„Wer ist denn verdächtig, gab es zum Beispiel Konkurrenten?“
Der Polizist winkte ab: „Unwahrscheinlich. Das ist eine Gemeinschaft da draußen. Sie leihen sich auch gegenseitig Maschinen.“
„Stimmt“, dachte Ludwig, „Konkurrenzkampf geht anders.“
„Könnten es irgendwelche Aktivisten gewesen sein?“
Bentheneder lachte plötzlich auf.
Was hatte ihn belustigt? Ludwig ergriff die Unsicherheit.
Dazu machte der Alte noch eine abschätzige Handbewegung.
„Da können Sie mal sehen, wie wenig Sie sich hier auskennen.“
„Toll“, dachte Ludwig, jetzt spielt der doch noch die Zuagroasten-Karte, von wegen keine Peilung und so.
Doch darin lag gar nicht Bentheneders Absicht, denn er begnügte sich damit zu zeigen, wie entschlossen er war und dass er kein, wirklich gar kein Interesse daran hatte, dass sich hier irgendeine Protestbewegung formierte. Nicht in seinem Bereich. „Es gab da mal ein paar grüne Spinner, die meinten, gegen die Massentierhaltung in Baumgartens Hühnermastbetrieb gleich in der Nähe von Genglkofen protestieren zu müssen.“ Bentheneder schaute Ludwig aufmunternd an.
Und der tat ihm den Gefallen und antwortete mit einem interessierten „Und?“
Jetzt brach erneut ein Schwall lauten Lachens aus dem Polizisten heraus: „Die habe ich festgenommen, wegen Ruhestörung.“
Ludwig nickte, denn Revoluzzer, und dazu noch welche mit grünem Anstrich, waren ihm ebenfalls suspekt.
„Ich habe sie dann eine Weile stehen lassen“, fuhr der Alte fort. „Und der Baumgarten, der hatte genug Zeit, seinen Feuerwehrschlauch zu holen. Und dann hat er sie erst einmal zünftig geduscht.“ Jetzt kicherte er unverhohlen, denn diese Erinnerung versetzte ihn noch heute in Frohsinn. „Da konnte ich gar nichts machen.“ Er zwinkerte mit den Augen und sah jetzt einem Smiley aus der nächstbesten Messenger-App zum Verwechseln ähnlich.
Dann schaltete er auf ernst um: „Denen habe ich’s gezeigt! Seitdem hat sich keiner dieser Weltverbesserer hier wieder sehen lassen.“
„Nicht in Bentheneders Reich“, fügte Ludwig in Gedanken dazu.
Und wie zur Bestätigung ergänzte der Alte: „Danach gingen die höchstens mal zum Huber, drei Landkreise weiter.“ Er rieb sich selbstzufrieden die Hände. „Um mich haben die stets einen Bogen gemacht.“
Das empfand Ludwig jetzt als zu viel der Selbstbeweihräucherung. Er wollte stattdessen gerne wieder zurück zu „seinem“ Fall kommen. Eine spitze Frage tanzte ihm dazu auf der Zunge. „Und wenn sie nun einen Überraschungscoup gelandet haben? Vielleicht fühlten sich alle zu sicher und keiner hat sie erwartet?“
Von der Antwort war Ludwig ehrlich überrascht: „Mein Junge, derlei Mitbürger haben wir auf dem Kieker, da hält die Polizei zusammen.“
Ludwig gab seine bequeme Sitzhaltung auf. Sah sein Gegenüber nur äußerlich gemütlich aus und war in Wirklichkeit ein Kontrollfreak? Es schien fast so.
„Die können noch nicht mal ohne Erlaubnis rülpsen, schon habe ich die einkassiert“, bekräftigte der Sheriff. Und hätte er in der Tat einen Sheriffstern getragen, dann wäre der jetzt aufgeblitzt und hätte Ludwig geblendet.
Bentheneder hatte damit für heute genug Polizistenfähigkeit demonstriert, meinte er. Daher machte er jetzt abermals Anstalten aufzubrechen. Doch Ludwig musste noch eine letzte Frage stellen – wie Detektiv Columbo im Film. Gerade dessen späte Erkundigungen wirkten am schärfsten und er kramte sie heraus, wenn das Gegenüber sich schon im sicheren Hafen wähnte.
„Was wissen Sie vom Unfall von Iris Donner?“
Die Frage war berechtigt, denn wenn dem Sheriff hier schon nichts entging, dann sollte er auch wenigstens von dem Vorkommnis wissen. Tat er auch. Aber er schaute nach oben zur Decke, bevor er antwortete. Das wirkte spielerisch, als wenn man es mit einem Kind zu tun hatte, das die Welt erklärt haben wollte und man ihm eine Antwort gab, die der Angelegenheit nicht viel Gewicht beimaß. Trachtete dieser Ludwig etwa danach, dem Kohlbayr etwas zu unterstellen? Nein, er wisse nicht viel davon. Ein Krankenwagen kam, man hatte sich um das Kind gekümmert und aus die Maus. War eben tragisch, aber sowas passierte. Sie war nicht die erste Reiterin, die vom Pferd fiel und sie würde auch nicht die letzte sein. Zu untersuchen gab es da nichts.
Ludwig nickte bedächtig. Er überlegte, ob er noch eine Frage nachschieben sollte. Aber er ließ es sein, denn die Antwort des Alten zum Unfall geriet ziemlich lang, sogar sehr lang für eine Sache, die er nach außen hin als Kleinigkeit abwiegelte. Da folgten auf die nächste Frage nur noch weitere Ausflüchte. Doch in Ludwig stieg ein Verdacht auf: Hatte Xaver Bentheneder etwa ein schlechtes Gewissen wegen Iris?
Begegnungen
Wie weit hatte es Ludwig in der Untersuchung schon vorangeschafft? Nachdenklich ließ er die Notizen in seinem Büchlein Revue passieren. Nun, die geraden Wege zum Ziel hatte er abgeklappert: Ein Verdächtiger hatte sich weder auf dem Überwachungsvideo noch in der Untersuchung des Dorfsheriffs verfangen. Also blieben nur die verschlungenen Pfade. Sonst war das hier auch kein richtiger Fall, wie man ihn im Krimi oder im Western zu sehen bekam. Letzterer fing ja auch nicht gleich mit dem finalen Duell von Gut und Böse an, sondern die Handlung entwickelte sich und die große Schießerei gab es erst am Schluss.
Ludwig dachte sich, dass er als Nächstes Präsenz auf der Ranch zeigen – schließlich machten das Leute mit „Verantwortlicher“ im Titel so – und dabei weiter beobachten sollte. Und er fragte dann dabei den einen oder anderen nach Details. Hoffentlich ließ sich daraus nach und nach ein Bild konstruieren, das auf die Beweggründe der nächtlichen Aktion hinwies. Schließlich stellte so ein Pferdediebstahl keinen spontanen Freinacht-Streich dar oder wurde von irgendwelchen streunenden Banditen ausgeführt. Dann hätte es mehr dieser Vorfälle gegeben, auch außerhalb der Genglkofener Gegend. Und insbesondere hätte man dann nicht bei der gut ausgebauten Ranch mit ihren Überwachungskameras angefangen, sondern dort, wo die Früchte tiefer hingen.
Also fuhr Ludwig am Morgen mit dem Jeep auf der Ranch vor und sah sich den Pferdebetrieb an. Da wurde gefüttert und ausgemistet, gesattelt und geputzt, da wurden Pferde zum Reiten nach draußen geführt und wieder zurück in den Stall gebracht. Da gab es die Reiter, die mit froher Miene auf ihr Pferd stiegen. Später kehrten sie mit Enttäuschung, weil der Reitspaß schon vorbei war, wieder aus der Wolke 7 der Pferdeträumerei auf den Boden der Tatsachen zurück und widmeten sich anschließend der Pferdepflege.
Alles schien normal hier. Und langweilig. Ludwig gähnte. Er sollte sich einen Kaffee holen, nahm er sich vor und wollte sich gerade in Richtung Elviras Empfang wenden.
„Hallo Ludwig“, hörte er da eine Stimme hinter sich. Sie klang sanft, seidenweich – und weiblich. Er war jetzt von einem auf den anderen Moment hellwach, auch ohne Kaffee. Barbara!
Er schnellte herum. Da stand sie tatsächlich: DIE Barbara. Ludwigs Augen überflogen ihr Gesicht und ihren Körper in rasender Eile, jeden Eindruck wie ein Schwamm aufsaugend. Sie war reifer geworden. Er verglich sie mit seinem Bild von ihr, das er von früher innerlich abgespeichert hatte. Und er musste sagen, dass sie noch schöner aussah. Ihre jugendliche, schlanke Statur war einer erwachsenen, aber immer noch eleganten gewichen. Und die weiblichen Rundungen waren – Ludwig musterte sie atemlos – eindrucksvoll. Und das bildete noch einen schwachen Ausdruck für so viel Attraktivität.
Ludwig kam zu sich. Oh ja, er sollte endlich mal was sagen! „Hallo“, stammelte er. Und auch wenn er es nicht zugeben wollte: Die Aufregung packte ihn, wie damals als Halbstarker. „Hallo, Barbara“, vervollständigte er, jetzt schon mit etwas festerer Stimme. Sie musste ja sonst denken, dass er sich nicht mehr an ihren Namen erinnerte, oder – noch schlimmer – sie gar nicht mehr erkannte.
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