„Gut, Herr Lärpers, Jonathan. Wir sprechen uns hier alle mit unseren Vornamen an.“ - „Jon, Jon können sie zu mir sagen.“ - „Ja, prima. Also, dann folgen sie mir einmal bitte.“
Nach und nach zeigte sie mir alle Räume. Umkleide und Dusche - allerdings getrennt nach Männern und Frauen. Die Damenumkleide sah ich auch nur von draußen. Dann Kraftraum - hier standen die üblichen Foltergeräte und einige kraftstrotzende Männer ließen schwere Gewichte mit einer Leichtigkeit auf und ab schweben, die mich staunen ließ. Vielleicht alle gedopt mit irgendwelchen Pillen? Ich behielt meine Gedanken für mich, denn schon ging es weiter. In den Keller. Schießstand. Wofür um Himmels willen, brauchten die hier einen Schießstand? Ob das legal war? Den bekam ich auch nur von außen zu sehen. Dann: Labor. Es wurde ja immer schöner. Aber ohne die Tür zu öffnen, gingen wir vorüber und standen schließlich vor einem Schwimmbecken. Ich staunte nicht schlecht über die luxuriöse Ausstattung. Endlich ging es wieder zurück ins Erdgeschoss. Stolz zeigte mir die Hübsche dann auch noch einen kleinen Saal, den sie ‚Bibliothek’ nannte. Der Raum lag direkt neben einem Innenhof. Meinem Blick folgend meinte sie:
„Unser Atrium. Ideal für Pausen und zum Entspannen. Und eine Tiefgarage haben wir hier auch noch. Für Gäste ist aber nur der Parkplatz draußen vorgesehen.“
Schließlich landeten wir in einer riesigen Halle, in der eine größere Gruppe von Männern und Frauen beim Training irgendeiner Kampfsportart war. Alles ging sehr diszipliniert vor sich und fasziniert betrachtete ich die exakten Bewegungen der Kämpfer.
„Das hier ist unser Dojo. So nennt man den Trainingsraum. Ah - und das ist ihr Trainer: Samuel L. Terbarrus.“
Der Mann kam auf uns zu und man konnte das eigentlich nicht gehen nennen. Er schwebte oder ... Verzweifelt suchte ich nach einem Vergleich. Ja, richtig: Irgendwie erinnerte er mich an eine Raubkatze. Unauffällig musterte ich den Trainer. Dieser Samuel war gut einen Kopf kleiner als ich, schätzungsweise knapp einmeterundsiebzig. Sein asiatisches Aussehen passte in diese Umgebung und seine ganze Gestik zeigte unerschütterliches Selbstvertrauen.
Dann stand er auch schon vor mir und zerquetschte mir fast die Hand. „Hi Jonathan, ich bin Samuel. Du kannst mich Sam nennen. Dein persönlicher Trainer. Jennifer hat dir ja schon Einiges gezeigt. Ich werde dir kurz den allgemeinen Ablauf hier erklären und dann machen wir einen Eingangstest.“
Sam sah an mir herunter: „Rauchst du?“ Ich schüttelte den Kopf. „Jon.“ - „Jon?“ - „Ja, ich bin Jon.“ Sam sah erneut an mir herunter. „Aha. Also keine Zigaretten. Und wie steht’s mit Alkohol?“ - „Gerne.“
Sam schüttelte den Kopf. „Das wirst du reduzieren müssen! Keinen Tabak, keine Drogen und Alkohol nur in Maßen.“ Ich wollte noch ergänzen: ‚und keine Weiber’, ließ es dann aber und dachte so bei mir: ‚na dann lieber keinen Kra... - Sport.’ Am liebsten hätte ich mich direkt wieder verabschiedet.
„Also, Jonathan, wenn du erst einmal mit diesem Sport angefangen hast, verlierst du automatisch dein Interesse an solchen Dingen.“ Und als hätte er meine Gedanken gelesen, fügte Sam leise lachend hinzu: „Dafür steigert es enorm die Potenz.“ Nun, das hatte wirklich was für sich.
Sam erklärte mir alles genau. Überraschenderweise knüpfte er da an, wo Jennifer mit ihren Erklärungen aufgehört hatte. Es kam weder zu Wiederholungen, noch zu langatmigen Monologen. „Wir sind alle eine große Familie hier.“
Zum Schluss landeten wir wieder im Umkleideraum. Sam deutete auf meine Tasche: „Zieh deinen Trainingsanzug an und komm dann rüber in den Kraftraum.“
„So, Jonathan. Wir werden jetzt einen kleinen Test deiner momentanen Kondition durchführen. Dazu fangen wir ganz profan mit Fahrradfahren an.“ ‚Fahrradfahren’! Ich wollte Kampfsport lernen, nicht Fahrrad fahren. Und meine Kondition: Ich war weder fett, noch zu dürr. Na gut, Alkohol und gutes Essen hinterließen einige Spuren. Aber für einen Dreißigjährigen war ich eigentlich perfekt. Ich strampelte vor mich hin.
„Geht es noch ein wenig schneller, Jonathan?“
Ich strampelte schneller. Außerdem wurmte mich das ‚Jonathan’. Jon, verflixt, Jon! „Ja, Samuel, es geht schneller“, keuchte ich. Das Radeln wurde jetzt doch ein wenig mühsam. „Na, dann mal los, Jonathan, etwas schneller noch!“ Keuchend stoppte ich. Was, noch schneller?
„Was ist los? Schon am Ende?“ Sam mimte den Besorgten. „Na, mit deiner Kondition ist jedenfalls nicht viel los.“
Schon ging es an das Gewichtheben. Wieder schüttelte Sam den Kopf. Dann folgte Laufen auf einem Laufband, das viel zu schnell eingestellt war. Ich gab auf.
„Da haben wir aber noch eine Menge Arbeit vor uns ...“ Sam machte sich Notizen, während ich schnaufend auf einem Stuhl saß. Schließlich trat er vor mich.
„Also, Jonathan, wir trainieren hier jeden Tag. Du kannst so oft herkommen, wie du möchtest. Zu jeder beliebigen Zeit. Jemand, der dich trainieren kann, wird immer hier sein. Ich selbst bin nachmittags und abends hier. Wenn du also abends kommst, dann trainieren wir zusammen. Das wäre wohl auch am sinnvollsten. Wir werden ein Programm aus Kraft-, Ausdauertraining und Kampftechniken zusammenstellen. Später erhältst du noch Waffenkunde und Schießunterricht. Ich nehme an, dass du keinen Waffenschein hast?“ Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das werden? Ausbildung zum Special Agent?
„Na gut, als Privatdetektiv solltest du schon über einen Waffenschein verfügen und auch eine Waffe besitzen. Oder bist du etwa einer von denen, die sich mit Aufträgen wie ‚entlaufene Hunde zurückholen’ oder ‚fremdgehende Männer beschatten’ begnügen?“ Sam erwartete keine Antwort. Die Frage schien wohl rein rhetorisch zu sein.
Training jeden Tag? Ich glaube, ich musste erst einmal darüber nachdenken, ob ich das auch wirklich wollte. Und nur noch wenig Alkohol? Keinen Tequila ... Ach nee, halt. Tequila wollte ich ja ohnehin keinen mehr trinken. Aber Cognac. Geschlagen, wie ein Häufchen Elend, saß ich auf meinem Stuhl. „Ich, ich, also Sam ... Ich weiß nicht, ob ich morgen wieder komme. Ich weiß nicht, ob ich ...“ - „Keine Sorge, Jonathan. Du kommst wieder. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Steh’ doch einmal auf bitte. So, jetzt gib mir deine Hand.“ Sam nahm meine Hand, drückte sie leicht und schaute mir in die Augen. Dann wandte er sich ab. „Du kommst wieder, Jonathan. Bis morgen!“
Auf dem Parkplatz schmiss ich meine Sporttasche mit Wut in den Kofferraum. Ich duschte schnell, nachdem mich Sam einfach so stehen ließ. Was der sich dachte. Ich wiederkommen? Pah! Die können mich mal kreuzweise mit ihrem Scheiß ‚Krach Manga’! Was bildete der sich denn ein? Egal wie sehr Chrissi mich unter Druck setzte, noch einmal würden mich keine zehn Pferde in dieses ‚Sportstudio’ bringen. Dumme Quälerei!
Mir fielen noch zahlreiche, wirklich schöne, Schimpfworte für das Studio, Sam und alle Kampfsportarten ein. Dann aber musste ich mich auf das Einparken vor meinem Büro konzentrieren. Irgendwie auch merkwürdig: alle Parkplätze der Straße waren ständig belegt. Nur dieser eine Platz hier, direkt vor meinem Laden, war immer frei. Na ja, Zufall. Zu müde, um mir noch großartig Gedanken zu machen, verschloss ich mein Fahrzeug. Aber warum war ich so kaputt? An dem bisschen Training konnte es doch eigentlich nicht liegen?
Gut gelaunt und pünktlich erschien ich im Büro. Christine sah mich erstaunt an und konnte sich wieder einmal ihren Spott nicht verkneifen: „Oh, heute so pünktlich, Chef?“ Ich nickte nur. „Wie wäre es mit einem Kaffee, Chrissi?“
Ein arbeitsreicher Tag würde vor uns liegen. Letzte Nacht waren mir einige Gedanken gekommen. Ich zog den Schreibblock zu mir und schon füllte sich das leere Blatt.
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