Grit sieht erleichtert aus.
„Ich würde vorschlagen“, sagt Markus, „Grit, du übergibst heute noch alle Unterlagen zu den Anzeigen an Frau Seidel und erklärst ihr alles. Und morgen früh, setzt du dich zu mir, damit ich dich einarbeiten kann. Du bist schnell wieder im laufenden Programm. Die ersten Aufträge können wir ja gemeinsam machen.“
„Frau Seidel, kommen Sie am besten gleich mit zu mir“, sagt Grit und geht in ihr Büro.
„Ob denn überhaupt noch eine Möglichkeit besteht, dass die Agentur nicht geschlossen wird?“, fragt Frau Wiehmer.
Jutta bemerkt, dass Tränen in ihren Augen schimmern. Sie geht zu ihr und setzt sich neben sie.
„Ich denke, in spätestens zwei Wochen wissen wir mehr. So lange wird die Klärung mit den ganzen Unstimmigkeiten ungefähr dauern. Und Tom hat ja auch ein Wörtchen mitzureden.“
„Ich kann schon gar nicht mehr schlafen. Das lässt mir keine Ruhe. Ich bekomme doch nirgendwo mehr Arbeit.“
Frau Wiehmer weint.
Jutta holt ein Päckchen Taschentücher und gibt es ihr.
„Das geht uns anderen auch so. Wir müssen Olli alle in der nächsten Zeit unter die Arme greifen. Wenn er wieder vom Anwalt zurück ist, erfahren wir vielleicht schon gute Nachrichten“, tröstet sie die ältere Frau und damit auch sich selbst. „Gehen Sie an Ihren Kampfplatz und wimmeln die Nervensägen ab, und ich lasse mir von Grit den ganzen Mist aufladen.“
Frau Wiehmer putzt sich die Nase und lächelt gequält.
Zwölf Uhr verabschiedet sich Markus zur Mittagspause. Als er gegangen ist, fragt Jutta ihre beiden Kolleginnen, ob sie zusammen essen wollen.
„Eine Pause haben wir uns verdient. Ich sehe nur noch Anzeigengrößen, Farbe oder eben keine Farbe und Rabatte. Das scheint wirklich ein Mist zu sein“, sagt sie scherzhaft zu Grit.
Die drei Frauen bemühen sich um ein Gespräch, aber die drohende Schließung der Agentur geht ihnen nicht aus dem Kopf. Sie sitzen die meiste Zeit schweigend da. Jutta ist froh, nicht schon wieder Markus in ihrer Nähe ertragen zu müssen. Sie würde gern über seine Familienverhältnisse Bescheid wissen. Traut sich aber nicht nachzufragen, denn sie hat Angst, dass ihr Mienenspiel sie verrät.
Vierzehn Uhr ist Olli immer noch nicht zurück. Über der Agentur liegt eine angespannte Ruhe.
Fünfzehn Uhr dreißig öffnet sich endlich die Tür und Olli kommt herein. Alle stürmen zum Empfang und sehen ihn erwartungsvoll an.
„Ich muss mich erst einmal sammeln“, sagt er und lässt sich in einen Sessel fallen. „Mein Anwalt war sehr erstaunt, nachdem er sich die Unterlagen angesehen hatte. Aber mehr über meine Naivität. Er fragte mich, warum ich mir das Nichtstun von Tom so lange angesehen habe. Als wir uns zusammengeschlossen haben, war Tom voller Tatendrang und hat Kunden rangeschafft. Ich hätte doch nie gedacht, dass ich ihn irgendwann einmal kontrollieren muss. Ich hatte doch Vertrauen. Mir hätte es auch nicht gefallen, wenn er mir auf die Finger geschaut hätte, so als wäre ich ein Betrüger. Das kann doch niemand ahnen“, sagt Olli verzweifelt.
„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragt Frau Wiehmer unter Tränen.
„Tom muss freiwillig der Auflösung unseres Vertrages zustimmen. Das ist mein größtes Problem. Falls er sein Einverständnis nicht gibt, muss ich ihn verklagen und das kann sich sehr lange hinziehen. Die Agentur kann ich auch allein weiterführen, oder eben Tom, wenn er will. Deshalb bin ich nach dem Termin beim Anwalt gleich zu ihm nach Hause gefahren. Ich war gerade so schön in Fahrt. Es war jedoch nur seine Frau da. Sie hat mir erzählt, dass Tom zu einem Wüstenmarathon in Ägypten ist. Sie fragte mich, was ich will, und als ich ihr erzählte, dass die Agentur vor dem Aus steht, hat sie mir vielleicht die Meinung gesagt. Tom hätte ihr schon erzählt, dass ich ihm sein Hobby nicht gönnen würde und mich weigere, einige seiner Kunden vertretungsweise zu bearbeiten. Ich sollte doch mal in mich gehen und an unsere langjährige Freundschaft denken. Dann hat sie die Tür einfach zugeknallt. Wir müssen warten, bis er zurück ist. Das ist vielleicht auch gut so, dann habe ich etwas Zeit, mich in Ruhe darauf vorzubereiten.“
„Jetzt wissen wir wenigstens so ungefähr, woran wir sind“, sagt Markus. „Wir waren in der Zwischenzeit auch nicht untätig und haben uns ausgemacht, dass Grit ab morgen bei mir mitarbeitet. Es wird nicht lange dauern, und sie kann selbstständig alles erledigen. Außerdem bin ich nicht aus der Welt.“
„Und ich habe bereits den ganzen Anzeigenmist übernommen. So schlimm ist das nicht. Mir sind schon ein paar Ideen gekommen“, ergänzt Jutta.
„Gut“, sagt Olli. „Ich bin euch allen sehr dankbar.“
„Endlich sind Sommerferien“, sagt Jenny erleichtert und legt ihrer Mutter das Zeugnis vor. „Du musst nicht meckern. Das nächste wird viel besser – versprochen.“
„Ich glaube dir“, antwortet Jutta. „Ich wollte doch überhaupt nicht schimpfen. Weißt du eigentlich wie erleichtert ich bin, dass du in den letzten Wochen freiwillig gelernt und Hausaufgaben gemacht hast? Sogar ohne zu murren bist du früh aufgestanden und in die Schule gegangen. Auf die Idee mit der Realschule hätten wir wirklich schon eher kommen können.“
Seit dem Gartenfest bei Christine hat Jenny fast jeden Nachmittag auf dem Reiterhof verbracht und trotzdem die Schule nicht vernachlässigt. Jutta ist das erste Mal stolz auf ihre Tochter. Nach längeren Diskussionen hat sich Jenny sogar bereit erklärt, eine Woche zu ihrem Vater zu fahren.
Trotzdem fragt sie immer wieder: „Muss ich wirklich so lange zu Papa? Das halte ich nicht aus. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich die Pferde vermissen werde.“
Jutta ahnt, warum Jenny zu Hause bleiben will. Der Name Andy fällt ihr zu oft.
„Wer ist eigentlich dieser Andy, von dem du ständig schwärmst“, fragt sie ihre Tochter.
Jenny senkt den Blick und wird rot.
„Ach der“, winkt sie lässig ab. „Das ist nur der Lehrling vom Reiterhof. Er kann sehr gut reiten und weiß einfach alles über Pferde. Ich habe viel von ihm gelernt. Wir sind auch schon öfter zusammen ausgeritten.“
Je länger sie erzählt, umso mehr kommt sie ins Schwärmen und ihre Augen leuchten.
„So, so, nur ausgeritten. War Tilly auch dabei?“, fragt Jutta interessiert.
„Manchmal. Aber Andy ist wirklich voll nett und sehr anständig. Du musst dir keine Sorgen machen.“
„Da werde ich doch bald mal mitkommen und diesen Andy unter die Lupe nehmen“, sagt Jutta. „Und vor allem, wie du schon reiten kannst, würde ich auch gern sehen. Vielleicht lohnen sich die Ausgaben für Reithose, Helm und Reitstunden überhaupt nicht.“
„Andy sagt, dass ich große Fortschritte mache“, erzählt Jenny ganz begeistert. „Er muss es ja wissen, denn er reitet schon fast zehn Jahre. Und Janek hat letztens auch zugesehen und mich nur etwas korrigieren müssen. Erst haben alle gelacht, weil ich mir den Wallach Lumpi ausgesucht habe. Inzwischen sind wir gute Freunde geworden. Sowie ich in seine Nähe komme, wiehert er schon. Ich weiß gar nicht, warum der zum Schlachter sollte. Er ist so ein ausgeglichenes Pferd und springen kann der, als hätte er Federn in seinen Gelenken.“
„Weißt du was? Morgen werde ich gegen Mittag Schluss machen. Dann komme ich zum Reiterhof und sehe mir Lumpi und deine Reitkünste an“, schlägt Jutta vor.
„Aber, dass du mich nicht vor Andy blamierst, Mama. Ich kenn dich doch“, warnt Jenny ihre Mutter.
„Du wirst es nicht glauben, sogar ich war früher einmal jung. Auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst.“
„Schade, dass Stella nicht mit zum Reiterhof darf“, sagt Jenny. „Dann könnten wir viel mehr Zeit miteinander verbringen. Kannst du dir vorstellen, dass sie die ganzen Ferien zu Hause rumsitzen und ihre kleinen Geschwister betreuen muss?“
Читать дальше