Ich schaltete ab. Hier übernahm mein Unterbewusstsein nun die Kontrolle. Wie in Zeitlupe konnte ich mich selbst beobachten. Mein rechter Fuß trat hart auf die Bremse, was der Porsche mit einem Schleudern quittierte. Der fremde Wagen sauste vorbei. Schon flammten dort auch die Bremslichter auf. Mein Unterbewusstsein ließ den Fuß die Bremse lösen, gab wieder Gas, drehte das Lenkrad und der Wagen schlitterte eine Ausfahrt herunter. Wunderbar. Damit dürfte ich den Jungs entkommen sein. Ich entspannte mich. Leider ein wenig zu sehr, denn sofort machte sich ein feuchter Fleck auf meiner Hose breit. Ich konstatierte: das konnte nur mein Unterbewusstsein verursacht haben.
Schon rauschte ein Ortsschild an mir vorbei ‚Cloppenburg’. Verdammt, wo war ich denn jetzt?
Allmählich durfte ich die Kontrolle über mich selbst wieder übernehmen und als erste Maßnahme reduzierte ich die Geschwindigkeit auf einhundertundvierzig. Ich würde irgendwo anhalten und mir eine neue Fahrtroute zurechtlegen müssen.
Auf der Landstraße befanden sich weder Menschen, noch andere Fahrzeuge. Und im Rückspiegel entdeckte ich keine Verfolger. Ich reduzierte meine Geschwindigkeit weiter. Auch wenn überall Schilder mit ‚siebzig’ standen, einhundertundzwanzig war schon in Ordnung. Ich entschied, erst einmal der Landstraße zu folgen und dann weiter zu sehen.
Immer noch keine Protzkarre hinter mir - wunderbar!
Gerade passierte ich ein Schild, das Richtung ‚Rheine’ wies, da erblickte ich ihn wieder im Rückspiegel: den amerikanischen Wagen. Unentwegt kam er näher. Ja gaben die denn nie auf?
Ich beschleunigte. Felder und Wiesen sausten an mir vorüber. Der Verfolger fiel erneut zurück. Hinter einer Kurve folgte ein kleines Wäldchen. Das war meine Chance! Wieder stieg ich mit aller Kraft auf die Bremse und wieder schlingerte der Porsche bösartig. Da, ein Waldweg! Heftig drehte ich am Lenkrad. Dann wieder Vollgas und schon verschluckte mich der schützende Wald.
Leider folgte auch schon wieder eine Kurve und die übersah ich! Mit einem knirschenden Geräusch hob der Wagen vom Boden ab, der Motor heulte gequält auf, und gleich darauf landete der Porsche krachend in einer Ansammlung von Büschen. Wieder reagierte ich instinktiv und trat das Bremspedal bis zum Anschlag durch. Das Fahrzeug rutschte auf eine Wiese, stellte sich quer und überschlug sich. Dann landete es wieder auf den Rädern und ich übergab mich auf den prall vor mir aufragenden Airbag. Gut so, wenigstens bekam meine Kleidung nichts davon ab.
Die Luft entwich aus dem Airbag und die ganze Chose schwappte auf meine Hose.
Der Motor war erstorben; hier gab es wohl auch keine Möglichkeit weiterzufahren. Schnell drehte ich die Lichter aus, hangelte nach meinem Koffer, der im Fußraum gelandet war, stemmte die verkeilte Tür auf und zog instinktiv den Fahrzeugschlüssel ab. Mir war nichts passiert! Welch ein Wunder. Ich tastete mich ab. Wirklich. Alles in Ordnung.
Nun, das konnte ich von dem Wagen weniger behaupten. Ob das alles repariert werden konnte? Ich beschloss, nicht auf Antworten zu warten und machte mich zu Fuß auf den Weg. Immer Richtung Wald. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis meine Verfolger ebenfalls hierhin fanden.
In dem Moment, als ich den Waldrand erreichte, drang das Motorgeräusch des amerikanischen Wagens zu mir. Natürlich hatten die beiden den Waldweg entdeckt. Rasch verschwand ich im Wäldchen und nahm endlich meine Wollmütze ab, die ich sorgfältig in meiner Tasche verstaute. Auch die Handschuhe konnte ich nun getrost ausziehen.
Nach gut einer halben Stunde Fußmarsch stand ich an einer ausgebauten Straße. Ein freundliches Schild informierte mich, dass es hier Richtung ‚Rheine’ ging. Somit ließ mich mein Orientierungsvermögen nicht im Stich: hier war ich richtig.
Treu folgte mir mein Rollkoffer. Mein Plan stand fest: Christine musste mich hier abholen. Bis dahin würde ich mich versteckt halten, falls meine Verfolger hier auftauchen sollten. Schon hielt ich mein Handy in der Hand. Kein Netz? Ich drückte alle Tasten. Nein, das Gerät schien defekt zu sein. Bei dem Unfall zu Bruch gegangen. Auch das noch. Also musste ich nach einer Möglichkeit zu telefonieren Ausschau halten. Gab es überhaupt noch öffentliche Telefonzellen?
Ich sah mich um. Vermutlich müsste ich Richtung Stadt marschieren. In der Gegenrichtung war so etwas wie ein Fußballplatz auszumachen. Sollte ich es vielleicht erst einmal dort versuchen?
Das Glück schien mir hold. Neben dem in die Jahre gekommenem, und von jugendlichen ‚Künstlern’ durch zahlreiche Sprühaktionen verunstaltetem Kassenhäuschen, stand wirklich eine Telefonzelle. Gelb. Auch ordentlich besprüht und mit Sprüchen wie: ‚hier was Thomas, the best fukker of wohrld’ verschönert. Schade, dass die Rechtschreibung der Jugend solche Probleme bereitete!
Die Telefonzelle war wirklich in Takt. Ich nahm den Hörer ab und erhielt umgehend ein Signal. Gepriesen sei die heile Welt. Auch das entsprechende Kleingeld fand ich in meinen Taschen.
„Verdammt, Jonathan, weißt du wie spät es ist?“ Christines Rufnummer kannte ich auswendig. So häufig wie ich bei ihr anrief, war die Nummer schon fast ein Teil meiner selbst geworden. Chrissi, der Retter in der Not ...
„Chrissi, hör zu, ich habe ein Problem.“ - „Klar, es ist gerade fünf Uhr morgens. Wer mich da weckt, der hat ein Problem! Ruf doch einfach später im Büro an.“
Mich überkam die Panik. „Warte Chrissi, ich brauche dringend deine Hilfe.“ Wenigstens legte sie nicht direkt auf, sondern grunzte nur unwillig. Ich schilderte in kurzen Sätzen mein Problem.
„Hab’ ich doch gesagt, dass das Ganze eine Nummer zu groß für dich ist. Aber der Herr Superdetektiv wollte mir ja nicht glauben!“
Hier half nur, sich kleinlaut zu geben und zu bereuen. Endlich willigte Christine ein, mich abzuholen. Aber nur gegen das Versprechen, sie heute Abend opulent zum Essen auszuführen. Verflixt, dieser Job kostete mich mehr, als er einbrachte ...
„Wie siehst du denn aus?“ Christine betrachtete mich angeekelt von oben bis unten. „Hast du dich bekotzt? Hier, mache dich erst einmal sauber, bevor du in meinen Wagen steigst.“ Sie reichte mir einige feuchte Tücher, mit denen ich meine Hose notdürftig abwischte.
Während der anderthalb Stunden Rückfahrt sprach sie kein Wort mehr mit mir. Dafür saß ich im Durchzug, was ich über alle Maßen hasste. Morgen würde ich wieder eine Erkältung haben!
Pünktlich um sechzehn Uhr rief ich die Rufnummer auf dem Zettel an.
„Na, wenigstens sind sie halbwegs pünktlich, wenn sie denn schon mal aktiv sind.“ - „Also, ich, also da ...“ fing ich an zu stottern. „Sparen Sie sich die Entschuldigungen. Ich hätte einen Job für sie. Wo können wir uns treffen?“
Ich überlegte. Vielleicht sollte ich die Dame zum Essen einladen? Zu Curry - Erwin? Nein, doch besser nicht. Also in mein Stamm - Steakhaus ‚Chez Duedo’!
„Kennen sie das ‚Chez Duedo’?“ - „Das Steakhaus?“ - „Joup. Treffen wir uns dort um achtzehn Uhr. Geht das?“
Die Dame war einverstanden. Mir blieben noch gut zwei Stunden Zeit, mich restaurantfertig zu machen.
Kurz nach achtzehn Uhr betrat ich das Lokal. Um diese Uhrzeit befanden sich nur wenige Gäste in dem Restaurant und so war es ein Leichtes die Dame ausfindig zu machen.
„Frau Kotschak?“ Ich gab ihr die Hand und setzte mich. Chrissi hatte sie wirklich gut beschrieben: Gutaussehend, zirka fünfundzwanzig Jahre alt, lange brünette Haare und genau die richtige Figur. Nicht zu schlank, aber auch nicht zu dick. Schade eigentlich, dass ich niemals etwas mit Klienten anfangen wollte. Aber was wäre eigentlich nach dem Job?
„Nun, so wie es aussieht, gefällt ihnen, was sie da sehen?“
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