Er dreht die Herdplatte herunter und kommt zu mir an den Tisch, wo er sich mir schräg gegenüber hinsetzt und die Hände faltet. „Heute Mittag im Booh klang es aber, als hättest du dich damit arrangiert, dass ich den Kredit aufnehme.“
Das hatte ich befürchtet. Er hat meine Aussage den anderen gegenüber, dass wir Elviras Haus kaufen werden, als Zustimmung dafür aufgefasst, sein Haus als Sicherheit für den Kredit zu nehmen. „Nein, das hatte ich nicht gemeint“, lasse ich ihn wissen. „Wir werden das Haus kaufen, aber dein Haus werden wir nicht als Sicherheit nehmen.“
Er sieht mich fragend an und seine gefalteten Hände verkrampfen sich so sehr, dass seine Knöchel weiß hervortreten. „Wie sollen wir sonst an so viel Geld kommen?“ Sobald er die Frage zu Ende gestellt hat, scheint ihm ein Licht aufzugehen, denn seine Augenbrauen schnellen nach oben. „Sag jetzt nicht, dass dafür die Diamanten gedacht waren?“
Ich presse die Lippen aufeinander und sehe ihn entschuldigend an. „Doch, in gewisser Weise schon“, gebe ich zu. „Ein paar davon waren für den Schutzzauber gedacht, die übrigen jedoch habe ich Juwelier Marder zum Kauf angeboten.“
Chris löst seine gefalteten Hände, fährt sich durch die feuchten Haare und massiert dann seinen Nasenrücken. Nach einer Weile sieht er mich mit fragendem Ausdruck an. „Und was hat Marder gesagt?“
Überrascht, dass er mir keinen Vortrag hält, entspanne ich mich ein wenig. „Er will einen Kollegen zu Rate ziehen. Bis Ende der Woche gibt er mir Bescheid.“
Chris nickt und schaut nachdenklich ins Leere. „In Ordnung…“, sagt er schließlich. Dann wird sein Blick wieder ernst. „Wird es irgendwelche magischen Folgen haben? Rächt es sich nicht, wenn man Magie eigennützig verwendet?“
„Ich weiß es nicht“, gebe ich geradeheraus zu und werfe die Hände in die Luft. „Keine Ahnung. Aber ich finde, wenn ich schon eine Hexe bin, oder genau genommen eine Druidenhexe, dann werde ich doch wohl auch mal etwas nur für uns tun dürfen, oder? Es schadet ja niemandem und ich musste auch keine Opfer dafür schlachten, oder Asche Verstorbener dafür benutzen. Ich habe die Diamanten mit meinen eigenen Händen gemacht, mit Hilfe der Elemente. Das ist keine dunkle Magie.“
„Offenbar machst du dir trotzdem Sorgen deswegen“, bemerkt Chris und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich stütze die Ellenbogen auf den Tisch und lege meine Stirn in meine Handballen. „Ja, kann schon sein. Ein bisschen vielleicht.“
Vom Herd kommt ein Blubbern und der Topfdeckel klappert. Chris springt auf, nimmt den Deckel runter und rührt in der kochenden Masse. Ich reibe mir die Augen und gähne herzhaft. Der wenige Schlaf der vergangenen Nacht rächt sich mittlerweile.
Chris deckt den Tisch, öffnet eine Flasche Rotwein und schenkt uns beiden ein. Er ist stiller als sonst, wirkt aber nicht wütend oder sauer. Ein paar Mal denke ich daran, ihn zu fragen, ob zwischen uns alles okay ist, überlege es mir dann aber anders.
Er hat Spaghetti Bolognese für uns gekocht, mein Leibgericht. Wir sitzen bei Kerzenschein an der Kücheninsel und essen. Ich unterbreche die Stille ein paar Mal, um das Essen zu loben, ansonsten speisen wir schweigend, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.
„Was ist das eigentlich für eine Kiste?“, fragt Chris plötzlich und deutet mit dem Kopf zum Fuße des zentralen Kamins. „Wo kommt die her?“
Ich schlucke meinen Bissen herunter und tupfe den Mund mit der Serviette ab. „Die kommt von Naomis Klientin. Da drin waren das Testament, die Unterlagen für die Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes, sowie ein seltsamer Tintenfisch-Dämon.“
Chris verschluckt sich beinahe und hält sich die Hand vor den Mund. „Ein was? Ein Tintenfisch-Dämon?“
Seine großen Augen beunruhigen mich. „Ja, sowas habe ich noch nie gesehen, weder in echt, noch in Büchern.“ Bei der Erinnerung an dieses Wesen sträuben sich mir die Nackenhaare und ich schüttle mit dem Kopf. „Ich weiß noch nicht einmal, ob es überhaupt dämonischen Ursprungs war, aber es sah für mich so aus.“
„Beschreib es mal“, fordert er mich auf und scheint dabei sein Essen völlig zu vergessen.
„Es war schwarz, riesig, mit vielen langen Tentakeln und seine Oberfläche hatten so einen öligen Schimmer“, erzähle ich und zeichne mit den Händen seine Größe nach. „Es hatte einen schnabelartigen Mund, aber mehr in der Mitte seines Rauchwolken-Kopfes, mit einem tiefroten Schlund, in dem haifischartige Zahnreihen waren.“
Seine Stirn runzelt sich und er zieht die Augenbrauen zusammen. Dann springt er plötzlich auf und rennt nach oben. Ich schiebe mir meine bereits zu einem Haufen gedrehte letzte Gabel Spaghetti in den Mund und folge ihm. Als ich oben ankomme, steht die Schlafzimmertür offen und ich sehe Chris dort drinnen vor seinem Bücherregal auf den Knien sitzen. Ein Buch liegt in seinem Schoß. Ich gehe auf ihn zu, während er fahrig mit den Fingern die brüchigen Pergamentseiten umblättert. Als ich mich neben ihn auf den Boden setze, dreht er das Buch in meine Richtung.
„Sah es so aus?“, fragt er und ich schnappe nach Luft, als ich die lebhafte Zeichnung auf der Seite sehe.
Mit schwarzer Tinte hat jemand ein Bild des Tentakel-Dämons auf das sandfarbene Pergament gemalt. Es ist so detailgetreu, dass mir die Erinnerung seines fauligen Atems in die Nase steigt. „Oh man, ja, das ist es“, sage ich und streiche mir über die Gänsehaut an meinen Armen.
Chris zieht das Buch wieder zu sich und schüttelt ungläubig mit dem Kopf. „Das ist eine Ghula.“
„Eine was?“
„Eine Ghula, die weibliche Form eines Ghuls. Es ist eine Art Rachedämon, obwohl diese Bezeichnung nicht ganz richtig ist, denn diese Wesen sind nur zur Hälfte dämonisch.“
„Ghula“, wiederhole ich nachdenklich, wobei ich noch immer nicht den Blick von der Zeichnung im Buch lösen kann. „Nur zur Hälfte dämonisch?“
„Ja… Theoretisch sind sie halb Dämon, halb Mensch.“
Ich schüttle mit dem Kopf und gebe ein seltsam klingendes Lachen von mir. „Das kann nicht sein! Dieses Ding war nicht menschlich, noch nicht einmal zu einem Prozent! Es bestand aus Rauch, aus seltsam öligen Rauch.“
Chris´ Gesichtsausdruck wirkt angewidert und er nickt dabei. „Ja, ich weiß. Mein Vater hatte mal mit einer Ghula zu tun, aber das ist sehr lange her. Ich hatte gehofft, niemals einer zu begegnen.“
„Sind sie… gefährlich? Gefährlicher als normale Dämonen?“
„Es sind Rachedämonen, sie werden zu einem einzigen Zweck erschaffen: Um Rache zu nehmen. Und das tun sie auch ziemlich verlässlich.“
Nachdenklich schweigen wir und betrachten die Zeichnung in dem alten Buch. Die Schrift neben der Zeichnung ist uralt und schwer zu entziffern. Manche Passagen im Text sind durchgestrichen oder geschwärzt, aber was ich lesen kann, beunruhigt mich.
Ghula, Rachedämon. Schriften über Erschaffung vernichten! Rächt die Feinde des Erschaffers erbarmungslos, tötet aber Erschaffer zum Schluss.
„Weißt du, wie sie erschaffen werden?“
Ohne den Blick von dem Buch zu nehmen zieht Chris die Nase kraus. „Ja“, antwortet er und hält einen Moment inne, bevor er weiterspricht. „Ein Ghul und eine menschliche Frau müssen sich paaren.“
„W… Was?“, stammle ich und springe auf. „Ein Mensch und ein Ghul? Ein richtiger Ghul? Das… Das ist ja widerlich!“
Ich habe ja wirklich schon viel gehört, gelesen und erlebt, aber dass sowas überhaupt möglich ist, oder von irgendjemanden in Betracht gezogen werden könnte, sprengt meine Vorstellungskraft.
Chris steht ebenfalls auf und legt das Buch auf den Nachtschrank, bevor er sich auf die Bettkante setzt. Er senkt den Kopf und reibt seine Stirn. „Ja, ein Mensch und ein Ghul“, wiederholt er. Diese Vorstellung scheint auch für ihn schlimm zu sein. Dann sieht er zu mir auf. „Steht in deinen Büchern nichts darüber? Es ist eine Art dunkler Zauber nötig, um eine Ghula heraufzubeschwören.“
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