„Wenn das keine freundliche Aufforderung ist, hier zu verschwinden“, sagt Jutta zu Markus. „Dann wird es leider nichts mit einem Kaffee. Sie wollen doch Janek helfen. Ist das dort Andy, der neben meiner Tochter reitet?“
Markus sieht sie enttäuscht an und sagt nur: „Ja.“
„Na, dann will ich mal. Wir sehen uns morgen in der Agentur“, sagt sie förmlich, dreht sich um und macht, dass sie wegkommt.
Sie hat das Gefühl, ihre Atmung setzt aus und der Boden unter ihr schwankt.
„ Mein Gott, nun lass mich doch hier keinen Abgang machen, als wäre ich betrunken“ , schimpft sie mit dem für sie einzigen Schuldigen.
In der Nacht hat sie einen Traum, der sie schnell in die Realität zurückholt.
Hand in Hand geht sie mit Markus spazieren. Sie sehen sich tief in die Augen. Jutta fühlt sich so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Nach einiger Zeit hören sie Janek, der im Galopp hinter ihnen her kommt, rufen: „Papa! Du sollst nach Hause kommen. Mama wartet.“
Markus schaut Jutta entsetzt an und stößt sie von sich weg.
Sie schreckt hoch und setzt sich auf. Ihr Herz rast, und Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn. Als sie wieder einen klaren Gedanken fassen kann, kommt sie zu dem Entschluss: „Ich muss Olli unbedingt sagen, dass ich nicht bei ihm arbeiten kann. So leid es mir tut. Das halten meine Nerven nicht aus.“
Nach längerer Zeit fällt sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumt, dass eine wütende Frau sie verfolgt und ist froh, als der Wecker mit seinem Klingeln sie zum Aufwachen zwingt.
Sie geht ins Bad, spritzt sich reichlich kaltes Wasser ins Gesicht und sagt zu ihrem Spiegelbild: „Du siehst aus, als hättest du diese Nacht erfolglos an einem Ringkampf teilgenommen.“
Dann kocht sie sich einen starken Kaffee und setzt sich ans Fenster. Es regnet in Strömen.
„ Das Wetter passt zu meiner Stimmung“, denkt sie.
Bevor sie geht, schreibt sie ihrer Tochter einen Zettel.
`Liebe Jenny, wenn du heute nicht in den Stall fährst, kannst du Mittag zu mir ins Büro kommen, und wir gehen Pizza essen. Gruß und Kuss Mama.´
Leise schließt sie die Wohnungstür und macht sich auf den Weg. Sie überlegt hin und her, was sie tun soll. Olli will sie nicht im Stich lassen, aber Markus kann sie nicht mehr sehen. Das würde bestimmt in einer Katastrophe enden.
„ Ich bin doch auch nur ein Mensch, besser gesagt eine schwache Frau“ , entschuldigt sie ihre Empfindungen vor sich selbst. „Wenn Markus mich weiter so anhimmelt, weiß ich nicht, wie ich reagieren werde. Dann werfe ich mich aus Verzweiflung in seine Arme. Vielleicht ist er aber zu allen Frauen so, und ich blamiere mich dann bis auf die Knochen. Bin ich etwa schon so ausgehungert nach Zärtlichkeit und Liebe, dass ich sein Verhalten falsch interpretiere?“ , kommt ihr in den Sinn.
Sie hat ein flaues Gefühl im Bauch, als sie das Büro betritt.
„Guten Morgen, Frau Wiehmer“, sagt sie.
„Kindchen, wie sehen Sie denn aus?“, fragt diese besorgt.
„Ich habe schlecht geschlafen. Ist Olli schon da?“
„Nein, er kommt später. Herr Siebert auch. Der ist mit seiner Frau unterwegs.“
Juttas Herz setzt kurz aus und sie spürt, wie sich ihr Magen zusammenzieht.
„Ich gehe dann mal an meine Arbeit“, sagt sie.
Sie setzt sich an den Schreibtisch und guckt auf den Bildschirm. Sie ist allerdings nicht bei der Sache.
Das Klopfen kurze Zeit später ignoriert sie, aus Angst, es könnte Markus sein. Frau Wiehmer öffnet die Tür und sieht sie besorgt an.
„Hier, trinken Sie erst mal einen warmen Kräutertee, danach geht es Ihnen bestimmt besser.“
„Vielen Dank“, sagt Jutta.
„Bevor ich es vergesse, Ihre Tochter hat angerufen. Sie war sehr in Eile, deshalb soll ich Ihnen nur ausrichten, dass sie in den Stall fährt. Die Tiere müssen auch bei Regen versorgt werden, soll ich Ihnen sagen. Sie hat bereits ihre Sachen mitgenommen und bleibt bis Sonntag auf dem Hof.“
„Danke, dann weiß ich Bescheid.“
Auf die Arbeit kann sie sich nicht konzentrieren.
„ Am besten, ich mache jetzt Schluss, gehe zum Arzt und lasse mich für ein paar Monate krankschreiben“ , überdenkt sie ihre Situation.
In der Zwischenzeit hat sie wirklich schon Magenschmerzen und ihr ist schwindlig. Sie schließt die Augen und sieht ….. Markus vor sich.
„Danke auch“, murmelt sie vor sich hin.
„ Dann sage ich dem Arzt, dass ich Wahnvorstellungen habe und Selbstgespräche führe.“
„ Und vergiss die Albträume nicht“ , kichert jemand in ihrem Ohr.
„ Ich glaube, ich verliere den Verstand.“
Sie macht sich allmählich um sich selbst ernsthaft Sorgen. Sie legt ihre kalte Hand auf die heiße Stirn und schließt die Augen.
Kurze Zeit später klopft es wieder.
„Kommen Sie ruhig herein, Frau Wiehmer, und danke für den Tee. Der hat geholfen. Mir geht es schon besser“, sagt sie, ohne hochzusehen.
„Das freut mich. Dann können wir ja heute endlich zusammen die Mittagspause verbringen“, vernimmt sie die angenehme Stimme von Markus.
„Niemals!“, ruft sie.
Über die Heftigkeit ist sie selbst erschrocken.
Markus sieht sie entsetzt an.
„Aber .....“
„Das können Sie mit mir nicht machen. Wissen Sie eigentlich wie schlecht es mir geht?“, schleudert Jutta ihm entgegen.
„Aber .....“
„Ich werde mit Ihnen nicht essen gehen und auch keinen Kaffee trinken. Sie müssen mich auch nicht mehr verfolgen.“
„Aber .....“, versucht es Markus wieder.
„Nun lassen Sie doch Ihr albernes Aber. Zwischen uns gibt es kein Aber, und es wird auch nie eins geben. Da könnte jeder Verheiratete kommen. Lassen Sie mich einfach in Ruhe“, schreit sie hysterisch.
Tränen laufen ihr über die Wangen. Sie springt auf, schnappt ihre Tasche, schiebt sich an Markus vorbei und verlässt fluchtartig den Raum. Im Flur stößt sie mit Olli zusammen. Er hat gerade angesetzt zu sprechen: „Ich wollte euch bitten, Tom und mich in das Büro zu lassen, aber das hat sich ja jetzt erledigt. Jutta? Wo willst du denn hin?
Was ist passiert?“, ruft er ihr hinterher.
Sie läuft aber schon die Treppe runter, stürmt über den Parkplatz und springt in ihr Auto. Sie hat sich noch nie so verzweifelt gefühlt.
Die Männer stehen ratlos im Flur und sehen sich an. Olli fällt dann ein: „Ach ja. Tom, wir müssen miteinander reden.“
Olli wirft Markus noch schnell einen fragenden Blick zu. Er zuckt aber nur mit den Schultern, schüttelt den Kopf und geht mit Frau Wiehmer in Grits Büro. Alle drei sind angespannt, denn sie wissen, dass endlich eine Entscheidung fallen muss, und diese beeinflusst auch ihre Zukunft.
„Was ist denn mit Jutta los?“, fragt Frau Wiehmer besorgt. „Sie sah heute früh schon ziemlich krank aus.“
„Manchmal kommt eben alles zusammen“, sagt Grit. „Nur gut, dass Frau Seidel ihre Probleme so raus lassen kann. Meine Tante hat sich immer alles gefallen lassen und jahrelang alle Brocken geschluckt, die das Leben ihr hingeworfen hat. Die musste in die Psychiatrie. Es hat sehr lange gedauert, bis die Ärzte wieder alles von ihrer Seele geknaupelt hatten.“
Nachdenklich sehen alle drei vor sich hin und hoffen, dass Olli ihnen bald reinen Wein einschenken kann.
In Toms Büro ist es lange still.
Jutta liegt zu Hause auf ihrem Bett und heult, was ihre Tränendrüsen hergeben. Sie kann sich nicht erinnern, jemals so außer sich gewesen zu sein. Wahrscheinlich hatte sie noch nie genug Grund, dermaßen aus der Haut zu fahren.
„ Im Büro kann ich mich nie wieder sehen lassen. Markus ist ab sofort Luft für mich. Hoffentlich hat niemand den wahren Grund für meine Verzweiflung erraten“ , hofft sie und putzt sich geräuschvoll die Nase.
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