Wie Hertha immer auf das Nächstschöne sah und immer etwas wusste, so dass große Traurigkeit nicht aufkam. Sie selbst wusste auch, wie sie mit Abschieden fertig wurde: Sie nahm ganz bewusst Bilder auf, sammelte Fotografien für ihr Gedächtnis. Eine jetzt: Hertha und Heinrich vor der geschmückten Haustür in festlicher Kleidung und ganz besonderer Stimmung, die sich ihr jetzt mit dem Friedenstag erklärte. Hertha siebzigjährig, gangunsicher, gebeugt, wenn auch immer noch groß und mit diesem sphinxisch, Leid abwehrendem Lächeln. Neben ihr der zwölf Jahre ältere Heinrich, dieser stille, liebebedürftige Mann, der es an ihrer Seite nicht leicht gehabt hatte. Aber nun war er allein auf sie verwiesen, konnte ihr nicht mehr ausrücken, so dass eine Altersliebe gewachsen war. Seit nicht langer Zeit unterschrieb Hertha ihre Briefe H. & H., glücklich offenbar über die neue Gemeinschaft. Jetzt wollte sie alles gut und richtig machen. Und es hatte den deutlichen Anschein: Es gelang ihr.
Sie ging Hertha voraus die zweiundvierzig von Witterung und vielem Auf und Ab der Schritte mitgenommenen Stufen in den Hof hinunter, wo Herthas Ente stand.
Dann waren sie wieder auf dem Kopfbahnhof. Ihre Reise führte sie weiter zu Herthas Schwester Gisel. Sie würde das Haus sehen, in dem sie, von den Eltern getrennt, eineinhalb Jahre ihrer frühen Kindheit verbracht hatte. Eine Reise in den Westen galt es auszunutzen. Wohl glaubte sie, dass die Reiseerleichterungen von Dauer sein und den merkwürdigen Zustand der Trennung eines Volkes erträglicher machen würden. Wenn man von einem Volk vielleicht auch nicht mehr so recht sprechen konnte. Aber was wusste man?
Stehenbleiben und winken wollte Hertha doch nicht, so dass sie sich vor dem Zug umarmten in der Gewissheit, sich im nächsten Jahr mindestens in Ostberlin wiederzusehen. Hertha scheute ja keine Grenzübertritte.
Und grüß den Heinrich ganz lieb!, sagte sie.
Und grüß den Götz!, sagte Hertha, die wohl die Reise zu ihrer Schwester nur als Umweg zu der zu ihrem Sohn sah. Sie entblößte ihre langen, unregelmäßigen, gelben Zähne und hatte das allerschönste Lächeln in ihrem Löwengesicht.
Lasst´s euch miteinander gut gehen! Der Zug auf dem Kopfbahnhof hatte noch und noch Aufenthalt. Sie sah Hertha nach, bis die Gestalt mit dem Löwenhaupt in langem, weitem Cape zwischen den anderen Menschen nicht mehr auszumachen war.
1987
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