Karl Lukan
EIN STÜCK VOM
HIMMEL
Als das Bergsteigen noch
wild und gefährlich war
Klettergeschichten
INHALT
KLETTERN – EIN STÜCK VOM HIMMEL
DAS LALIDERERWAND-ABENTEUER
ANDERE LEUTE
Der Schwanda ist der Schwanda!· Hansl mit dem Hausner-Schmäh· Sir »Scarpietti«· Ernst und die Traubenkur· Pauli, mach ein Gedicht!· Hubert Peterka und sein Buch, das geschrieben werden musste· Der Hungerl· Das Fritzerl
VOM NEANDERTALER UND VON KÖNIGLICHEN LEITERBAUERN
Die ersten Kletterer in den Alpen· Die »Mogel-Geburtsstunde« des Alpinismus · Wie kam die Scheibtruhe auf den Mont Aiguille?
VON DER FLEISCHBANK UND VOM TOTENKIRCHL
Der verloste Seilquergang· Die schönste Geschichte vom Totenkirchl
VOM KLETTERN IN DEN DOLOMITEN
Kaspareks Wunder-Kletterpatschen · Die Drei Zinnen gibt’s nur einmal · Dolomiten – das Jugendland · Von Antonio Dimai und dem Volk der Ladiner · Die Gedenkminute auf dem Torre Falzarego
DER EIGER IST KEIN BERG ZUM GERNHABEN!
Im Banne des Eigers· Geburtstagsparty auf dem Eiger
BERGE, DIE MAN NICHT VERGISST
Der Marmorberg· Der brüllende Geisterkogel · Der Monte Duranno und Longarone · »Jungfräulicher Fels« · Die größte Kunst beim Bergsteigen ...
EXTRAVAGANTE KLETTERSTELLEN
Pendelquergang an der Schüsselkarspitze · Ein »echter Bergsteiger« am Salbitschijen · Vom »saudummen Riss« an der Bischofsmütze · Nur eineinhalb Meter Fels · Originelle Ausstiegslöcher · Im Flügelstaub des Schmetterlings · Der Kahlenberggrat
VON DER ZEIT DER »PAUSE-TOUREN«
... und von einer Genusskletterei, die keine »Pause-Tour« ist
DIE HIMMELSLEITER AM WIENER STEPHANSTURM
DER GEBORENE KLETTERER
Vom Hirnklettern des Herrn Reif · Der Doktor · Der Seilknoten oder Das Unbewusste in uns · Der Superkletterer
KLETTERN – EIN STÜCK VOM HIMMEL
Am 14. April 1940 bin ich ein Kletterer geworden.
1923 wurde ich geboren und meine Kindheit erlebte ich in einer Vorstadtgasse von Wien. Mein Vater war Hilfsarbeiter, meine Mutter Hausbesorgerin. Unsere Wohnung: eine kleine Küche, ein kleines Kabinett. Für uns Kinder war aber damals auch noch die Gasse ein Lebensraum. Keine Autos störten uns beim Spielen. Nur ab und zu kam einmal ein Pferdefuhrwerk daher. Einmal in der Woche war es der »Mistbauer« (so wurde damals die Müllabfuhr genannt). Das war ein Kastenwagen, in den die von den Hausbewohnern vorher an die Straße gestellten kleinen Mistkistln geleert wurden. Damals gab es nur wenig Mist. Plastik gab es noch nicht; jedes Papierl wurde im Ofen verheizt. Damals war noch vieles so ganz anders. Aber es war eine frohe Kindheit, die ich in der kleinen Vorstadtgasse erlebte.
Doch dann wurde sie mir doch zu klein. Auch meine Spezln wurden mir zu fad, wenn sie eine ganze Woche nur davon redeten, wie der Sindelar oder Zwirschina am letzten Sonntag ein Tor geschossen hatte. Ich wollte selber was erleben.
1939 begann der Krieg. Alle Leute sagten, dass er bald vorbei sein werde. Mich interessierte etwas anderes weit mehr. Ich hatte Luis Trenkers Matterhornfilm gesehen. Dreimal hintereinander hatte ich ihn mir angeschaut. Dann wollte ich auch ein solcher Kletterer werden, der wie ein wilder Teufel die Wände anspringt.
Aber wie wird man ein Kletterer?
Ich wurde es in der »Bergsteigerschule 1940« der Alpenvereinssektion Gebirgsverein. Diese begann für mich mit einer großen Enttäuschung: Der Leiter der Schule schaute ganz und gar nicht so aus wie der Luis Trenker. »I bin der Hans Schwanda!«, sagte er. Und er war ein zartes Männlein mit Brille, das aussah wie ein Buchhalter, dessen höchste Kraftleistung das Spitzen eines Bleistifts ist. Freilich: Auch ich sah nicht wie ein zukünftiger zünftiger Gipfelstürmer aus. Als Lehrling mit wenig Geld hatte ich mir noch kein Bergsteigergwandl leisten können, war in meinem Sonntagsgewand zur ersten Ausfahrt der Bergsteigerschule auf die Hohe Wand gekommen ... Sonntags-Knickerbockerhose, Sakko, weißes Hemd mit Krawatte. Und obwohl ich die Krempe meines Sonntagshutes auf »verwegen« zurechtgebogen hatte, war er doch nicht zum echten Trenkerhut geworden.
An diesem Tag bin ich vom Karl zum »Charly« geworden. »Charly« sagte man damals zu einem, der mit seiner feschen Kleidung und seinem gepflegten Aussehen (dazu gehörte ein scharfer Tangoscheitel im Haar) angeben wollte. In meinem Sonntagsgwandl und mit meiner Frisur war ich schon während der Bahnfahrt und des Anstieges zur Schutzhütte für alle Kursteilnehmer nur noch der »Charly«. Und das bin ich bis heute geblieben.
Auch Schwanda schien in mir keinen hoffnungsvollen Jungbergsteiger zu sehen. Vor dem Einteilen des Haufens in Seilschaften hörte ich ihn zu den anderen Führern sagen: »Am Vormittag nehm ich mir die Niatn (Niete = wienerisch für Versager) und am Nachmittag geh ich mit den Guten was Besseres!« – Die erste »Niatn«, auf die er zeigte, war ich.
Eine Ersteigung des Baumgartnerturmes (Schwierigkeitsgrad II) war meine erste Felskletterei.
»Hat es dir nicht gefallen?«, fragte mich Schwanda auf dem Gipfel.
»Klass wars!«
»Warum hast du dann ein Gsicht gmacht, als wennst am liebsten die Felsen zerbeißen willst?«
Ich hatte nur versucht, verwegen wie der Luis Trenker dreinzuschauen.
Aber am Nachmittag, als Schwanda die Guten des Kurses für eine schwierigere Kletterei aussuchte, war der Erste, auf den er zeigte, wiederum ich.
Wir erkletterten den Stanagerlsteig. IV. Schwierigkeitsgrad. Da hatte ich schon ein neues Bergsteigeridol gefunden ... das war Schwanda! Wie der ohne Müh und Plag elegant die Felsen hinaufstieg – so wollte ich auch einmal klettern können!
Bei unseren Kletterfahrten mit der Bergsteigerschule fand ich damals in einem Steigbuch dieses Sprüchl:
Jungsein ist schön.
Klettern ist schön.
Aber Jungsein und Klettern
– das ist ein Stück vom Himmel!
Das hab auch ich damals empfunden, aber dann auch noch später, als ich immer älter und älter geworden bin. Es gab natürlich auch noch viel anderes, was mein Gemüt bewegt hatte – aber die meisten unvergesslichen Erinnerungen hinterließ doch das Klettern mit allem Drum und Dran. Darum habe ich auch dieses Sprüchl für den Titel dieses Buches verwendet.
Die »heroische Zeit des Alpinismus« wird die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg genannt. Man kämpfte mit dem Fels, eroberte Gipfel, bezwang den Berg. Und man sang mit grimmigem Nordwandgesicht Lieder wie dieses:
Was staut sich dort auf dem Perron?
Was soll der Spott? Was soll der Hohn?
Was soll die Leichenbahre dort
An dem uns allen wohlbekannten Ort?
Macht Platz, was soll das müßig’ Schaun!
Wie soll ich meinen Augen traun?
Denn auf der Bahre zugedeckt,
Liegt einer von den unsern hingestreckt!
In unsrer Mitt’ war er die schönste Zier,
Drum stehn wir an der Bahre hier.
Er stürzte ab im Morgenrot,
Am Abend war er starr und tot!
Drum Brüder auf zum letzten Ort!
Er starb für unsern edlen Sport.
An seinem Grabe trauern wir
Als Kletterbrüdergarde hier!
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte eine andere Zeit
begonnen. Wir Jungen sangen:
»Ist die Wochen endlich aus
zieh’n wir auf den Peilstein raus.
Dort gibt’s immer a Gaudee ...«
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