Chrissi kam mit meinem Kaffee und schaute mir über die Schulter. „Was bedeutet das mit dem Arzt da, Chef?“ Sie stellte den Becher auf meinen Schreibtisch.
„Vielleicht eine Aufgabe für dich. Wir müssen zweifelsfrei herausfinden, ob diese Marlene nun Drogen genommen hat oder nicht. Wer könnte das besser wissen, als ihr Arzt?“ Christine sah mich zweifelnd an. „Ich glaube nicht, dass wir da irgendeine Auskunft bekommen werden. Ärztliche Schweigepflicht.“ - „Deswegen musst du auch - sozusagen Undercover - tätig werden. Mach einen Termin bei dem Arzt und siehe zu, ob du im persönlichen Gespräch etwas herausbringen kannst. Oder vielleicht sogar an deren Computer heran kommst ...“ Ich reichte Chrissi das Blatt mit der Adresse des Arztes. „Hier sind alle noch fehlenden Daten und Informationen, die ich gestern von Marianne Kotschak bekommen habe. Lege doch einfach schon einmal eine Akte über diesen Fall an.“
„Und wie soll es dann weitergehen?“ - „Wir müssen zunächst herausfinden, wo Marlene zuletzt war. Dabei kann uns der Eintrag in ihrem ‚Auftragsbuch’ ein wenig helfen. ‚H Pa Hr E’ - Hotel Pa... Es kann ja nicht allzu viele Hotels mit den Anfangsbuchstaben Pa hier in Gladbach oder in der Nähe geben. Da musst du einfach einmal ins Internet schauen. Gurgel doch mal!“ - „Googeln, Chef, so heißt das. Du solltest dir das endlich merken. Oder noch besser: Schaff dir einen eigenen Computer an. Einen Laptop.“
Ich nickte. Daran dachte ich ja auch schon. Auch wenn es sehr bequem war, die Arbeit Christine zu überlassen, so würde ich früher oder später doch so ein Gerät kaufen müssen.
Nun, das wäre eine schöne Aufgabe für den heutigen Morgen und ließe sich ja auch mit einem reichhaltigen Frühstück im Café CnakBak verbinden. Danach wäre ich gestärkt für den Kauf eines dieser Geräte. „Google doch mal, ob es einen guten Computerladen mit Beratung hier in der Innenstadt gibt.“
Chrissi tippte schon fleißig auf ihrer Tastatur herum. „Wie war es denn gestern, in diesem Sportstudio?“ Die Frage hatte ich befürchtet. „Anstrengend, Chrissi. Aber reine Zeitverschwendung. Da werde ich wohl kaum noch einmal hingehen!“
Christine sah auf. „Aha. Das habe ich mir fast gedacht.“ Dann sprang der Drucker an. „Hier, ein kleiner Laden in der Fußgängerzone. ‚NSOW CoSer Frojan’ - ich würde aber an deiner Stelle lieber zu ‚Saturn’ gehen.“ - „Nein, Chrissi, ich brauche vernünftige Beratung. Keine Null-Acht-Fuffzehn Abfertigung. Was soll denn dieses NSO... Dingsda bedeuten?“ - „Nord Süd Ost West Computer Service Frojan.“
„Aha.“
Nie hätte ich gedacht, dass ein Laden noch kleiner und heruntergekommener sein könnte, als meiner. Aber doch, das gab es. Ich stand vor dem kleinen Geschäft, auf dem in goldenen Buchstaben ‚NSOW CoSer’ prangte. Direkt darunter hatte ein legasthenischer Witzbold in blauer Farbe ‚Isch binn gröhste - H.B.’ gesprüht. Wurde das denn nicht vom Firmeninhaber sofort entfernt? Und: sollte ich nicht vielleicht doch besser zu ‚Saturn’ gehen?
Kurzentschlossen betrat ich den Laden. Begleitet von einem nicht enden wollendem Gebimmel, stand ich vor einer kleinen, schmuddeligen Verkaufstheke. Dann hörte ich im Hintergrund die Toilettenspülung.
„Ah, Kundschaft. Willkommen, willkommen.“ Ein kleiner Mann, er hatte wohl gerade die zwanzig überschritten, kam auf mich zu. Dabei wischte er sich die Hände an seiner Jeanshose ab. „Was kann ich für sie tun?“ - „Ich suche einen Rechner. Einen Laptop!“ - „Wunderbar, wunderbar. Einen Labetabe. Ja, sehen sie, ich habe so viele davon, dass ich sie verkaufe!“ Der kleine Mann lachte meckernd.
„Labetabe?“ Damit wusste ich nichts anzufangen. Außerdem sah ich in dem Laden keinen einzigen Rechner. Hier ein paar Tastaturen und Mäuse, da ein Grabbeltisch mit verschiedenen Kabeln; aber weit und breit nicht ein Rechner.
„Ja, hähä, so nennen wir Fachleute einen Laptop unter uns: ‚Labetabe’.“ Ich schüttelte den Kopf. „Habe ich noch nie gehört. Wo sind denn die guten Stücke?“ Der Verkäufer sah mich irritiert an: „Die guten Stücke?“ - „Ja, die Rechner, ihre ‚Labetabe’?“
„Warum sagen sie das denn nicht gleich, guter Mann. Kommen hier einfach herein und äußern sich nicht. Moment!“ Wie ein Wiesel verschwand der Kleinwüchsige in dem Raum, aus dem er auch zuvor schon gekommen war. Wieder hörte ich die Wasserspülung rauschen und schon kam er mit einem Laptop in der Hand zurück. Wenigstens hörte das nervtötende Gebimmel jetzt auf.
„Hier, das Neueste auf dem Markt.“ Mit einem Krachen stellte er das Gerät auf der Theke ab. Irgendwie erschienen mir Laptops in meiner Erinnerung kleiner. „Das erscheint mir aber ein recht großes Gerät.“ - „Ja, damit lässt sich ja auch Großes erledigen! Schau’n se hier: Diskettenlaufwerk. Und hier: Wie viele schöne Anschlüsse.“ Ich zweifelte. Das sollte das neueste Gerät sein? „Diskettenlaufwerk? Ich dachte, die gibt es schon gar nicht mehr?“ - „Aber, guter Mann, die sind doch wieder richtig im Kommen! Ich sehe ihnen doch an, dass sie Ahnung von Technik haben. Noch nie etwas vom neuen ‚FDL - System’ gehört?“
Ich schüttelte fragend den Kopf. „FDL - System? Nein, habe ich nicht.“ - „Fast Disketten Laufwerk System. Das ist so schnell, schneller geht’s nicht.“ Naja, ich wusste - zugegebener Maßen - nicht viel über Computer. In meiner alten Firma wurde damals immer mit Karteikästen und Speicherschreibmaschinen gearbeitet und ich habe mich auch nie wirklich für diese Computer interessiert. Deswegen brauchte ich ja hier und jetzt die persönliche Beratung. Aber irgendwie kam mir das Ding doch veraltet vor ...
„Haben sie noch andere Rechner?“, wagte ich den Vorstoß, aber der Verkäufer sah mich aus großen Kuhaugen an: „Noch andere Rechner? Ich denke, sie suchen einen Laptop? Für den hier mache ich ihnen jetzt einen Sonderpreis. Der ist gut. Also!?“
Ja, also? Ich schaute mir das Gerät noch einmal an. „Wo ist denn das DVD Laufwerk?“ - „Brauchen sie nicht. Hier ist ein Anschluss dafür.“ Er zeigte auf einen Anschluss an der Geräteseite. „Also, wenn sie jetzt mal ganz leise sind, dann nenne ich ihnen den Sonderpreis!“ Abwartend schaute er mich an. Ich nickte. Der Sonderpreis würde mich schon interessieren. „Zwöli...“ Der Mann sprach so leise, ich konnte ihn nicht verstehen. Grinsend blickte er mir ins Gesicht. „Und, ist das ein Sonderpreis?“ - „Ich habe nichts verstanden!“ - „Ah, sie sind ein ganz Schlauer, sie wollen handeln. Also, dann eben keinen Sonderpreis, sondern den normalen.“ Er nannte mir eine Zahl, die unserer aktuellen Jahreszahl sehr nahe kam.
Plötzlich erklang direkt hinter der Theke eine amerikanische Polizeisirene. Ich zuckte zusammen. „Keine Angst, mein Freund. Das ist nur mein Handy.“ Sekunden später hielt der Mann einen winzigen Kasten an sein Ohr. Während er in das Gerät sprach, schaute er mich immer wieder an. „Ja, der Laptop ist zurzeit noch da, aber hier steht ein Kunde, der will ihn kaufen. Nein, auch wenn du mir das Doppelte bietest, der Kunde hier war zuerst da ...“ Dann hielt er das Handy ein wenig vom Ohr fort und sah mich an: „Und wollen sie den Laptop nun kaufen oder nicht?“
Ja, wollte ich oder nicht? Wenn ich jetzt ‚nein’ sagte, wäre das Gerät möglicherweise weg. Ich nickte: „Ich nehme den Computer.“ Der Verkäufer legte sein Handy weg und rieb sich die Hände. Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, der aber sofort wieder verloren ging: Das Handy sah so aus, als wäre es gar nicht eingeschaltet gewesen ... Aber das konnte ja wohl nicht sein.
Christine schaute mich an, als wäre ich der größte Idiot auf dieser Erde. „Chef, was ist denn das nun wieder?“ - „Ein ‚Labetabe’.“ Ich hatte schließlich etwas gelernt. „Chef, das ist ein Signal!“ Ein Signal? Chrissi sprach in Rätseln. Was für ein Signal? Ich formulierte meine Frage: „Was für ein Signal?“
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