„Es gibt wirklich eine Menge zu tun. Hattest du gestern noch großen Ärger?“, lenkt sie von sich ab.
„Wenn du ein großes Schweigen zwischen Eheleuten als Ärger bezeichnest, dann ja“, sagt Olli. „Wir setzen uns nachher alle zusammen und teilen die Arbeit neu auf. Mir sind da ein paar Ideen gekommen. Wie lange brauchst du noch, um mir Zahlen zu nennen, wie pleite wir sind oder vielleicht auch nicht?“, fragt er.
„Noch eine Stunde, schätze ich.“
„Dann machen wir gegen zehn Uhr Frühstück und anschließend die Krisensitzung“, legt Olli fest und geht aus dem Zimmer.
Markus lächelt Jutta an und sagt: „Ich drücke uns allen die Daumen, dass Sie viele positive Zahlen zusammenrechnen können.“
Jutta lächelt zurück. „Ich gebe mein Bestes.“
„Gut, dann will ich mal nicht weiter stören“, sagt Markus und schließt die Tür.
Jutta atmet mehrmals tief durch und sieht verträumt vor sich hin.
„ Wie soll ich mich denn konzentrieren, wenn ich ständig sein Gesicht vor mir sehe? Ich fühle mich wie ein verliebter Teenager. Aus dem Alter sollte ich längst raus sein“ , denkt sie und macht sich an die Arbeit. Volle Konzentration hat ihr schon einmal geholfen, nicht an Markus denken zu müssen.
„ Solche Männer sind verheiratet und damit tabu!“ , ruft sie sich zur Ordnung.
Eine Menge Rechnungen und Kontoauszüge müssen zugeordnet werden. Seit Wochen ist alles liegengeblieben. Sie sortiert nach Datum und legt erst einmal zwei Stapel an. Schon nach kurzer Zeit bemerkt sie Abbuchungen, die ihre Alarmglocken in Bewegung setzen. Es bleibt ihr nichts weiter übrig, als erst einmal alle Belege durchzusehen. Die, auf denen Buchungen verzeichnet sind, die nichts mit der Agentur zu tun haben, kopiert sie und markiert die Auffälligkeiten.
„ Bevor ich hier überhaupt weitermachen kann, muss ich Olli informieren. Hoffentlich fällt er nicht vom Hocker.“
Sie nimmt ihren Fund und geht in Ollis Büro.
„Tut mir leid, aber ich muss schon wieder dringend mit dir sprechen“, sagt sie.
„Komm rein. Die ersten Kunden von Tom habe ich telefonisch über die Veränderungen in Kenntnis gesetzt und um Verständnis gebeten. Denen ist egal, wer die Aufträge bearbeitet, Hauptsache es wird alles zuverlässig erledigt. Dafür müssen wir nun sorgen. Was willst du mir sagen?“
„Sieh dir diese Buchungen an. Tom hat privat mehrmals größere Beträge von eurem Geschäftskonto abgehoben. Wenn du damit einverstanden warst, ist das okay. Aber dir würde auch jedes Mal die gleiche Summe zustehen.“
Olli sieht auf die Zahlen und das dazugehörige Datum. Er runzelt die Stirn. „Davon weiß ich nichts.“
„Und hier“, weist ihn Jutta auf andere Einträge hin, „sind Pfändungen auf Toms Namen verbucht.“
„Wie kann das denn passieren?“, fragt Olli entsetzt.
„Wenn sein Privatkonto leer ist, gehen Pfändungen von einem Konto ab, das auch unter seinem Namen geführt wird“, klärt ihn Jutta auf. „Hast du für ihn irgendwann einmal gebürgt?“
„Ja. Als wir das Bürohaus gekauft haben, mussten wir beide bürgen. Wieso?“
„Dann würdest du, sowie in der Agentur nichts mehr zu holen ist, sogar mit deinem Privatvermögen für alles aufkommen müssen. Olli, du solltest dich dringend von ihm trennen. Er ruiniert dich sonst“, warnt Jutta ihn eindringlich.
„Ich rufe meinen Anwalt sofort an. Vielleicht bekomme ich kurzfristig einen Termin. Die Unterlagen, die du mir am Freitag gegeben hast und diese Auszüge nehme ich mit. Mal sehen, ob das reicht. Trommle bitte alle zusammen. Wir frühstücken jetzt und besprechen dann alles Weitere.“
Jutta geht zum Empfang. Sie hört, dass Frau Wiehmer zu Markus sagt: „Ihre Frau hat angerufen und bittet Sie, gegen Mittag zum Italiener zu kommen.“
„ Also doch. Er ist verheiratet. Wie sollte es auch anders sein?“ , denkt Jutta halb erleichtert, da sie nun Gewissheit hat, halb enttäuscht, weil ..... na ja ..... “Ich werde doch noch träumen dürfen.“
Falls sie kurzzeitig dachte, jetzt könnte sie mit Markus normal umgehen, wird sie ganz schnell mit der Realität konfrontiert. Als sie an seine Tür kommt, fängt ihr Herz an zu hämmern.
„Herr Siebert, kommen Sie bitte. Olli ist dann so weit. Die Besprechung kann beginnen“, stammelt sie.
Und wieder trifft sie ein strahlender Blick von ihm.
„Ich komme.“
Sie hofft, dass Markus sich neben sie setzt, denn dann müsste sie nicht ständig an ihm vorbeischauen.
Er denkt aber gar nicht daran und schwingt sich ihr unmittelbar gegenüber in den Sessel und strahlt sie an.
In Jutta steigt schon wieder die Glut auf.
„ Für Hitzewallungen bin ich noch viel zu jung. Hoffentlich bemerkt hier niemand, wie durcheinander ich bin“ , denkt sie. „Volle Konzentration auf die Arbeit!“ , ruft sie sich selbst zur Ordnung.
„Ich würde gern gleich anfangen, sonst platze ich“, sagt Olli.
Alle Anwesenden schauen ihn gespannt an.
„Vorhin habe ich schon einige Kunden angerufen und über die Personalveränderungen informiert. Den Rest versuche ich im Laufe des Tages zu erreichen. Markus, du machst alles wie bisher. Ich würde Toms Aufträge an dich weiterreichen und du entscheidest dann, wie viel du zusätzlich schaffst. Grit, nun zu dir. Was hältst du davon, wenn ich dir den Bereich Anzeigen und Abrechnung entziehe?“
Grits Augen leuchten auf. „Da wäre ich nicht böse. Dieser ganze Zahlenkram ist nicht so mein Ding. Was soll ich tun? Oder wollen Sie mich entlassen?“, wird ihr plötzlich bewusst, dass diese Möglichkeit auch besteht.
„Nein, natürlich nicht. Du bist doch schon seit deiner Ausbildung hier und kennst dich aus“, beruhigt Olli sie.
Grit ist erleichtert und atmet hörbar aus. „Ich dachte schon.“
„Du bekommst deine Aufgaben von Markus zugeteilt und machst vorläufig alles, was er dir sagt.“
„Okay“, sagt Grit.
„Nun zu dir, Jutta. Auf dich habe ich mehrere Attentate vor. Toms Kunden würde ich dir nicht übergeben, weil du dann die Text- und Anzeigengestaltungen machen müsstest.“
„Das kann ich doch gar nicht“, stellt Jutta fest.
„Eben. Deshalb ist mir folgende Lösung eingefallen. Du erledigst die gesamte Buchhaltung, das war ja schon klar und übernimmst Grits Aufgabengebiet der Anzeigenbetreuung und die dazugehörige Rechnungslegung. Dann hast du einen abgeschlossenen Bereich. Frau Wiehmer, für Sie ändert sich nichts. Sie bleiben am Empfang, wimmeln uns weiterhin so manche Nervensäge ab und halten allen den Rücken frei. Wenn wir zusammen an einem Strang ziehen, können wir die Agentur vielleicht erhalten. Aber jetzt muss ich erst einmal zum Anwalt.“
Olli erhebt sich, packt alle Unterlagen in seinen Aktenkoffer und macht sich auf den Weg.
„Viel Glück“, ruft ihm Jutta hinterher.
„Diese Lösung ist wirklich die effektivste“, sagt Markus.
„Grit, wann haben Sie Zeit, mich etwas einzuarbeiten?“, fragt Jutta.
„Sofort. Bin ich vielleicht froh, wenn ich den Mist los bin und endlich richtig arbeiten kann“, sagt sie schnell und begreift den Sinn ihrer Worte erst, nachdem sie diese ausgesprochen hat. Erschrocken sieht sie Jutta an und stottert: „Damit meine ich nicht, dass Sie nur Mist zu tun hätten. Wir haben viele Anzeigenkunden, das ist wirklich eine Menge Arbeit. Aber für mich ist das nichts. Ich würde lieber in der Grafik und Gestaltung arbeiten. Das habe ich ja schließlich gelernt.“
„Ich habe schon verstanden“, sagt Jutta. „Auch ich bin froh, nicht den ganzen Tag nur in einem Steuerbüro sitzen zu müssen. Die Arbeit hier reizt mich, obwohl ich noch gar nicht weiß, was alles auf mich zukommt. Und die Rechnungen sind für mich kein Problem.“
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