„Was machen Sie denn überhaupt dort in Rumänien? Sie haben mir noch keine nennenswerten Ergebnisse geliefert!“
Als ich versuchte ihm zu erklären, was passiert war und dass ich zurück nach Deutschland wollte, fing er an zu lachen.
„Ich habe ja schon viel gehört, aber das ist ja wohl die erbärmlichste Ausrede für Versagen, die ich jemals gehört habe!“
Ich hörte ein Klicken und stand sprachlos in diesem heruntergekommenen Internetcafé in einem fremden Land, ohne Ausweis ohne Smartphone und ohne Klamotten. Ich zermarterte mir den Kopf, was ich denn in meinem Zustand machen sollte, bis mir der Gedanke kam, dass ich eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen hatte. Also schnell die Nummer gegoogelt, angerufen und zu meinem Glück reichte es aus, mein Geburtsdatum zu nennen. Es dauerte nicht lange, bis ein Hubschrauber kam und mich nach Berlin geflogen hatte.
Ich ließ mich in einem Berliner Krankenhaus durchchecken und verließ es dann wieder – gegen den Rat des Oberarztes.
Eine Woche lang lag ich zu Hause auf der Couch, bis mir die Decke auf den Kopf fiel und ich wieder ins Büro ging, um die ganz normalen mindestens 60 Stunden pro Woche abzuleisten.
Analyse:
Auf das ‚Warum‘ mir so etwas passiert ist, gehe ich noch im Kapitel ‚Die Reise‘ ein, aber dass ich bereits nach kürzester Zeit wieder ins Büro ging und so tat, als würde ich das alles mit links wegstecken, hatte seine Gründe. Es war zum einen die Angst den Job zu verlieren, wenn ich mich länger krankschreiben lassen würde und zum anderen mangelnde Selbstliebe. Denn zum damaligen Zeitpunkt konnte ich mich selbst nicht leiden. Warum und dass das so war, wusste bzw. erkannte ich nicht. Aber irgendwas in mir verlangte Anerkennung durch Vorgesetzte und Kollegen. Bewunderung durch hervorragende Leistungen war wie eine Art Sucht geworden. Und dafür tat ich alles, ohne Rücksicht auf mich selbst zu nehmen.
Sollten Sie sich ebenfalls mit schweren Verletzungen, Grippe, Schnupfen, Kopfschmerzen, Migräne oder sonstigen Krankheiten zur Arbeit schleppen, hinterfragen Sie sich einmal selbst:
Ist mir die Anerkennung meiner Chefs und Kollegen wichtiger als meine Gesundheit?
Warum tue ich mir das an, obwohl mein Körper doch so offensichtlich nach einer Pause schreit?
Was könnte der wahre Ursprung für häufige Krankheiten sein?
Je eher Sie anfangen, einen objektiven Blickwinkel für Ihr Leben zu entwickeln, desto früher können Sie aus der Erschöpfungsspirale austreten. Egal in welchem Stadium der Erschöpfung Sie sich gerade befinden!
Eine Achterbahnfahrt, die Spuren hinterließ
Als ich wieder im Büro saß, wunderte ich mich ein wenig, dass so viele Kollegen plötzlich an meiner Tür klopften. Ich war Gesprächsstoff Nummer eins geworden. Jeder wollte meine Verletzungen sehen und die Geschichte dazu hören. Dieser Trubel hielt allerdings nur zwei Tage an, danach war wieder alles wie zuvor: Hektisch, laut und unkoordiniert.
Einige Wochen vergingen. Meine Einarbeitung durch Peter wurde fortgesetzt, bestand aber lediglich aus „Guten Morgen“, „Mahlzeit“ und „Bis morgen“, was sehr enttäuschend war, denn er brachte mir nichts, aber auch rein gar nichts bei.
Dafür lief es mit meiner Auszubildenden, die 17 Jahre jung war, umso besser. Sie engagierte sich, war neugierig und wollte von meinen Erfahrungen profitieren. Ich brachte ihr alle relevanten Dinge bei, schulte sie in den Programmen und unterrichtete sie im Projektmanagement. Es entstand eine wunderbare kollegiale Freundschaft, die mir die Arbeit erleichterte und mich gern ins Büro gehen ließ. Als ich auf Terminen war, konnte ich mich auf sie verlassen, denn sie setzte das Erlernte genau so um, wie ich es brauchte. Während wir bis spät abends im Büro die Pläne und Exceltabellen bearbeiteten, flirtete sie mit mir
ein kleines bisschen, was ich nett fand, mehr aber auch nicht, denn der Altersunterschied, war einfach viel zu groß. Dennoch versüßte es mir den Büroalltag.
Von Peter, der mir im Büro gegenübersaß, hörte ich immer häufiger das Wort ‚Zertifizierungssystem‘. Täglich telefonierte er mit irgendwem und immer wieder hörte ich ‚Zertifizierungssystem‘, ‚Zertifizierungssystem‘, was ich zunächst ignorierte, da ich der Meinung war, dass er mich informieren wird, sofern es für mich ebenfalls relevant werden würde. Täglich, über mehrere Wochen, las er in einem dicken Ordner, den er abends in seinen Schrank einsperrte. Und immer wieder hörte ich dieses Wort ‚Zertifizierungssystem‘. Als ich ihn fragte, was das sein sollte und ob ich auch damit zu tun haben könnte, antwortete er, dass das nichts Wichtiges sei und mit mir nichts zu tun haben würde.
Ein paar Tage später sagte er mir, dass wir einen Termin mit einem wichtigen Mann aus der Konzernzentrale über ein Zertifizierungssystem haben, der in einer Stunde anfangen würde. Wütend machte ich ihm Vorwürfe und bestand darauf, dass er mich über das Zertifizierungssystem informieren sollte.
Doch Peter antwortete darauf, dass er keinen blassen Dunst von dem Zeug habe und er genauso unvorbereitet in den Termin gehen würde wie ich. Erl
eichtert über die Aussage ging ich unvorbereitet in den Termin und riss meine Augen staunend auf, weil ich nicht fassen konnte, was da gerade passierte. Peter hatte den halben Ordner inklusive Details auswendig runtergebetet und hatte damit den wichtigen Mann aus der Konzernzentrale schwer beeindruckt.
„Peter, du bist definitiv ein Beförderungskandidat.“
Ich dagegen saß ahnungslos und wie ein Anfänger im Besprechungsraum und durfte mir noch anhören, dass ich schlecht vorbereitet in den Termin gekommen sei und ich mich
besser organisieren sollte, um alles zeitlich unter einen Hut zu bekommen.
Ach deshalb telefonierte er immer, wenn ich nicht in unserem Büro war. Und den Ordner sperrte er jeden Abend in den Schrank, damit ich nicht darin lesen konnte. Er will also unbedingt befördert werden und sticht jeden aus, der ihm in die Quere kommt.
Meine Rippenbrüche verheilten langsam, die chronischen Kopfschmerzen und der belastende Tinnitus verblassten allmählich. Von völliger Genesung war ich zwar weit entfernt, dennoch konnte ich mich auch über die kleinen Erfolge des Heilungsprozesses freuen. Ich fing wieder an spazieren zu gehen und traute mich auch wieder ins Fitnessstudio, um ganz langsam fit zu werden.
Analyse:
Damals war ich mir dessen, was ich mir dort antat, nicht bewusst. Selbst wenn mir jemand meine Situation veranschaulicht hätte, ich hätte es wahrscheinlich nicht wahrhaben wollen.
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