Alle drei lachen. Ein Insider irgendwie. Ich lächele anstandshalber. Und nach einem kurzen Briefing wo es langgeht, laufen wir los.
Ein paar Meter beanspruchen wir noch die Gehwege am Flughafen, ehe wir abbiegen und in sattes Grün tauchen. Trotz der Wolken am Himmel, die jederzeit Regen abwerfen könnten, tummeln sich viele Menschen in der Natur – mit dem Fahrrad, dem Hund oder dem Partner.
Die ersten Minuten kann ich noch gut mithalten, aber meine schlechte Form wartet nur darauf, dass ich den Esprit vergesse, den ich als Rumpf zwischen den Flügeln Katrin und Jürgen verspüre. Sobald sich in meinem Geist eine Lücke auftut, die meine körperliche Minderverfassung nicht mit Willenskraft pushen kann, wird sich meine fehlende Fitness rächen.
Claudia rennt vornweg, mit kabellosen Stöpseln im Ohr. Was sie hört, weiß ich nicht. Ein Hörbuch oder Musik. Jedem das Seine. Mich stört nur ihr perfekter Po, der direkt vor meinen Augen wackelt.
Katrin rennt neben mir, obwohl ich merke, dass sie schneller laufen könnte. Sie drosselt ihr Tempo, um bei mir zu sein, um mich zu unterstützen, wenn ich Unterstützung brauche.
Jürgen rennt neben mir – auf der anderen Seite -, weil er mit mir reden will. Ich kenne den Namen seines Golden Retriever (Wanda), den Finanzierungsstand seiner Doppelhaushälfte, die Zeugnisnoten seiner beiden Kinder und seine Funktion in den Lüften: Purser, sozusagen Chef der Flugbegleiter.
Moment!
Kinder?
Ich holpere und stolpere bei dem Gedanken, dass ich mit einem verheirateten Familienvater flirte – oder vielmehr, er mit mir, so kommt es mir zumindest vor.
Katrin als auch Jürgen stützen mich – jeder auf seiner Seite -, da sie denken, dass sich meine untrainierten Beine verhakt haben und mich zu Fall bringen wollen.
Als ich mich mit Hilfe der beiden fangen kann, luge ich zu Jürgens Händen, um nach einem Ring oder einer blassen Druckstelle zu suchen. Fehlanzeige.
Verheiratet? Geschieden? Verwitwet?
Oh mein Gott! Ich könnte nun dutzende Fettnäpfchen mitnehmen und letztlich allein zurückbleiben, irgendwo in den Wiesen in der Nähe des Flughafens, wenn ich alle vergrault habe.
»Ihr Freund hat schlussgemacht und sie rausgeworfen«, höre ich Katrin sagen.
Ich bin gemeint! Oh nein! Jürgen hat mir eine Frage gestellt und ich habe anscheinend nicht rechtzeitig geantwortet, in Gedanken versunken.
»Das tut mir leid«, meint Jürgen, »für deinen Ex«, schiebt er lächelnd nach, »So eine hübsche Frau setzt man doch nicht auf die Straße. Das ist Frevel!«
Katrin gibt mir einen Ellbogenklaps von der Seite, als wöllte sie sagen: siehst du, du bist hübsch, das ist nicht nur meine Meinung!
Hechelnd und lächelnd versuche ich etwas zu verbalisieren. Schachtelsätze werden dabei nicht herauskommen. Dafür fehlt mir die Luft. Vielleicht hat Katrin auch an meiner statt geantwortet, weil sie bemerkt hat, dass ich aus der Puste bin.
»Danke«, keuche ich für das Kompliment. Da mein ganzer Kopf glüht, vor Anstrengung, fällt das Aufglühen der Wangen nicht weiter ins Gewicht.
Meine abnehmende Konstitution verhindert das Führen einer Konversation. Ich kämpfe mit Krämpfen, vor allem mit Seitenstechen. Meine Beine sind Wackelpudding; meine Lunge ist Kartoffelstampf; mein Schädel ist eine gekochte Tomate. Wenigstens tragen wir alle Wasserflaschen mit uns herum. Ich eine gekaufte Plastikflasche, die anderen drei wiederverwendbare Individualbehälter mit originellen Dichtverschlüssen und durch Steine sowie Tiefkühlkräuter aufgewertetes Leitungswasser, das somit zum Leistungswasser transformiert.
Nach einem gefühlten Marathon komme ich mit Jürgen als Schlusslicht wieder im Parkhaus an. Er könnte noch so eine Tortur laufen, hat er sich doch kaum verausgabt, als er meinen Niedergang live miterlebt hat. Katrin hatte sich nach einer Weile abgesetzt, da sie anscheinend erkannte, dass ich bei Jürgen in bester Gesellschaft bin. Jetzt erwarten uns die beiden Gazellen verschwitzt und glücklich an den Parkbuchten.
Ich schnaufe wie eine Dampflokomotive nach einer Bergfahrt. An mir herunterzuschauen wage ich nicht. Wahrscheinlich sind meine Klamotten mittlerweile dunkelgrau, vom vielen Schweiß. Meine Augen brennen; meine Ohren pfeifen; meine Knie zittern.
Da hat Spaß gemacht!
Achtung: Sarkasmus.
Jürgen konnte mir wenigstens die Zeit verkürzen, indem er frei von der Leber über seinen Job erzählt hat. Vieles deckt sich mit den Schwärmereien von Katrin. Auch Jürgen scheint mit seinem Job verschmolzen zu sein, ist immer galant, charmant, aufrichtig, positiv. Getreu dem Motto: Menschen eine Freude machen und ein Lächeln schenken. Nebenbei reise man um die Welt, erweitere seinen Horizont und sei Gott sowie den Sternen näher als sonst jemand.
Ich bin mir nicht sicher, ob Jürgen strenggläubig ist oder nicht, aber er hat einige religiöse Metaphern eingebaut, die ich nicht als scherzhafte Anspielung gedeutet habe.
Als ranghöchster Flugbegleiter sei er die Schnittstelle zwischen Kabinen- und Cockpitcrew, also Saftschubsen und Autopiloten, war eine der anderen Informationen, die ich zwischen dem Luftschnappen aufschnappen konnte.
Er erzählte mir auch von der First Class, wo er schon zahlreichen Prominenten das Kissen aufschütteln durfte. Sein Erzählstil ist dabei aber nicht geprägt von Überschwang, sondern von Nüchternheit.
»Würden wir uns durch sowas verrückt machen lassen, hätten wir bald keine Kundschaft mehr«, führte er aus.
Professionelle Zurückhaltung , nannte er das. Es seien schließlich ja auch nur Menschen, die was zu trinken haben wollen und die Bordtoilette benutzen. Die meisten dieser Personen des öffentlichen Interesses hätten einzig im Flieger ein paar Stunden Ruhe. Die zugeteilten Flugbegleiter seien dann dafür da, diese Zeit so angenehm wie möglich zu machen, wie den übrigen Passagieren ebenso.
»Ich kann dir sagen, welcher Promi schnarcht oder gern eine doppelte Portion isst, aber Fotos habe ich keine und meine Geschichten werden dir auch nicht von der Klatschpresse aus den Händen gerissen, weil der Beweis fehlt. Diskretion gehört ebenso zu meinem Job wie Loyalität. Ich bin nach außen hin diskret und dem Kunden gegenüber loyal. Wenn die High Society eins hasst, dann bezahlte Dienstleister, wie mich, die ihnen auf die Pelle rücken.«
Beeindruckt musste ich feststellen, dass Jürgen ohne Probleme wie am Fließband labern konnte, obwohl seine Beine Schwerstarbeit leisteten.
Die halbe Rückfahrt kämpfe ich mit meinem Zustand. Katrin hat zum Glück Handtücher im Auto, die wir auf die Sitze gelegt haben. Wegen der Straßenunebenheiten sieht sie auch nicht, dass ich unaufhörlich zittere – vor Erschöpfung.
»Das Schönste ist die Dusche danach«, beginnt sie nach stummer Rekonvaleszenz, »Du darfst natürlich zuerst. Du bist mein Gast.«
»Das ist nett, danke, aber mach du nur. Ich brauche noch ein paar Minuten.« Eine Untertreibung. Ich würde am liebsten mehrere Stunden schlafen, auf der Stelle.
»Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du morgen fliegst?«, frage ich nach weiteren Luftzügen und Schweißkaskaden.
»Hätte ich heute Abend«, gesteht sie, sich keiner Schuld bewusst.
»Dann suche ich mir morgen ein Hotel«, ist es eine Frage oder eine selbstbewusste Aussage? Keine Ahnung. Meine Muskeln rauben meinem Hirn Kapazitäten.
Katrin fängt an zu lachen. »Mina«, zieht sie lang. Sie könnte auch noch „du kleines Dummchen“ hinzufügen. Genauso klingt es.
»Mi casa es su casa. Mein Haus ist dein Haus. Bis du was gefunden hast, kannst du bei mir bleiben«, eröffnet sie großzügig.
»Ich weiß nicht, wie ich dir jemals danken soll.«
Sie sieht zu mir, aus dem Augenwinkel, und grinst. »Probiere das an, was ich dir gekauft habe.«
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