Eindringlich musterte er Emily, während er sich wunderte, dass er dieser völlig fremden Frau sein Seelenleben so freizügig offenbart hatte. Zum ersten Mal seit langem war es wieder aufgeflackert. Dieses Gefühl, einer Person unbedingt vertrauen zu können. Hoffentlich hatte er sich nicht in ihr getäuscht. Schließlich war sie eine Reporterin und sicherlich eine verdammt clevere, wenn man sie zu ihm schickte. Vermutlich hatte er sich wieder einmal blenden lassen? So ein Mist, jetzt war ihm genau der Fehler unterlaufen, den er unbedingt hatte vermeiden wollen. Verdammtes Interview, verdammter Manager, verdammte Reporterin!
Eine ungewöhnliche Abmachung
Sofort spürte Emily eine Veränderung in Connor Learys Verhalten. Warum schaute er sie plötzlich so seltsam distanziert an? Ihre Unsicherheit überkam sie von neuem. Ob ihr ein Fehler unterlaufen war? Sie hatten sich doch angeregt unterhalten. Vielleicht hatte sie eine unbedachte Bemerkung gemacht, die ihn verärgert hatte? Fieberhaft suchte sie nach einem Grund für seinen unübersehbaren Stimmungswandel. Es war wirklich nicht leicht, sich ein Bild von Connor Leary zu machen. Keine Frage, er war zweifelsohne ein interessanter Mann. Interessant, aber launisch, wie es schien. Plötzlich war sein Blick erschreckend ablehnend und kalt. Seine Worte hatten schroff geklungen. Augenblicklich stand eine schier unüberwindbare Mauer zwischen ihnen. Wie konnte ein Mensch sich nur so schnell verändern? Gerade war er offen und zugänglich gewesen, jetzt hatte sie Angst, er würde sie gleich vor die Tür setzen. Sie musste retten, was noch zu retten war, das spürte Emily intuitiv. Leary warf ungeduldig einen Blick auf seine Armbanduhr und erhob sich.
„Ich hoffe, Sie haben jetzt, was Sie brauchen und halten sich an unsere Vereinbarung. Es ist schon spät.“
Emily fühlte sich, als sei ihr ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet worden. Sie hatte noch so viele Fragen an Leary, doch für ihn schien das Interview an dieser Stelle beendet zu sein. Langsam suchte sie ihre Sachen zusammen. Eines war klar, sie musste Zeit gewinnen. Doch wie? Plötzlich schoss ihr eine irrwitzige Idee durch den Kopf. Entschlossen warf sie ihr Haar zurück und nahm all ihren Mut zusammen. Was hatte sie schon zu verlieren?
„Wenn ich etwas Falsches gesagt habe, dann tut es mir unendlich leid, Mr. Leary. Es ist mein erstes Interview dieser Art.“, sie zögerte einen Moment und überlegte, ob es überhaupt Sinn machte, mit offenen Karten zu spielen. Kurzerhand entschied sie sich dafür, denn auch er hatte ihr seine verletzliche Seite gezeigt.
„Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Dieses Interview ist für mich die große Chance, mich in meinem Beruf zu beweisen. Deshalb ist es unendlich wichtig für mich. Können wir unser Gespräch nicht zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen, wenn es jetzt schlecht passt? Ich würde wirklich gerne mehr über Sie erfahren. Und damit meine ich nicht nur den Schauspieler, sondern vor allem den Menschen Connor Leary.“ Emily traute sich kaum, ihn anzuschauen. Seine braunen Augen musterten sie kritisch, als könne er mit seinem Blick zu ergründen, inwieweit er ihr trauen konnte. Ihr stieg eine heiße Röte ins Gesicht. Vermutlich war es ein Fehler gewesen, ihm diesen Vorschlag zu unterbreiten. Schließlich war er ein vielbeschäftigter Mann und hatte bestimmt kein Interesse, einer unqualifizierten Reporterin weitere kostbare Zeit zu opfern. Sie musste zugeben, dass sie Corinnes Erwartungen nicht hatte erfüllen können. Das Schweigen im Raum lastete schwer auf ihr. Scheu blickte sie erneut zu Leary hinüber, der nachdenklich an seiner Unterlippe nagte. Was mochte er jetzt von ihr denken? Emily fühlte sich furchtbar und unterdrückte nur mühsam die aufsteigenden Tränen. Sie hatte mit ihrer unprofessionellen Arbeitsweise nicht nur sich selbst, sondern auch die Francine blamiert.
Als Connor ihren verzagten Blick bemerkte, huschte ein kurzes Lächeln über sein Gesicht, das auf wundersame Weise Emilys Bedenken im Nu zerstreute.
„Möchten Sie nur mehr über mich wissen, weil Ihr Job das von Ihnen verlangt oder interessiert es Sie wirklich?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, egal, was soll‘s? Sie haben nichts falsch gemacht. Heute ist einfach nicht mein bester Tag. Der Jetlag macht mich fertig und mein Manager stresst mich mit der Samstagabendshow, an der ich teilnehmen muss. Grundsätzlich spricht nichts gegen ein zweites Meeting, wenn der Terminplan es zulässt. Wann hätten Sie denn Zeit?“
„Ich richte mich selbstverständlich nach Ihnen“, Emily suchte mit zittrigen Händen nach ihrem Kalender. „Vielleicht passt es am Sonntag?“
Leary ging in Gedanken seine Termine durch. Er zuckte mit den Schultern. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“
Emily nickte erfreut. Das lief besser als erwartet. „Soll ich wieder ins Hotel kommen?“
Sie sah ihn an, wie er in seinen verwaschenen Jeans und dem schlabbrigen T-Shirt vor ihr stand und spürte ein ungewohntes Flattern in ihrem Magen. Sie wollte keinesfalls den Eindruck hinterlassen, sich in die Reihe niveauloser Enthüllungsjournalisten einzureihen, die er so verachtete. Warum war es ihr nur so wichtig, dass er ihr vertraute?
Leary unterbrach ihre Gedanken. „Natürlich können wir uns wieder hier treffen, aber ich gebe zu, dass ich diesem protzigen Hotelcharme gerne entfliehen würde. Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu Hause besuche? Dann können wir uns ungestört unterhalten und ich komme in den seltenen Genuss, ein bisschen Normalität genießen zu dürfen.“
Der unerwartete Vorschlag überraschte und beunruhigte Emily gleichermaßen. Unmöglich! Zu ihr in die kleine Wohnung mit den Kindern, die keine Sekunde ruhig waren. Von wegen ‚ungestört‘. Krampfhaft suchte sie nach einem plausiblen Grund, seinen Vorschlag abzulehnen. Doch spontan fiel ihr keine glaubhafte Ausrede ein, und Connor wartete auf eine Antwort. Er konnte ja nicht ahnen, was ihm bei ihr zu Hause blühen würde.
Sie hörte, dass er sich leise räusperte. „Ist das okay? Oder ist Ihnen mein Vorschlag unangenehm? Dann suchen wir eine andere Lösung. Vielleicht kennen Sie ein nettes Café?“
Konnte der Mann Gedanken lesen? Ihr wurde bewusst, wie lange sie geschwiegen hatte.
„Nein, nein, das passt hervorragend“, log sie, wobei sie nicht verhindern konnte, dass ihr erneut eine verräterische Röte den Hals emporkroch. „Aber es ginge erst abends ab 20 Uhr.“ Sie hoffte inständig, dass Jessie und Tobias um diese Uhrzeit bereits schlafen würden.
„Das passt mir gut“, Leary lächelte sie unbefangen an. „Dann habe ich bestimmt keinen Termin. Wenn Sie mir noch Ihre Adresse geben würden.“
Er suchte nach Stift und Papier, während sie ihm die Straße nannte. Emily stopfte fahrig ihren Kalender in die Tasche und stieß dabei auf die Kamera. Ein heißer Schreck durchfuhr sie. Sie hatte vergessen, ihn nach dem Foto zu fragen. Jetzt war es bestimmt zu spät, Leary darum zu bitten. Sein Blick auf die Uhr hatte deutlich gezeigt, dass er unter Zeitdruck stand und das Treffen beenden wollte. Sie beschloss, auf das Foto zu verzichten. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, ihn jetzt noch zu verärgern.
Doch auch dieses Mal war ihm Emilys kurzes Zögern offenbar nicht entgangen.
„Ist noch irgendetwas unklar?“, er taxierte sie interessiert.
„Unklar nicht“, Emily stockte kurz.
„Aber?“ Er stand so dicht vor ihr, dass sie den frischen Duft seines Aftershaves wahrnehmen konnte, das sie an Zedernholz, Moos und einen Hauch Bitterorange erinnerte. Emily schluckte nervös. Dann gab sie sich einen Ruck. „Es ist mir extrem unangenehm, aber ich sollte Sie noch um eine Aufnahme bitten.“ Sie deutete auf die Spiegelreflexkamera, die schwer in ihrer Hand wog. „Vorhin habe ich das völlig vergessen, und jetzt haben Sie offensichtlich keine Zeit mehr, nicht wahr?“
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