“Wenn es nur das wäre! Du musst wissen, Debre Damo ist ein sehr altes Kloster, eines der frühesten in der ganzen Christenheit. Damit nicht genug, ein sakraler Ort war es bereits lange Zeiten zuvor. Die Heiligen liegen nicht zufällig genau dort begraben. Sie sind Überwinder und sie sind Siegel, so wie es auch geschrieben steht im Namen des Erbarmers und seines Sohnes Krestos, des Siegers und des Heiliger Geistes.“
Er gebrauchte diese alte Formulierung und betonte sie besonders. Ich verstand überhaupt keinen Zusammenhang mehr, fragte noch einmal nach und konnte nur hoffen, dass Amhar alles richtig erfasst und übersetzt hatte. Mehr war nicht zu erfahren, über das, was unter unseren Füßen liegen sollte. Auch auf meine Bitte, ob er es mir denn nicht wenigstens mit Worten beschreiben könnte, antwortete er nur:
„Du hast nicht verstanden, was ich dir verdeutlichen wollte, wie viel weniger wirst du das Mysterium der Höhlen begreifen, ist es doch mit Worten dem Verständnis nicht näher zu bringen. Unter der Erde soll es verwahrt bleiben, hier ebenso wie an den anderen Orten. Dir ist es bestimmt mehr zu erfahren in der Stadt Abrehas. Du hast bereits ohne es zu wissen, dich auf eine Reise besonderer Art begeben. Wenn du entschlossen fortschreitest, ohne den Blick abzuwenden, wirst du soviel sehen, wie nötig für dich ist, um zu verstehen. Dieser Ort ist mit dem reinen Licht der Höhe gesegnet. Dir brächte es nicht Ruhe sondern Stillstand. Ein Verweilen aber ist nur für den von Segen, der seines nicht mehr bedarf. Suche auch nicht nach anderen Orten unvergänglichen Glücks, selbst der Garten Eden, wenn du Ihn fändest, brächte dir nichts als den ewigen Schlaf. Du hast noch einen langen Weg vor dir, und er führt zuvor durch die Niederungen. Unweigerlich würdest du auch sonst dahin zurückfallen, solange noch starke Bande dort dich halten.“
Dann hob er vor sich die Matte an und zeichnete eine große Acht in den Erdboden.
„Präge dir dieses Zeichen genau ein, und halte dich gen Osten, dort wo du das Kreuz geschrieben siehst."
Während er dies sagte, zeichnete sein Finger in eine der Schlaufen der Acht ein Kreuz. Seine Hand verwischte die Zeichnung wieder.
„Dein Weg wird unangenehm und gefährlich sein. Das ist er von seiner Natur her, nicht nur für dich. Alles das wirst du heil überstehen und finden nach dem du suchst, wenn du der Wahrheit folgst und unbeirrt weitergehst, ohne dich ablenken zu lassen. Dein Ziel wirst du im Gewand des Kriegers aber ohne Gewalt erreichen. Sei auf der Hut in der Stadt Sems. Dämonen der Vergangenheit sind wieder erwacht. Sie stammen aus dem längst überwunden geglaubten Zeitalter der dunklen Seite des Mondes. Von ihnen droht euch allen Gefahr.“
Er schaute mich prüfend an, und musste eigentlich festgestellt haben, dass ich höchstens noch verwirrter war als zuvor. Eigenartigerweise schien ihm das überhaupt nichts auszumachen, oder er war sich völlig sicher, dass die verabreichten Worte in mir weiter wirken würden. Anstatt auch nur irgendetwas hinzuzufügen oder eine weitere Erklärung abzugeben, hob er wiederum die Matte an und zeichnete in die Erde zwei Bögen, die sich an den Spitzen berührten und so eine wenn auch sehr flache Sichelform ergaben, sozusagen einen liegenden Halbmond. Dann darüber einen etwas kleineren Kreis und eine gerade Linie, die die beiden Spitzen es Halbmondes und in der Mitte den oberen Rand des Kreises berührte.
„Diesem Zeichen kannst du vertrauen.“
Damit deutete er mir an, dass die Unterredung beendet war. Ich verstand immer weniger, hatte keine Ahnung, dass ich überhaupt etwas suchte, viel weniger noch, um was es sich dabei handeln sollte. Meine Verwirrung war gar zu offensichtlich, so dass mein Gegenüber sich doch noch einmal herbeiließ:
„Du wirst verstehen, wenn es an der Zeit ist, und mit jedem weiteren Schritt soviel, wie für den nächsten nötig sein wird.“
Als hätte er jetzt aber wirklich genug geredet, und fast schon zuviel preisgegeben, beugte er sich wieder über das Buch und vertiefte sich in die uralten Lettern, als wäre ich nie im Raum gewesen.
„Was habt ihr denn bloß so lange gequatscht?“
Schauten meine Freunde mich verwundert an.
„Wenn ich das selber wüsste“,
murmelte ich benommen vor mich hin. Es war nicht nur das plötzliche, grelle Tageslicht, ich fühlte mich wie in jenem Zustand, wenn man zu abrupt geweckt wurde und sozusagen noch mit einem Fuß in der Traumwelt weilte. Auch waren da eine Fülle von Eindrücken und Worten, die ich bemüht war in das, was ich für so etwas wie das Wachbewusstsein hielt, hinüberzuretten. Und gerade diese irritierten mich umso mehr, wusste ich doch kaum etwas damit anzufangen.
„Du scheinst ja mal wieder ziemlich zäh verhandelt zu haben“,
witzelten sie. Ach ja, die Höhlen fiel es mir jetzt wieder ein, die müssten denken, ich hätte nur versucht den Mönch wegen der Erlaubnis so lange zu überreden.
„Damit wird wohl nichts“,
entglitt es mir, immer noch geistesabwesend. Erst der Schreck holte mich wieder in die Gegenwart, als sie irgendetwas von beinahe zweieinhalb Stunden erwähnten. Aber darauf versagte ich mir etwas zu entgegnen, war ich doch selber um eine Antwort verlegen, denn ich meinte, ich wäre nur einige Minuten bei dem Mönch gewesen. An seltsamen Kuben aus aufgeschichteten Steinen kamen wir vorbei. Für ein Bauwerk waren sie entschieden zu klein und obendrein ohne Türen und Fenster. Dennoch wohnten Mönche darin, die sich hatten einmauern lassen. Durch eine winzige Öffnung schoben Novizen ihnen einmal täglich Nahrung hinein und nahmen das leere Geschirr zurück. Sie waren angewiesen, sich dabei jeglicher Rede zu enthalten.
Wohin man auch ging, immer wieder stand man bald am Abgrund, eine abrupte Grenze ohne Mauer oder Geländer. Übergangslos endete diese Welt der Zurückgezogenheit. Wie eine Insel schwebte sie hoch in den Lüften, in einem Ozean von bizarren Bergen, dessen Ende in keiner Richtung abzusehen war.
Bei Sonnenuntergang saßen wir an der Westseite des Abgrundes und blickten schweigend in die Ferne. Uns wurde auf einmal bewusst, wie wenig wir geredet hatten seit wir hier waren. Es bestand auch kein Bedürfnis. Jeder schaute in die Weite und horchte in die Stille. Meilenweit segelte der Blick durch leeren Raum bis er auf das erste Objekt traf, den gegenüber liegenden Berghang. Danach schob sich eine Kulisse von Bergen hinter die andere. Zu dieser Abendstunde wurden wir gewahr, dass es noch andere Wesen auf diesem Eiland gab. Meerkatzen näherten sich, uns neugierig betrachtend, gefolgt von Murmeltieren. Ihre Unbefangenheit sagte vieles über die eineinhalb Jahrtausende des Zusammenlebens mit Menschen auf engstem Raum. Und das, obwohl Murmeltiere des Teufels waren, wie uns die Novizen aufklärten.
Wegelagerer, Magier, Lustschlösser und die Lust der Sprachlosigkeit
Vor der Weiterfahrt nach Süden stiegen zwei mit Karabinern bewaffnete und Patronengurten umhangene Polizisten zu, zum Schutz gegen die Schiftas.
„Die Aussicht auf einen Schusswechsel an irgendeinem einsamen Hinterhalt finde ich ungemein beruhigend“,
kommentierte O-Chang. Noch jemand wachte über unser Heil, mit Argusaugen war Amhar dahinter, dass wir keinen Cent zuviel zahlen mussten, auf dass sich jeder korrekt verhielt, sei er nun Busfahrer, Kellner, Hotelier oder wer auch immer. Für unsere Verhältnisse ließ es sich äußerst preiswert hier leben. Gerade das aber wollten wir nicht zur Schau stellen, nicht zuletzt weil einfältige Ausländerfreunde Amhars Stolz ebensolche Pein verursacht hätten wie neppende Landsleute. In schier nicht enden wollenden Kehren ging es hinunter in das Tal des Terkazeflusses bis auf nur 500 Meter über dem Meeresspiegel. Auf der anderen Seite begann die Provinz Begemder mit einem noch längeren Aufstieg über Serpentinen bis zum 2800 m. hohen Wokefitpass. Die Berglandschaft wurde immer wilder und grandioser.
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