Ludwigs Intuition meldete sich und meinte, dass nach all der stillen Betrachtung nun die Zeit dafür reif war, endlich sein Anliegen vorzutragen. „Auf der Kohlbayr-Ranch sind einige Pferde abhandengekommen“, eröffnete Ludwig das Thema.
„Ich weiß“, schlug Xaver Bentheneder einen Pflock ein. Es musste sofort klar werden, dass in seinem Bereich kaum etwas von Belang passierte, worüber er nicht im Bilde war. „Und es gab auch eine Untersuchung.“ Damit verschränkte er in dem guten Gewissen, seine Hausaufgaben gemacht zu haben, die Arme; sollte doch dieser Weg- und wieder Zuagroaste hier vor ihm mal zeigen, ob er vernünftige Fragen zu stellen vermochte.
Ludwig überlegte kurz, ob er die Fragetaktik des Wiederholens der letzten zwei Worte des Gesprächspartners plus Fragezeichen gehen sollte. Doch ein „Eine Untersuchung?“ war ihm zu billig und der bayerische Dorfsheriff hier würde ihn sonst nicht mehr ernst nehmen. Das wollte er vermeiden und deshalb fragte er stattdessen: „Und welches Ergebnis brachte denn diese Untersuchung?“
Das war nicht so klug, fuhr es Ludwig durch den Sinn. Denn wenn die Ermittlung ein brauchbares Ergebnis gehabt hätte, dann wäre der Pferdedieb inzwischen schon lange gefangen und wenn schon nicht wie im Western gehängt, dann doch mindestens geteert und gefedert aus dem Ort gejagt worden. Ludwig „Wiggerls“ Einstellung auf der Ranch hätte nie stattgefunden und all die Gäule standen wieder an ihrem Platz.
Bentheneder holte tief Luft. Er hatte ähnliche Gedanken auf die Frage hin entwickelt und ein unheilvolles Stirnrunzeln deutete bereits eine grantige Reaktion an, die Ludwig aber nicht abwarten wollte. Um Deeskalation bemüht, schob er deswegen nach: „Konnten Sie Spuren sichern, die den Täterkreis einengen?“ Damit stellte er geschickt eine Weiche und gab dem Polizisten eine Steilvorlage, denn der vermochte es jetzt, gesichtswahrend zu schildern, was man alles bereits unternommen hatte.
Und er holte prompt aus: „Wir haben Aussagen aufgenommen, konnten aber keine Zeugen finden, die den Tathergang verfolgt hatten.“ Er lachte gequält: „Da waren Profis am Werk.“
Ludwig ahnte, dass der Xaver noch mehr auf der Pfanne hatte und dass er gern darüber redete, zumindest in dieser vertraulichen Umgebung. Also ließ er ihn reden.
„Ja, und Fußspuren gab es auch keine verwertbaren. Am Vormittag nach der Meldung des Diebstahls hat es geregnet und die Wege sahen wie frisch gefegt aus, na ja, Sie wissen schon.“
Ludwig nickte wissend: Mit aufgeweichten, verwaschenen Spuren konnte man nicht viel anfangen. Insgeheim hoffte er, dass sich während ihrer Unterhaltung ein Hauch von vertrauter Nähe zwischen den zwei Detektiven aufbaute – allem anfänglichen Argwohn zum Trotz.
„Frisch gefegt ist vielleicht übertrieben“, plauderte Bentheneder munter weiter. „Aber markante Schuhsohlenabdrücke außer von den gewöhnlichen Ranch-Standard-Arbeitsstiefeln gab es keine.“ Er machte eine beschwichtigende Handbewegung, als wollte er sich rechtfertigen: „Und die ganze Ranch stilllegen, um Fußabdrücke zu nehmen, das hielten wir für unangemessen.“
Ludwig dachte sich noch, dass der Xaver sicher den Toni gefragt hatte, was ihm wichtiger war, eine nicht blockierte Ranch oder eine genaue Spurenverfolgung mit ungewissem Ausgang. Und viel Aufhebens um eine an sich unschöne Sache zu machen, das war nicht Tonis Art. Schade für die Spurensucher.
„Hufabdrücke?“, warf Ludwig ein, denn er musste zeigen, dass er konzentriert bei der Sache blieb und dass er zielgerichtet fragen konnte.
Als Bestätigung erntete er ein anerkennendes Nicken des Polizisten. „Die verliefen in alle Richtungen, ganz konfus.“ Er zuckte mit den Schultern. „Da war nichts Aufschlussreiches dabei, auch außerhalb der Ranch nicht.“ Jetzt nickte Ludwig wieder und gab sich auch alle Mühe, dabei ein anerkennendes Gesicht zu machen.
Das sah der Polizist gerne.
Und Ludwig hatte seinen netten Tag und baute dem Weißbierliebhaber eine weitere Brücke: „Also haben Sie eine Anzeige gegen unbekannt vorliegen und die Untersuchung ist in der Schwebe?“
„So ist es“, kam die prompte Zustimmung.
Frage und Antwort gingen mittlerweile harmonisch Hand in Hand. Die beiden „Kriminalisten“ verstanden sich in der Tat.
„Ist Ihnen denn noch etwas aufgefallen?“, drehte der Sheriff den Spieß um, mehr als höfliche Floskel und zur Abrundung. Das konnte Ludwig anhand der Fragestellung entschlüsseln, denn sonst hätte der Staatsdiener etwas bestimmter gefragt, zum Beispiel: „Und, haben Sie noch Beweise gefunden?“
Und Ludwig hatte ja tatsächlich etwas auf Lager. Doch er durfte jetzt nicht überziehen, denn dann stand er als Besserwisser da und die Tür der Vertrautheit zum Beamten fiel ins Schloss. Also stapelte er tief: „Na ja, ich habe mir die Überwachungsvideos angesehen.“
Bentheneder ahnte, dass jetzt etwas ans Licht kam – ein Versäumnis, obwohl er natürlich ebenfalls die Bänder inspiziert hatte. „Aha?“, stellte der Sheriff ein Fragezeichen in den Raum, ohne preiszugeben, was er sich an den Videos angesehen hatte und was nicht.
Ein bisschen schmoren lassen wollte Ludwig den Staatsmann schon. Also machte er eine bedeutsame Pause, bevor er antwortete: „Die Videos wurden manipuliert.“
Bentheneder wirkte äußerlich nicht sonderlich verblüfft. Aber das nützte ihm nichts, denn Ludwig wusste es besser: Der Polizist hatte allen Grund, überrascht zu sein, denn hätte er selbst eine Unregelmäßigkeit in den Aufzeichnungen gefunden, dann hätte er schon längst damit geprahlt. Schließlich bildeten Überwachungsvideos heute das, was früher die Fußspuren und Tierfährten im Western waren – der Schlüssel zum Täter.
„Und wie wurden sie gefälscht?“, fragte Bentheneder interessiert, aber gänzlich ohne unprofessionelle Hektik. Dabei war er innerlich heiß darauf, mehr zu erfahren und seiner unvollendeten Fallakte die fehlenden Kapitel hinzuzufügen. Umso besser stand er dann da.
Und Ludwig erzählte von den statischen Sequenzen in der nächtlichen Aufzeichnung, von den täuschend echten Bildern und vom Geschick des Täters, der eine Illusion geschaffen hatte, die man so gut wie gar nicht aufzudecken vermochte. Letzteres sollte dem alten Polizisten schmeicheln, schließlich musste Ludwig ihn sich warmhalten. Es konnte zwar sein, dass man gemeinsam mit den Gesetzeshütern nicht viel weiterkam und Bentheneder hatte bisher kaum Substanzielles geliefert. Gegen die Polizei zu ermitteln stellte jedoch auf alle Fälle eine große Torheit dar. Und unnötige Hürden wollte Ludwig nicht aufbauen.
„Ach“, stieß Bentheneder aus und konnte seine Betroffenheit ob der verpassten Ermittlungsergebnisse nun kaum mehr kaschieren. „Das ist ja interessant“, sagte er schnell hinterher, um eben doch zu versuchen, seine Betroffenheit zu übertünchen. Vergebens.
„Haben Sie denn die Überwachungsvideos sichergestellt?“, plusterte sich Bentheneder jetzt auf. Er hatte Sorge, dass ein Beweismittel verlorenging.
Ludwig erklärte seelenruhig, dass sich die Videos bei den Kohlbayrs in sicherer Verwahrung befanden. Man konnte sie jederzeit einsehen. Man überschrieb sie auch nicht. Bentheneder entwickelte plötzlich Betriebsamkeit und machte Anstalten aufzubrechen. Er wollte die Beweismittel sicherstellen und hier nichts dem Zufall überlassen. Zumindest lag ihm daran, seinem Gegenüber zu zeigen, dass er einen Mann der Tat vor sich hatte.
„Haben Sie noch Zeit für ein paar schnelle Fragen?“, versuchte Ludwig ihn aufzuhalten, denn er hatte noch einen unverbrauchten Vorrat an Wissensdurst dabei. Bentheneder ließ sich besänftigen und sackte zurück in seinen Stuhl. Betriebsamkeit hatte er ja bereits demonstriert und die bildete das Gegenteil von Untätigkeit. Die Bänder liefen ihm schon nicht weg. Also erwartete er Ludwigs schnelle Fragen.
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