„Was … wollt Ihr ihnen denn sagen? Falls …“
„Falls sie mich nicht gleich totschlagen? Keine Ahnung, das heißt … Himmel, Mädchen, Ihr fragt … Wie kann ich das denn jetzt schon wissen?“
„Sie werden Euch foltern, das ist Euch doch klar? Sie werden Euch quälen, bis Ihr nur noch schreit, nicht mehr denken, nicht mehr sprechen könnt, bis …“
„Ihr braucht mir keine Angst zu machen, die …“ Er verstummte abrupt. Ron trat zum Wachfeuer, schaute von ihr zu Hiron. „Hauptmann.“
„Setzt Euch, Gardist. Was gefunden?“
„Keine Ostländer.“ Ron setzte sich dicht hinter Mara und strich, unter der Decke, die sie sich umgelegt hatte, über ihren Rücken, ihre Seite. Sie spürte seine Hände zittern, ganz leicht nur.
„Zwei erschlagene Frauen und einen Jungen. Die Schweine haben ihm die Kehle durchgeschnitten.“
Ron war zu nah, als dass Mara sich gegen die Bilder in seinem Geist hätte wehren können, ächzte unterdrückt, presste die Faust gegen den Mund. Das hatte sie also gespürt, letzte Nacht, kein Alptraum, sondern wirkliches Geschehen: ihre Angst, ihre Qualen, ihre Schmerzen, und es war erst der Anfang. „Wie weit?“
„Einige Wegstunden, keinen halben Tagesritt von hier.“
Mara nickte bedrückt, tastete nach seiner Hand und lehnte sich zurück, gegen ihn; sie sollte schlafen, zumindest ein paar Stunden. „Hauptmann?“
Hiron wandte den Blick nicht von dem Jungen, seinem Jungen, und nickte leicht zum Zeichen, dass er hörte.
„Ich … ich heiße Euer Vorhaben nicht gut, aber …“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ach, vergesst mein Gerede. Ja, natürlich mache ich es.“
Hiron verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. „Ihr seid ein guter Mensch, Mara. Nur für den Fall, dass ich Euch das noch nicht gesagt habe. Ruht Euch jetzt aus.“
Es war dunkel, als Mara erwachte, und es regnete noch immer, doch wehte ein böiger, kalter Wind aus Nordwest. Es roch nach Schnee.
Hiron war mit dem Großteil seiner Einheit aufgebrochen. Fluchend sprang Mara auf, brüllte und schrie wutentbrannt herum, bis sie den verstörten, misstrauischen Blick des kleinen Jungen Mavi auf sich spürte. Sie verzog das Gesicht. „Auch ’ne Methode, wach zu werden. Komm mit, wir brauchen irgendwas Heißes, am besten Tee.“
Im Lager herrschte helle Aufregung, ein heilloses Durcheinander, schlimmer noch als am Vortag. Viele Frauen weinten hoffnungslos, beunruhigten dadurch die zahllosen Kinder, die ebenfalls heulten und schrien; die Alten jammerten und klagten. Ondra, begleitet von Liz und Bahadir, der Mia an der Hand hielt, kam Mara tränenüberströmt entgegen. „Oh Mara, er ist einfach weg! Er hat uns im Stich …“
„Unsinn, das hat er ganz sicher nicht. Mich hat er sitzengelassen, mit diesem … Haufen. Wo ist Ron, oder ist der auch …“
„Als könnte ich das.“ Ron kam von der Seite und reichte Mara einen Becher dampfenden Tee, hinter sich Janek und zwei Gardisten. „Hauptmann Hiron ist vor rund einer Stunde den Ostländern entgegen gezogen, um ihrem Angriff zuvorzukommen.“
„Vor einer Stunde? Und du …“ Mara sah, wie er unmerklich den Kopf schüttelte, und trank einen Schluck Tee. „Verstehe. Was habe ich?“
Ron zögerte kurz und nickte einem der Gardisten auffordernd zu, der noch einen Schritt vor trat. „Ihr habt, mich eingeschlossen, dreißig Gardisten, davon knapp ein Dutzend leicht verletzt, zwei weitere sind momentan kampfunfähig. Außerdem zwei Dutzend Fußsoldaten, einige davon … ähm, angeschlagen. Aber die können alle noch laufen.“
„Aha. Ihr seid?“
„Lassan, verehrte Dame.“ Lassan, bärtig, groß, schwer, war keine zwanzig mehr, eher Mitte bis Ende dreißig.
„Und Ihr habt das Kommando, Lassan?“
„Nee, ich nicht. Er hier, Euer Leibwächter.“
„Ach?“ Verwundert musterte Mara Ron. „Wieso das?“
„Der verfluchte Bastard hat mehr Verstand im Schädel als wir alle zusammen, meint zumindest Hauptmann Hiron. Ich …“, Lassan schnaubte, wirkte betreten. „Entschuldigt, Herrin, ich sollte das so sagen.“
Wieder fluchte Mara, aber sehr leise, trank einen weiteren Schluck Tee und reichte den Becher an Mavi weiter. „Hier, trink ruhig, er ist nicht mehr zu heiß. Janek, könntest du Mavi und mir was zu essen besorgen? Und für den Jungen vielleicht Kleidung, die nicht ganz so verdreckt ist, seine Sachen stinken.“
„Klar, ich schau mal, was ich finde.“
Sinnend sah Mara zu Ron. „Weiter?“
„Zweiundsiebzig Frauen jeden Alters, dreiundzwanzig alte, und ich meine wirklich alte, Kerle, achtunddreißig Kinder unter zehn Jahren, eine Handvoll halbwüchsiger Burschen und zweimal so viele junge Mädchen.“
„Kranke, Verletzte?“
„Ich …“ Ron schaute erst Lassan, dann Ondra irritiert an, zuckte die Achseln. „Sie sind alle erschöpft, ein paar Kinder haben wohl auch Fieber, einige husten, und … Ich habe viele Leute mit oberflächlichen Verletzungen gesehen, aber offenbar keine schwerwiegenden Sachen.“
„Oh, gut. Wie viele Wagen?“
„Elf Wagen sind noch fahrtüchtig. Zwei sind jedoch zu stark beschädigt, wir müssen sie zurücklassen.“
„Ja … Also gut, Abmarsch in einer Stunde. Ron, Ihr kümmert Euch um alles Notwendige. Meister Liz-Rasul, Ihr könntet mir behilflich sein.“ Mara grinste, als sie Janek näherkommen sah. „Und mir beim Frühstück Gesellschaft leisten. Oder habt Ihr schon?“
Verhalten schüttelte Liz den Kopf und hockte sich, genau wie Ondra, Bahadir und Mia, zu ihr und Mavi an das Feuer. „Ich frage jetzt nicht, wo Ihr das gelernt habt, aber …“
„Aber?“
Liz zuckte die Achseln. „Beeindruckend. Was genau habt Ihr vor?“
„Außer so schnell wie möglich von hier zu verschwinden?“ Sie sollte nicht davon ausgehen, dass Hiron die Ostländer lange würde aufhalten können. „Diese zwei beschädigten Fuhrwerke, ich glaube, die wären … Auf welche Entfernung könnt Ihr eine Illusion aufrechterhalten, Liz?“
„Hängt von den Umständen ab, der Art der Illusion, was ich gleichzeitig noch zu tun habe.“
„Ihr müsst nur auf einem Pferd sitzen, oder auf einem Wagen, falls das die Sache erleichtert. Und es wird diesig sein, schlechte Sichtverhältnisse, womöglich fällt sogar Schnee.“ Hätte Sakar sie doch ein, zwei Wetterzauber gelehrt, dann könnte sie dafür sorgen.
„Meint Ihr?“
„Es riecht jedenfalls nach Schnee und es ist merklich kälter als gestern, ist Euch das nicht aufgefallen?“
„Es ist immer kalt in Mandura, Mara.“
Sie lachte leise, schaute ihn von unten her an und tunkte ihr Brot in die dünne Suppe. „Ihr braucht lediglich aus den beiden Wagen ein ganzes Dutzend machen, hier oben auf dem Hügel.“
Ondra sah erst Mara, dann Liz verblüfft an. „Das könnt Ihr?“
„Ja, sicher. Es sollte recht einfach sein, sehr viel einfacher jedenfalls als die angreifenden Reiter gestern, die waren …“
„Ihr wart das? Ich meine … die Reiter waren gar nicht echt, eine bloße Illusion? Und ich habe mich gefragt, wohin sie verschwunden sind!“
Liz fand sichtlich Gefallen an Ondras offener Bewunderung, womöglich auch an Ondra selbst, wandte sich aber schnell wieder Mara zu. „Die Entfernung dürfte … Nun, nicht weiter, als die Fuhrwerke an einem Tag vorankommen, danach … wird es schwierig. Vielleicht sollte ich Euch später folgen?“
„Nein, ich lasse niemanden zurück. Womöglich ist es ja auch gar nicht notwendig, ich will nur …“
„Kein Risiko eingehen? Mara, wir sind nach Mandura gekommen, um unsere Hilfe anzubieten, von daher … Ich wollte nur sagen, ich würde es selbstverständlich tun, wenn Ihr das für notwendig erachten würdet.“
Mara nickte abwesend, in Gedanken an einem anderen Ort. „Hauptmann Hiron und seine Männer werden noch vor Mittag auf die Ostländer treffen, danach … sehen wir weiter.“
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