1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Holly schaute ihren Lebensgefährten fragend und auffordernd an.
»Der Islam ist die jüngste der Weltreligionen. Wie soll man seine Gläubigen jemals davon überzeugen können, dass auch der Islam irgendwann von einer neuen Weltreligion abgelöst wird? Jede neue Generation entwickelt doch das Gefühl, sie stünde an der Spitze der Menschheitspyramide, wäre allen früheren Zeitaltern überlegen. Und so wird auch Sheliza zur Einsicht gelangen, dass als einziger der Islam die richtigen Antworten auf alle Fragen kennt.«
*
Sie saßen allesamt um den Küchentisch herum. Der Major Domus fluchte immer noch leise über die erhaltene Seiko, Marta starrte ohne äußere Regung zu zeigen auf das pinkfarbene Töpfchen mit der Handlotion, Carlos hatte die Lederhandschuhe achtlos vor sich liegen, während Naara immer noch vor der ungeöffneten Rolle saß und sie wie eine Unheil anstierte, dem sie sich nicht stellen wollte.
»Mach endlich auf«, wurde sie von Carlos gedrängt. Sie schüttelte stumm aber ablehnend ihren Kopf.
»Täubchen«, säuselte nun Marta, »irgendwann musst du es öffnen.«
Eine Träne zeigte sich im linken Auge des Zimmermädchens.
Aílton war der einzige, der das ungeöffnete Geschenk mit der armen Naara dahinter nicht beachtete, denn er war immer noch maßlos entsetzt über die Armbanduhr ohne jeden Verkaufswert, rechnete sich immer wieder aus, wie viel Geld ihm entgangen war, falls diese oder jene Marke im Päckchen gelegen hätte.
Plötzlich griff Naara zu, nahm die Rolle an sich, riss das Papier auf. Darunter kam eine Luftpolsterfolie zum Vorschein, die mehrfach um einen Gegenstand geschlungen war. Rasch wickelte sie ihn auf und hielt dann die Haarbürste in Händen, um derentwegen sie von Naara vor kaum zwei Wochen gescholten worden war. Die Bürste war voller kurzer, dunkler und recht dicker Haare. Die stammten bestimmt von der Labradorhündin der Lings. Und der Schildpatt-Rücken der Bürste war zerbrochen, zeigte nicht nur Risse, es fehlte ein ganzes Stück. In einem Anflug von Wut hob Naara ihren Arm, schwang ihn über ihre Schulter, wollte die Bürste zornig gegen eine Wand schleudern, hielt jedoch inne und ihr Oberkörper schwankte. Tränen liefen ihr über Wangen und Kinn, als sie ihren Arm langsam wieder sinken ließ und dann die verdreckte und zerbrochene Bürste sanft auf den Küchentisch zurücklegte. Sie starrte sie an und hörte dann auf zu weinen. Noch einmal schniefte sie laut, sog die Luft scharf durch ihre Nase ein, jedoch nicht zornig, auch nicht enttäuscht, eher wie ein Versprechen.
*
Eine Etage höher stellte Vater Ling seine Tochter zur Rede.
»Und was hast du für Naara gekauft?«
»Eine Haarbürste«, gab Shamee mit trotzigem Gesicht zurück.
»Teuer?«
»Ein paar Real, keine fünfzig«, log sie weiter.
»Na gut. Aber warum hast du dann so abfällig gelächelt?«
»Abfällig gelächelt?«
Sie konnte das Glucksen in ihrer Stimme gerade noch vermeiden.
»Ja, gelächelt, abfällig und überheblich. Du weißt doch genau, Shamee, dass wir auf unsere Bediensteten stolz sein dürfen, dass sie zuverlässig sind und vor allem ehrlich. Warum musst du sie dann immer wieder aufziehen oder heruntermachen? Du solltest ein besseres Verhältnis zu ihnen Aufbauen und sie nicht wie Dreck behandeln.«
»Ich weiß«, stöhnte die Siebzehnjährig weniger zustimmend als ablehnend und ihr Vater verdrehte ebenso wie sie seine Augen, wandte sich hilfesuchend an seine Frau Sihena, die ihm aufmunternd zunickte.
»Man erzählt sich, du hättest Naara vor ein paar Tagen zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt.«
»Wer erzählt solche Lügen? Ich habe niemanden verdächtigt. Doch meine neue Haarbürste war tatsächlich verschwunden und ich hab Naara auf den Kopf zugesagt, dass ich sie bei der Polizei anzeigen werde, falls die Bürste nicht wiederauftaucht.«
»Und?«
»Ein paar Stunden später lag sie wieder auf meinem Frisiertisch«, gab ihre Tochter triumphierend bekannt, sah danach kurz und prüfend zu Chen hinüber, der sie damals nach Hause kommen sah, mit der Bürste in der Hand, die sie zuvor bei ihrer Freundin Cäcilia abgeholt hatte. Doch ihr Bruder blickte sie unbestimmt und wenig interessiert an, verband wohl das eben Gesagte nicht mit einer seiner möglichen Erinnerungen. Shamee fühlte, wie ihre Sicherheit zurückkehrte.
»Ist noch was?«, fragte sie ihre Mutter und die schüttelte verneinend den Kopf.
Das Christfest fand vier Stunden später im kleinen Familienkreis statt. Chen verbrachte den Abend diesmal bei der Familie seiner Freundin. Der zweite Sohn weilte bei einem Onkel in Brasilia und die älteste der Töchter hatte schon Kinder und feierte mit ihrem Ehemann zu Hause. So stießen bloß Mei Ling und Chufu Lederer, sowie die zweitjüngste Tochter Yaari zu Vater, Mutter und Shamee hinzu. Auch die Angestellten hatten das Haus vor über einer Stunde verlassen, waren unterwegs zu ihren Familien oder Freunden. Die Horsd’œuvre standen bereit, ebenso zwei Flaschen Champagner im Eiskübel. Im Ofen wartete die Fleischpastete, die ganz Traditionell nach einem US-amerikanischen Rezept vom Feinkosthändler stammte, von Marta fertig gebacken und warm gestellt worden war. Der Hausherr selbst würde persönlich aus dem Weinkeller eine oder zwei gute Flasche heraufholen, die ihm Aílton selbstverständlich passend zum Essen bereitgestellt hatte.
Es war von Anfang an eine lockere, wenig weihnachtliche, doch fröhliche Stimmung, wozu sicher auch der Alkohol bald einmal beitrug. Vor allem Shamee lehrte rasch zwei Gläser Dom Perigon, rülpste danach verhalten, ertrug auflachend die tadelnden Blicke ihrer Eltern, ließ sich von Chufu ein drittes einschenken.
»Man soll die Feste feiern, wie die Flaschen fallen«, verballhornte sie noch vor der Bescherung eine alte Weisheit, wurde von ihrer Mutter sogleich gemaßregelt, denn für Sihena Ling waren Stil und Würde untrennbar miteinander verbunden.
»Bitte nicht solch dumme Sätze, Shamee, nicht in diesem Haus und nicht zu Weihnachten.«
Ihre Jüngste blickte sie einen Moment lang verächtlich an, erwiderte jedoch nichts, sondern senkte rasch ihre Augen, um nicht weiter zu provozieren.
Chufu und auch Mei vermissten in diesem Jahr die Weihnachtsstimmung im Hause Ling, das Gemeinsame, das Füreinander, die Herzlichkeit. Vielleicht lag es am Fehlen der anderen drei Geschwister von Mei. Ja, das musste es wohl sein. So würden die beiden später am Abend, auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung, übereinstimmend über den Abend urteilen.
In Syrien breitete sich ein neuer Virus aus. Islamischer Staat im Irak und Syrien oder abgekürzt ISIS nannte er sich und er versprach seinen Anhängern ein besseres Leben im Diesseits wie im Jenseits und vor allem zu Lasten aller Andersgläubigen. Frühere Offiziere des irakischen Diktators Saddam Hussein bildeten ihr Rückgrat. Sie wurden ergänzt von erfahrenen Terroristen aus Tschetschenien und mit Dschihadisten aus Syrien. Unterstützt wurden sie vom reichlich fließenden sunnitischen Geld aus der Golfregion. Und sie überfielen schlecht geführte Militärposten im Irak, erbeuteten dort schwere Waffen und auch viel Geld, bekämpften immer seltener die Truppen des al-Assad Regimes in Syrien, wandten sich vielmehr gegen alle anderen Konkurrenten um das Erbe in der Levante.
Unterstützt von der mehrheitlich sunnitischen Türkei, in Ruhe gelassen von den Kurden im Nordosten, nicht bedrängt von der schiitischen Armee im Irak, beherrschten sie bald einmal große Landstriche im Grenzgebiet zwischen den beiden Staaten. Europa wie die USA schauten fassungslos zu, wie sich dieser Virus weiter ausbreitete, wie er durch Geld und Waffen von Woche zu Woche an Macht gewann. Man zögerte jedoch weiterhin, lieferte keine schweren Waffen an die Freie Syrische Armee, überließ den Seiltanz mit dem Teufel der unerfahrenen und schlecht ausgebildeten irakischen Armee.
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