1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 „Wow, das sind ja traumhafte Verhältnisse!“
Ali lächelte verklärt. „Ja, die Gemeinschaft der Gläubigen ist die beste Gemeinschaft auf der Erde. Auch Sie sind eingeladen, zu dieser Gemeinschaft zu gehören. Sie müssen nur aufrichtigen Herzens die Glaubensformel sprechen und die Grundpflichten beherzigen. So zum ...“
Dieter hob abwehrend die Hand. „Stopp, aufhören! Ich halte nichts von Religion – weder von der christlichen, noch von der islamischen noch von irgendeiner anderen.“
„Sie sollten den Islam kennenlernen, mein Herr, dann würden Sie Ihre Meinung sicher ändern.“
„Danke kein Bedarf! So nun brauche ich meine Ruhe, mich strengt das alles ziemlich an.“
„Ja, ich hab´s verstanden“, sagte Ali, legte sich wieder auf den Rücken und starrte beleidigt zur Decke. Bald ging ihm jedoch durch den Kopf, was Dieter über das Verhältnis der Geschlechter in Deutschland erzählt hatte. ´Die spinnen, die Ungläubigen` sinnierte er. ´Wie kann man den Frauen nur so viele Rechte geben? Zusehen, wie sie ihre Männer ausnutzen und betrügen, ja die eigene Familie zerstören! – Moment mal, Mann, oh Mann, das betrifft auch mich! Wenn es stimmt, was Dieter behauptet, wird es mir sehr schwer fallen, meine zweiundsiebzig Jungfrauen zu disziplinieren. Aber können die Männer hier wirklich so unterwürfig sein und Frauen machen lassen, was sie wollen? – Nein, mit Sicherheit nicht! Wahrscheinlich schwindelt Dieter. Er wird seine Frau verstoßen haben, woraufhin sie mit dem Kind zu ihren Eltern geflüchtet ist. Und dieser Unmann hat darauf verzichtet, seinen Sohn zurückzufordern. Um sein Gesicht zu wahren und eine Erklärung für seine Krankheit zu liefern, hat er das Geschehen verdreht! Jedes Recht, nicht nur islamisches Recht, wird doch bestimmen, dass der Mann über seine Kinder verfügt.`
Umständlich drehte sich Ali auf die Seite und schaute an die Wand. ´Nein`, dachte er erneut, ´kein Volk, keine Gemeinschaft ist so verrückt, Frauen alle nur denkbaren Rechte einzuräumen. Aber weshalb ist Dieter dann krank geworden, wenn die Geschichte mit dieser Janine nicht stimmt?- Ich hab´s, Allah hat ihm die Krankheit als Strafe geschickt, weil er von seinem Glauben abgefallen ist und an keinen Gott mehr glaubt.`
In diesem Moment ging die Zimmertür auf und zwei Pfleger traten ein. Mit ernstem Gesichtsausdruck näherten sie sich Ali, der sich ängstlich in sein Bett kauerte.
„Guten Tag Herr Islami“, meinte derjenige, der einen Vollbart trug. „Wir tun Ihnen nichts! Strecken Sie bitte Ihren rechten Arm aus, wir kontrollieren Puls und Blutdruck.“
„Sie müssen körperlich stabil sein, bevor die Fachdienste Ihre psychischen Probleme angehen“, ergänzte der andere Pfleger, ein bulliger Typ mit Halbglatze.
´Ob der mit dem Bart wohl Muslim ist?`, fragte sich Ali und streckte den Pflegern gehorsam seinen rechten Arm entgegen. Im Nu wickelte der mit der Halbglatze ein breites Plastikband, das mit einem kleinen Apparat verbunden war, um seinen Oberarm. Dann drückte er auf einen Knopf, woraufhin sich das Plastikband aufblähte und den Oberarm zusammenschnürte.
„Blutdruck und Puls sind in Ordnung“, meinte der Kollege, während die Luft wieder aus dem Band entwich.
Der Bärtige nickte zufrieden und sah Ali tief in die Augen. „Wie geht´s sonst?“
Dieser schüttelte den Kopf. „Nicht besonders. Mir fehlen die Jungfrauen, die mir versprochen wurden.“
„Pffff“, ich krieg sie nicht mehr“, erklang Dieters Stimme von nebenan.
„Ruhe!“ Der halbglatzige Pfleger warf ihm einen strengen Blick zu.
„Herr Islami“, sagte der bärtige Kollege, „ihr Problem geht der psychiatrische Fachdienst im Gespräch mit Ihnen an. Sie bekommen bald Bescheid.“
„Werden etwa Jungfrauen für mich besorgt?“ Alis Stimme klang hoffnungsfroh.
„Warten Sie es einfach ab! In jedem Fall hilft man Ihnen weiter. Noch Fragen? - Nein! So, und jetzt beenden wir Ihre Visite, wir haben wie immer viel zu tun.“ Schon drehten sich die beiden Pfleger von ihm weg und verließen das Zimmer.
´Psychische Probleme, psychiatrischer Fachdienst?`, ging Ali durch den Kopf. ´Nun, der Vorfall in dem seltsamen Nomadenzelt hat mich schon verunsichert! Aber psychisch krank bin ich dadurch nicht geworden. Wie dem auch sei: Ich muss so bald wie möglich dieses Krankenhaus verlassen, schließlich bin ich wegen der Jungfrauen nach Deutschland gekommen.`
Am nächsten Morgen bestellte Professor Doktor Doktor Lackmus Ali in seine Abteilung für Psychoseerkrankungen. Lackmus, Chefpsychiater der Klinik und Universitätsprofessor, hatte einem Schreiben von Dr. Bengel entnommen, dass ein wissenschaftlich äußerst interessanter Fall eingeliefert worden war. Es handelte sich um einen Patienten aus dem orientalischen Kulturraum, der von der Wahnvorstellung befallen sei, ihm würden zweiundsiebzig hörige Jungfrauen zustehen. Gerade das Forschungsgebiet der sexuellen Abartigkeiten beherbergte noch große Schollen wissenschaftlichen Neulandes. Professor Lackmus hatte deshalb sofort entschieden, sich mit diesem Fall näher zu beschäftigen. Aber die Gespräche mussten so rasch wie möglich erfolgen. Herr Islami war ohne Pass und Aufenthaltsrechte nach Deutschland gekommen. In dem zu erwartenden Hickhack um Abschiebung oder Duldung würde sich der Patient bestimmt wenig kooperativ verhalten.
Mit gemischten Gefühlen begab sich Ali auf den Weg ins dreizehnte Stockwerk. Schon im Aufzug fiel ihm die kurzhaarige Frau mit schwarzer Nickelbrille und weißem Kittel auf. Mehrfach blickte sie verstohlen zu ihm hin. Irritiert fragte er sich, was so eine deutlich ältere Frau von ihm wohl wolle. Oben angelangt stieg auch sie aus dem Aufzug aus und bedeutete Ali, ihr in einen Seitengang zu folgen. Dort zog sie ein samtrotes Briefcouvert aus der Tasche, hielt ihm dieses vor die Nase und flüsterte: „Fremder, du bist in großer Gefahr. Die Schergen des kapitalistischen, vom Rassismus verseuchten Staates sind schon auf dem Weg, um dich zu deportieren. Wir wollen dich retten und tun alles, damit du in diesem Land bleiben und kämpfen kannst. Hier nimm, da steht drin, was du zu tun hast. Lies den Brief noch heute und lass ihn niemand sehen. Wir bringen dich in Sicherheit.“
Verwundert nahm Ali den Brief entgegen und fragte: "Www, wer sind Sie? Stimmt das überhaupt, was Sie sagen?“
„Pscht, nicht so laut!“ Die Kurzhaarige blickte um sich und flüsterte hektisch: „Ich bin von der Anti -rassistischen sozialistischen cooperativen Heilsfront. Wir haben zuverlässige Verbindungen zu den deutschen Ausländerbehörden. Wir wissen, du bist dort registriert - als Flüchtling ohne Pass und ohne Aufenthaltsberechtigung. Damit erklärt dich dieser Schweinestaat zum Illegalen und will dich abschieben.“
„Wohin soll ich denn abgeschoben werden?“, fragte Ali und dachte daran, dass er eigentlich nicht nach Deutschland wollte.
Die Rothaarige blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Du wirst dahin abgeschoben, wo du vorher gelebt hast!“
Der Gedanke, erneut in El Aoutsch leben zu müssen, mittellos und ohne Aussicht auf Jungfrauen, gefiel ihm überhaupt nicht. Beunruhigt stieß er aus: „Aber, woher weiß ich, dass das stimmt, was Sie mir sagen?“
„Wir bekämpfen den Kapitalismus, den Rassismus und das Deutschtum, wo immer wir es antreffen. Wir wollen die faschistoide, mittelmäßige deutsche Spießbürgerlichkeit überwinden durch eine international-solidarische, sozialistisch-multikulturelle, antikapitalistische und antipatriarchalische, allen Einwanderern dieser Welt offen stehende klassenlose Gesellschaft. Wir sind für ein Land, das nicht im Geringsten dicht ist, völlig ohne Grenzen. Deutschland muss sterben, damit alle hier leben können!“ Voller Wut schleuderte die kurzhaarige Frau Ali die letzten Worte entgegen.
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