Jutta hört: „Und Andy, der ist voll süß .....“
Jenny bemerkt, dass ihre Mutter mithören kann und schließt die Tür.
„ Sollte Jenny wirklich verliebt sein? Hoffentlich nicht. In diesem Alter ist eine Schwärmerei für einen Jungen unberechenbar “ , erinnert sie sich wieder an Max Schöne.
Durch Jennys Anwesenheit ist sie für ein Weilchen abgelenkt von der Achterbahnfahrt ihrer Gefühle. Ein bisschen graut ihr vor dem nächsten Tag. Sie wird Jenny früh zum Bahnhof bringen und dann .....
Die Vorstellung, dass sie allein sein wird, lässt sie etwas traurig werden.
In der Nacht schläft Jutta unruhig und träumt.
Sie sitzt im Büro. Alle Kollegen stehen um sie herum, zeigen mit den Fingern auf sie und lachen aus voller Kehle. Markus scheint über ihre Dummheit regelrecht zu triumphieren, denn es stehen ihm vor lauter Erheiterung Tränen in den Augen. Sie ist so verzweifelt darüber, dass sie schweißgebadet erwacht.
„ Ob ich mal mit Christine oder Lydia über alles spreche? Hauptsache, Olli erfährt nichts von meinen Gefühlen. Er ist ein Mann und versteht so etwas sicher nicht. Der verquatscht sich vielleicht noch bei Markus und dann stehe ich total dumm da.“
Ihre Gedanken kreisen auch um Herrn Winkler und Janek. Ihr fällt ein, dass er bei seinem ersten Besuch von seinem Enkel erzählt hatte.
Wie war das?
Ach ja, er darf seinen Enkel nicht sehen.
Warum eigentlich nicht?
„ Weil seine Tochter etwas dagegen hat, dass er mit meiner Mutter zusammen sein möchte“ , ruft sie sich in Erinnerung. Und deshalb verbietet sie Janek den Kontakt zu ihm. Dann fällt ihr ein, dass Janek ja auch der Sohn von Markus ist.
Sofort zieht sich ihr Bauch zusammen. Sie rollt sich zusammen und beginnt wieder zu weinen.
„Sentimentale Kuh“, sagt sie zu sich, nachdem sie sich etwas beruhigt hat. „Herr Winkler hat viel größere Probleme als du.“
Also, noch einmal. Janek ist der Enkel von Herrn Winkler und der Sohn von Markus.
„ Hatte Herr Winkler nicht erzählt, dass seine Tochter sich von ihrem Mann getrennt hat oder er sich von ihr?“
Jutta läuft es kalt über den Rücken.
Das würde auch den Besuch von Markus auf dem Reitplatz und die stürmische Begrüßung erklären.
„ Die beiden haben sich heimlich getroffen“ , erinnert sie sich, dass ihr irgendetwas seltsam vorkam. Aber mit ihrem verklemmten Denken war sie ja zu keiner optimalen Wahrnehmung mehr fähig.
Ihre Gedanken kreisen und sie kommt zu dem Entschluss, dass es wirklich so sein muss. Markus lebt nicht mehr mit seiner Frau zusammen. Selbst, dass sie sich ab und zu treffen, kann ja ganz andere als erfreuliche Gründe haben.
Als ihr das alles bewusst wird, fängt ihr Herz an zu rasen, als würde sie gerade eine Eintausend-Meter-Strecke in Bestzeit laufen.
Gleichzeitig ist sie sehr erleichtert.
Dann hat Markus ihr die ganze Zeit vielleicht nur signalisieren wollen, dass er sie näher kennenlernen möchte, oder so. „Und ich dumme Pute habe nur Rot gesehen. Wie soll ich das nur wieder geraderücken? Ich kann doch Markus nicht mehr unter die Augen treten.“
Sie erinnert sich an seinen entsetzten Gesichtsausdruck, als er ihr etwas sagen wollte, sie ihn aber nicht zu Wort hat kommen lassen. Peinlich, peinlich.
„ Typisch Frau “ , muss er gedacht haben. „Morgen früh bringe ich Jenny zum Bahnhof, dann tanke ich viel Mut und entschuldige mich bei allen im Büro“ , nimmt sie sich vor und schon während der Überlegung, graut ihr vor der Konfrontation mit Markus.
„Danach wird eventuell alles gut, aber erst .....“, sagt sie sich, „steht mir ein schwerer Gang bevor.“
Ein bisschen kann sie sich auch wieder auf die Arbeit in der Agentur freuen. Sie wird etwas ruhiger und schläft mit einem ihr unbekannten, aber sehr schönen Gefühl im Bauch, ein.
„Mama, aufstehen! Sonst verpasse ich meinen Zug“, hört sie Jenny rufen.
Jutta setzt sich auf und sieht zur Uhr.
„Ich muss noch einmal eingeschlafen sein. Komm schnell. Ein kleines Frühstück schaffen wir noch.“
Etwas in Eile fährt sie Jenny zum Bahnhof.
„Mach´s gut, Jenny“, sagt Jutta nur zum Abschied.
„Ich rufe dich heute Abend an und sage dir, ob ich gut angekommen bin. Und wenn du dich langweilst, komme ich sofort zurück. Du musst nur etwas sagen“, sagt Jenny mit flehenden Augen.
„Das könnte dir so passen. Dann bin ich wieder schuld“, antwortet Jutta.
Beide drücken sich noch einmal fest, dann wird es Zeit, dass Jenny einsteigt. Traurig winkt sie ihrer Mutter zu, als der Zug sich in Bewegung setzt.
„ Diese Besuche kann ich ihr leider nicht abnehmen“ , denkt Jutta, „und würde ich auch nicht. Nie wieder dorthin zurück!“
Sehr zufrieden ist sie mit ihrer Wohnsituation und dem neuen Job, auf den sie sich immer mehr freut, das Zusammensein mit Christine, Lydia und Olli – wie sehr hatte sie doch alle vermisst. Und wenn Herr Winkler ihre Mutter mit der Zeit umgänglicher stimmt, sollte auch da Freude vorprogrammiert sein. Jenny wird sich mit ihrem Vater und den Großeltern auseinandersetzen müssen. Es ist ihre freie Entscheidung, zu Besuch zu fahren. Zwingen wird sie sie nie dazu.
Auf dem Weg zum Parkplatz überlegt sie, dass sie nur über die Straße gehen muss und schon in der Agentur ist. Sie bleibt stehen und versucht, sich zu beruhigen.
„ Heute früh musste alles viel zu schnell gehen, sodass ich gar nicht überlegen konnte, was ich zu den anderen sagen soll.“
Ihr kommen Zweifel.
„ Es ist vielleicht doch besser, wenn ich erst einmal nach Hause fahre und meine Gedanken sammle .....“
„ Feigling“ , meldet sich ihr Unterbewusstsein.
„ Ja, ich weiß. Sich selbst zu belügen bringt nichts. Jutta, du gehst jetzt dort rüber und bringst in Ordnung, was du verpatzt hast!“ , gibt sie sich einen Befehl.
Es fällt ihr sehr schwer, die paar Stufen zum Büro hochzugehen. Sie atmet tief ein, drückt auf die Klinke und steht schon am Empfang.
„Das ist aber schön, dass Sie kommen“, wird sie von Frau Wiehmer herzlich begrüßt. „Haben Sie es schon gehört? Herr Wagner muss die Agentur nicht schließen.“
„Ja, ich weiß. Eigentlich wollte ich mich nur kurz entschuldigen, wegen Freitag .....“, stammelt sie.
„Das müssen Sie nicht. Es ist durchaus verständlich, dass Ihnen alles über den Kopf gewachsen ist. Schließlich haben Sie eine große Verantwortung, so allein mit Ihrer Tochter. Ich sage Herrn Wagner gleich, dass Sie da sind. Er macht sich auch große Sorgen um Sie und Herr Siebert ist ratlos, weil er nicht weiß, was mit Ihnen los ist.“
Jutta packt das schlechte Gewissen, gleichzeitig ist sie aber erleichtert, dass sie den Mut aufgebracht hat, gleich reinen Tisch zu machen.
Olli hat durch die offene Tür gehört, dass Jutta da ist und kommt ihr entgegen.
„Na du? Sieht die Welt heute besser aus?“
„Ja“, sagt sie. „Olli, es tut mir schrecklich leid. Ich war so dumm. Gestern Abend hat sich alles aufgeklärt. Wenn du meinen Job noch niemandem gegeben hast, was ich jedoch durchaus nachvollziehen könnte, dann würde ich wirklich gern hier mitarbeiten.“
„Du Dummchen“, sagt Olli begeistert. „Eine engagiertere Mitarbeiterin kann ich mir nicht vorstellen. Ich mache nachher gleich deinen Vertrag fertig. Hast du am Freitag eigentlich alles verstanden, was ich dir erzählt habe?“
„Viel habe ich leider nicht mitbekommen, das Wesentliche schon“, antwortet sie und sieht sich suchend um. „Jetzt würde ich noch gern Herrn Siebert sprechen“, sagt sie zu Olli und denkt: „Auch wenn ich mich zum Trottel mache und dabei in Ohnmacht falle oder mich auf eine andere Art blamiere. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Vielleicht sollte jemand vorsorglich den Notarzt rufen.“
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