt ihnen, wo alles hin soll.
Rüdiger schiebt die nächsten Kisten nach vorn.
Jutta ergreift gleich die Gelegenheit und erzählt ihm von Jennys Schulproblemen.
„Herr Holm meint, dass sie vielleicht nicht versetzt wird.“ Rüdiger sieht Jutta wütend an.
„Ach, das wundert dich wirklich? Hättest dich eben um deine Tochter kümmern müssen. Zeit genug hattest du ja. Überarbeiten musstest du dich bei mir nicht.“
Er zeigt auf die Ladefläche und sagt: „Ich habe dir alle Möbel mitgebracht, die ich nicht brauche. Nicht, dass du rumerzählst, ich hätte dich ohne etwas aus dem Haus gejagt. Das Schlafzimmer will ich auch nicht mehr. Besonders aufregende Erinnerungen hängen da sowieso nicht dran.“
Er schnappt sich Jennys Schreibtisch und lässt Jutta einfach stehen. Unterdessen sind die Jungs wieder nach unten gekommen, um die nächsten Teile in die Wohnung zu bringen.
Da Rüdiger nicht in der Nähe ist, fragt Holger: „Wie geht es Ihnen?“
„Ganz gut“, antwortet Jutta. „Das ist ja wie ein Wunder, dass ihr so viele Möbel mitbringt.“
Holger grinst und fragt: „Sie wissen nicht, warum der Chef Ihnen so viel überlässt, oder?“
„Nein. Ich bin schon etwas erstaunt.“
„Hat Jenny denn nichts erzählt?“, fragt Sören verdutzt.
„Nein.“
Holger sieht sich um und überzeugt sich, dass sein Chef wirklich nicht in der Nähe ist.
„Die Neue vom Junior-Chef ist doch gleich zwei Tage nach Ihrem Auszug eingezogen. Die hat vielleicht ein Theater gemacht. Das Mindeste wäre ein neues Schlafzimmer. Sie würde nicht in dem Bett schlafen, das von ihrer Vorgängerin noch warm ist. Die hat so laut gewettert, dass es bis zur Werkstatt zu hören war. Dem Senior-Chef war das ziemlich unangenehm. Er brüllte uns an, ob wir nicht genug zu tun hätten. Aber gehört ist gehört“, kichert er in sich hinein und freut sich, Jutta mit Neuigkeiten versorgen zu können.
Jutta ist geschockt und steht da, wie vor den Kopf gestoßen. Ihre Gedanken kreisen. Sie versucht, sich an Auffälligkeiten der letzten Monate in Rüdigers Verhalten zu erinnern.
„ Rüdiger hat also eine Neue. Das kann doch nicht sein, oder? Wie lange geht das denn schon, wenn die so schnell eingezogen ist?“
Nun kann sie auch Jennys Reaktion verstehen.
Da Rüdiger gerade nach unten kommt, nehmen sich die Jungs weitere Möbelstücke und gehen, einen verschwörerischen Blick in Juttas Richtung hinterlassend, nach oben. Jutta staunt nicht schlecht, als sich so nach und nach ihre Wohnung füllt.
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