Widerwillig ziehen sie sich in die Schatten zurück. Einige von ihnen schenken mir noch einen letzten hasserfüllten Blick. Vampire lassen sich nichts sagen. Ich muss sie wohl noch Respekt lehren. Der Gedanke macht mich etwas unruhig, doch meine äußere Erscheinung bleibt abweisend und kalt. Swift neben mir knurrt bedrohlich. Da fällt auch schon der Schein der Kerze nach draußen, und die Tür des Gutshauses wird aufgestoßen. Flink husche ich um die Ecke des Gebäudes und schleiche mich an der Wand der Bedienstetenhütte entlang. Vampire können völlig lautlos sein, wenn sie es darauf anlegen. Doch heute Nacht möchte ich die Menschen erschrecken.
An den Gutsherrn auf dem Hof denke ich gar nicht mehr. Soll der zurück ins Bett gehen und mich dort erwarten. Uns entkommt niemand.
Ich lehne mich an die Tür der Hütte. Natürlich ist sie verschlossen, die Klinke unter meiner Hand gibt nicht nach. Obwohl es vermutlich nicht einmal einen Schlüssel gibt, versperrt mir die Türe den Weg. Die Bewohner müssen mich einlassen. Ich sehe, dass sie sogar ein Zeichen auf die Schwelle gemalt haben, um böse Geister fernzuhalten. Als es mir gelingt, die Kreidelinien mit dem Fuß wegzuwischen, muss ich lachen.
„Nicht besonders wirksam, euer Zauber“, murmele ich.
Dann konzentriere ich mich auf die Seelen hinter der Wand. Es sind drei Menschen, alle in unruhigen Träumen gefangen. Ihr Leben scheint nicht das Beste zu sein – zum Glück bin ich da, um etwas zu ändern!
Ich finde am schnellsten Zugang zu einem Kind, einem kleinen Jungen, in dessen Gedanken ich mich von meiner besten Seite zeige. Das lockige Haar nicht ganz so wirr, die Kleider weniger rissig und blutig, ein gütiges Lächeln auf den Lippen und ein helles Strahlen, das mich umgibt. Wer könnte mir so widerstehen?
Ich bin die gute Fee, die dir hilft!, sage ich zu dem Kind. Lass mich rein, ich kann dich von diesem Leben erlösen!
Ich spüre die Ehrfurcht seiner Gedanken fast körperlich. Er braucht nur einen Moment, um nachzugeben. Dann springt die Tür plötzlich auf.
Die Hütte besteht aus einem einzigen Raum, in dem sich Schlaflager, Kochstelle und Vorratskammer befinden. Die einzigen Möbel sind ein Tisch mit Stühlen und eine Truhe für persönliche Dinge. Ein leise flackerndes Feuer im Kamin hält die Behausung warm. Vor der Bettstatt liegen drei Paar Schuhe aus abgewetztem Ziegenleder, fein säuberlich nebeneinander, auf einem zerfressenen Läufer aus Stroh. An den Wänden hängen Kräuter und Regale mit Nahrung, die die Familie von ihren Herren bekommt. Ich rieche Eselswurst, ein Stück Ziegenmilchkäse und einen gesalzenen Bärenschinken für Festtage. Keine Bilder, keine Bücher, kein Licht, kein fließendes Wasser. Es ist wie im Mittelalter.
Man sollte sie wirklich erlösen, beschließe ich. Über den Boden huscht eine Maus auf der Suche nach einem Loch zum Verkriechen. Ich bekomme Lust, sie einzufangen, nur um sie quieken zu hören, aber dann lasse ich ihr die Illusion von Freiheit. Ich habe etwas Besseres vor.
Auf dem Schlaflager bewegt sich etwas. Der kleine Junge richtet sich auf und starrt mich an. Nussbraunes Haar wellt sich um den kleinen Kopf, seine Augen sind schwarz wie die Nacht.
„Bist du ein Engel?“, flüstert er, und ich muss lächeln. Ich mag ihn schon jetzt.
„Leg dich wieder hin“, sage ich sanft. „Ich muss mich zuerst um deine Eltern kümmern.“
Er gehorcht ohne nachzufragen, und ich gebe mir Mühe, seine Gedanken mit harmonischen, hellen Bildern zu füllen: Einem Spaziergang durch blumige Sommerwiesen oder ein wildes Spiel im Heu. Als ich mir sicher bin, dass er außer diesen Träumen nichts mehr wahrnimmt, schleiche ich um das Bett herum und packe die Mutter bei den Händen. Ich zerre sie so schnell von ihrem Lager, dass der Mann neben ihr gar nichts mitbekommt. Als sie schreien will, halte ich ihr den Mund zu, aber sie beißt in meine Hand. Aus dem Reflex heraus breche ich ihr das Genick; danach beeile ich mich mit dem Trinken, während ihr Blut langsam gerinnt. Ich lasse die Tote achtlos zu Boden fallen und steige über sie hinweg, um mir den Mann zu holen. Der Junge liegt noch immer friedlich unter der Wolldecke und hat sich von mir abgewandt.
„Ist da jemand?“, fragt der Vater plötzlich und reibt sich die Augen. Ich drücke mich an die Wand neben dem Kamin.
„Es ist ein Engel, Vater“, antwortet das Kind, „ein wunderschönes Mädchen mit goldenem Haar. Und sie hat übermenschliche Kräfte.“
Ich lächele zufrieden.
„Du träumst, Nicolae“, antwortet der Vater. „Du wünschst dir vielleicht, dass ein wunderschöner Engel kommt, um uns von hier wegzuholen, aber wir müssen es allein schaffen. Ich werde das Feuer noch etwas schüren, dann kannst du wieder einschlafen.“ Mit diesen Worten steigt er aus dem Bett und entdeckt im selben Moment die Leiche, über die er fast gestolpert wäre. Seine Augen zeigen blanke Panik. Jetzt nähere ich mich ihm und lächele süß; einen Moment scheint er verwirrt, was das zu bedeuten hat.
„Vielleicht irrst du dich“, flüstere ich geheimnisvoll. „Vielleicht kommt doch ein Engel, um euch zu erlösen!“
Während er mich reglos anstarrt, mache ich einen Schritt auf ihn zu und schlage ihm meine Zähne in den Hals. Trotz des gestählten Körpers, den die harte Arbeit formte, schafft er es nicht, mich fortzuschieben. Ich kralle meine Nägel in sein Fleisch und vergesse beinahe, ihm die sanften Bilder zu senden, die ihn seinen Widerstand aufgeben lassen. Er kämpft lange, und ich zerreiße fast seine Schlagader bei dem Versuch, ihn festzuhalten. Aber schließlich hat er zu viel Blut verloren, und ich lasse ihn zu Boden sinken, wo er sich in letzten Krämpfen windet. Seine Augen scheinen mich anzuklagen, aber vielleicht versucht er auch, sich mein Gesicht einzuprägen. Es wird ihm beides nichts nützen.
Erfrischt von neuem Tatendrang fühle ich mich bereit für die Nacht; wir haben eine lange Reise vor uns. Einen Moment lehne ich mich an die Wand und genieße den Augenblick. Noch im Blutrausch denke ich an die Familie, die ich soeben zerstörte. Auch der Junge wird mein sein. Benommen wische ich mir das Blut von den Lippen und gehe langsam um das Lager herum.
Von draußen höre ich lautes Geschrei und Gepolter – nein, eher von nebenan. In mir kocht eine Wut auf die verräterischen Vampire hoch, die nicht auf mich warten wollten. In Gedanken schwöre ich Rache und zische leise durch die Zähne, um meinen Zorn nicht hinauszubrüllen.
Dann hocke ich mich vor das Bett. Ohne eine Spur von Angst sieht der Junge mich an. Als ich in seinen Gedanken forsche, erkenne ich, wie er den Todeskampf seiner Eltern wahrgenommen hat. Deine Eltern sind tot, sagt ihm seine Angst, und du bist in Gefahr. Aber für ihn bin ich noch immer der strahlende Engel, der kommt, um ihn zu befreien. Mir fällt auf, wie schön seine großen Augen sind.
„Willst du mit mir kommen?“, frage ich. „Du wirst Wesen sehen und ferne Länder. Macht genießen, die dir dieses Gut hier niemals gibt. Abenteuer!“, flüstere ich. Er nickt und starrt mich noch immer an, unfähig, irgendetwas anderes zu tun. „Dein Leben hier ist vorbei“, sage ich mit gespielter Traurigkeit, „deine Eltern sind fort und ließen dich allein. Aber ich werde auf dich aufpassen und dich beschützen. Komm zu mir!“
Durch und durch fasziniert von meiner Erscheinung, die er sich noch immer schöner ausmalt, als sie ist, tut er, was ich von ihm verlange, und kommt auf mich zu.
„So ist es richtig. Hab keine Angst, Nicolae!“ Geduldig schließe ich ihn in die Arme. Geduldig, wie Joice es von mir gewollt hätte. Mein Kind, denke ich und drücke seinen warmen Körper an mich. Sein Blut ist süß und salzig zugleich. Berauscht schließe ich die Augen und koste den Moment aus. Er stirbt. Nicht an den Wunden, sondern weil ich ihm das Leben nehme. Es aus ihm trinke, wie aus einem Brunnen an einem schwülen Sommertag. Ich brauche lange dafür und setze immer wieder ab. Ich genieße jeden Augenblick.
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