„Wenn Papas Baby da ist, ist es auch mit deiner Freiheit aus. Du wirst bestimmt zum Babysitten eingeteilt“, sagt Jutta schmunzelnd.
„Das können die aber vergessen. Eigentlich habe ich jetzt schon gar keine Zeit mehr, um lange dort rumzusitzen. Cynthia wird nicht erfreut sein, dass ich komme. Vielleicht muss ich mit ihr shoppen gehen und Babyzeug aussuchen. Darauf habe ich vielleicht Lust.“
„Papa wird schon etwas mit dir unternehmen, und Oma und Opa freuen sich sicher auch auf dich.“
„Meinst du wirklich?“, fragt Jenny etwas verunsichert.
„Ganz bestimmt. Die haben dich doch lieb“, sagt Jutta.
„Vielleicht können sie es nur nicht so zeigen“, sagt Jenny zweifelnd. „Ich mache mich dann mal auf die Socken. Tschüss, Mama. Langweile dich nicht ohne mich.“
„Ganz bestimmt nicht. Viel Spaß.“
Jutta kocht sich eine Tasse Kaffee und setzt sich ins Wohnzimmer. Endlich hat sie etwas Zeit für sich. Im Büro ist eine angespannte Situation. Alle warten dringend darauf, dass Tom aus Ägypten zurückkommt. Sie freut sich auf die Abwechslung am nächsten Tag. Endlich wird sie sehen, wo Jenny sich so begeistert aufhält. Den Andy wird sie sich genau anschauen und notfalls vornehmen. Sie hatte gehofft, dass es noch etwas dauert, bis Jenny sich für Jungs interessiert. Aber da kann man nichts machen. Wenn sie an Max Schöne zurückdenkt, der hatte auch allen Mädchen den Kopf verdreht. Sie möchte nicht wissen, in wie vielen Tagebüchern von ihm geschwärmt wurde.
Die Türklingel reißt sie aus ihren Gedanken.
Vor der Tür steht ein älterer Herr, der sie freundlich anspricht: „Guten Tag, Frau Seidel. Mein Name ist Winkler. Ich würde sie gern einmal sprechen.“
„Worum geht es?“, fragt Jutta etwas barsch, denn sie hat keine Lust, sich einen Staubsauger oder Versicherungen andrehen zu lassen.
„Um ihre Mutter“, sagt Herr Winkler.
„Oh, ist ihr etwas passiert?“, fragt sie erschrocken.
„Nein, nein. Es geht um etwas anderes.“
„Kommen Sie bitte herein. Möchten sie einen Kaffee?“
„Das wäre nett, aber nicht nötig.“
„Der Kaffee ist schon fertig. Da muss ich den nicht allein trinken. Das soll ja nicht gut fürs Herz sein“, sagt Jutta.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt Herr Winkler, nachdem er sich gesetzt hat.
„Vielleicht am Anfang“, sagt Jutta. „Worum geht es denn? Hat meine Mutter sie verärgert?“
„Nein. Im Gegenteil.“
Neugierig geworden, hebt Jutta den Kopf. Herr Winkler atmet tief ein.
„Seit einem halben Jahr treffe ich ihre Mutter oft auf dem Friedhof. Das Grab meiner Frau ist gleich neben dem ihres Vaters. Wir unterhalten uns oft. Ich konnte feststellen, dass wir einige Gemeinsamkeiten haben. Wissen Sie, das Leben ist für uns noch nicht vorbei.“
Jutta nickt ihm zu und hofft gespannt, dass er bald zum Ausdruck bringt, was er eigentlich sagen will. Aber er macht erst einmal eine längere Pause.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie.
„Eigentlich gar nicht“, antwortet er.
„Dann weiß ich nicht, was sie von mir wollen.“
„Wissen Sie, ich möchte nichts falsch machen. Vielleicht erzähle ich Ihnen einfach, was mir auf der Seele liegt.“
Jutta nickt ihm aufmunternd zu.
„Meine Frau ist schon seit zwei Jahren nicht mehr da. Sie ist an Krebs gestorben.“
Wieder macht er eine Pause und schluckt die aufsteigenden Tränen runter.
„Das tut mir leid“, sagt Jutta. „Sicher war das eine schwere Zeit für Sie.“
„Das können sie glauben. Für mich war das Schlimmste, dass ich ihr nicht helfen konnte.“
Er atmet tief durch und spricht nicht weiter.
„Und was hat das mit meiner Mutter zu tun?“, fragt Jutta, um ihn auf den Punkt zu bringen.
„Nichts. Es geht eher um meine Tochter.“
Jutta schüttelt den Kopf, denn sie versteht nun gar nichts mehr. Herr Winkler grübelt und sucht nach den passenden Worten.
„Wissen Sie, ich will nichts falsch machen“, sagt er noch einmal und sieht Jutta direkt in die Augen.
„Herr Winkler, nun sagen Sie einfach hintereinander weg, was sie bedrückt und ich sage Ihnen dann, ob ich es für falsch oder richtig halte.“
„Sie haben ja Recht. Ich will Sie gar nicht lange aufhalten.
Seit Tagen überlege ich schon, ob ich überhaupt zu Ihnen kommen soll.“
„Nun sind sie einmal da – also raus mit der Sprache“, muntert Jutta ihn auf.
„Meine Tochter verlangt von mir, dass ich allein bleibe. Nur so kann ich das Andenken an meine Frau bewahren, sagt sie. Sie hat mich aber schon mehrmals erwischt, wie ich mit ihrer Mutter auf dem Friedhof gesprochen habe und sie auch in meiner Wohnung angetroffen. Daraufhin hat sie mir eine unschöne Szene gemacht und seit diesem Tag kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich bekam nur einen Brief von ihrem Anwalt, in dem sie ihren Erbteil fordert. Sollte ich zur Vernunft kommen, dann würde sie darauf verzichten und sich um mich kümmern.“
In seinen Augen schimmern Tränen.
„Das ist ja Erpressung“, rutscht es Jutta raus. Sie kann das Gehörte kaum begreifen. „Wie kann ich Ihnen dabei helfen? Wollen Sie etwa, dass ich mit Ihrer Tochter spreche? Da bin ich nicht gut drin. Wissen Sie, ich habe gerade die Trennung von meinem Mann zu verkraften und genug eigene Probleme.“
„Nein, nein“, wehrt er ab und schüttelt den Kopf. „Das sollen Sie nicht.“
Darüber ist Jutta sehr erleichtert. Nach längerer Überlegung sagt sie: „Das finde ich ziemlich egoistisch von ihrer Tochter. Sie sollte doch froh sein, wenn es Ihnen gut geht. Hat sie keine eigene Familie, um die sie sich kümmern kann?“
„Doch. Aber ihr Mann hat sich nach dieser Aktion von ihr getrennt. Er findet das auch nicht schön. Traurig macht mich ganz besonders, dass mein Enkel darunter leidet. Meine Tochter hat ihm den Kontakt zu mir und seinem Vater verboten.“
„Das ist ja furchtbar. Da merke ich erst mal, wie gut es mir eigentlich geht“, stellt Jutta fest.
„Mein Schwiegersohn kommt mich ab und zu besuchen. Aber das tut uns beiden nur weh“, sagt Herr Winkler.
„Das kann ich mir vorstellen. Ich weiß aber immer noch nicht, was ich damit zu tun habe.“
„Ja, also. Weswegen ich zu Ihnen gekommen bin .....“
Es fällt ihm sichtlich schwer, sein Anliegen vorzubringen.
Jutta sieht ihn mit einem auffordernden Augenaufschlag an.
„Ich würde mich gern weiter mit Ihrer Mutter treffen, habe aber Angst, dass sie dann Ärger mit Ihnen bekommt.“
„Mit mir?“, fragt Jutta erstaunt. „Warum das denn? Hat sie so etwas angedeutet?“
„Nein. Wir haben darüber noch gar nicht gesprochen. Eigentlich wollte ich erst einmal Ihre Meinung hören und Sie um Erlaubnis fragen. Nicht, dass Sie Ihre Mutter auch verklagen.“
„Ich verstehe. Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ich leide eher darunter, dass meine Mutter so traurig und unzufrieden ist und weiß gar nicht, wie ich ihr entgegentreten soll. Also, wenn Sie meine Erlaubnis wollen, die haben Sie“, grinst Jutta jetzt übers ganze Gesicht. „Für mich wäre das die Lösung eines großen Problems. Ich wünsche Ihnen viel Glück und starke Nerven, denn die werden Sie brauchen, um meine Mutter für sich zu gewinnen. Es wird viel Geduld nötig sein.“
„Ich weiß. Die Geduld werde ich aufbringen. Ihre Mutter ist eine nette Frau. Und wer sollte sie mehr verstehen, als ein alter Witwer?“
Jutta nickt ihm zustimmend zu.
Herr Winkler steht auf und geht in den Flur.
„Ich bin sehr erleichtert und danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. Aber jetzt möchte ich Sie nicht länger belästigen.“
„Das war eine eher angenehme Belästigung“, lächelt Jutta. Sie ist so froh, dass sich mit etwas Glück die Unzufriedenheit ihrer Mutter in nächster Zeit eventuell in Luft auflösen wird. Sie begleitet ihren Gast zur Tür.
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