Die Stimmung der beiden Jungen fiel genauso schnell wie die Außentemperatur, seit die Sonne, die sich ohnehin den ganzen Tag über hinter den Wolken versteckt hatte, endgültig untergegangen war. Jamie schätzte die Temperatur auf höchstens acht Grad. Hoffentlich würde es ihnen wärmer werden, wenn sie etwas Warmes im Bauch hätten. Ein Stew wäre nicht schlecht oder eine Fleischpastete, dachte er und hörte schon wieder sein Bauch grummeln. „Da vorne ist eine Straße“, sagte er und unterbrach das Schweigen. „Lass uns entlang der Autostraße laufen. Da ist es sicherlich heller.“
Doch ihre Hoffnung, die Scheinwerfer von vorbeifahrenden Fahrzeugen würden ihnen den Weg erleuchten, erfüllte sich nicht. Weit und breit war kein Auto zu sehen. Sie schienen die einzigen Menschen auf der Welt zu sein. Das war ungewöhnlich, denn im Frühjahr war das Moor ein beliebtes Ausflugsziel. Wenn auch natürlich nicht unbedingt mitten in der Nacht. Es war kurz vor halb zwölf Uhr, als sie endlich den Stausee erreichten.
„Vielleicht sollten wir unsere Flaschen auffüllen. Das Wasser des Stausees müsste eigentlich trinkbar sein“, sagte Robby, als sie sich in der Dunkelheit dem Seeufer näherten. Wenigstens lösten sich jetzt die Wolken etwas auf und ließen den Vollmond für etwas Licht sorgen.
„Denke schon, dass man das trinken kann“, antwortete Jamie und holte seine Trinkflasche aus dem Rucksack. „Hier. Du kannst ja meine gleich mit auffüllen. Danach sollten wir weiter zum Colliford Lake Park und unsere Zelte aufschlagen. Da sind wir wieder in der Zivilisation. Zumindest hoffe ich das. Keine Ahnung, ob um diese Uhrzeit noch Leute dort sind. Viele Autos sind ja nicht unterwegs.“
„Viele? Wir haben weit und breit kein Auto gesehen. Was, wenn niemand da ist? Außerdem dachte ich, dass wir bis nach Bolventor gehen“, sagte Robby und geriet ob der Aussicht, mit einem leeren Magen schlafen zu müssen, in Panik.
„Wenn du nicht willst, dass wir verdursten, solltest du uns erst mal mit Wasser versorgen“, erwiderte Jamie. „Den Rest sehen wir dann.“
„Bin ich dein Butler, oder was?“, sagte Robby, der dann aber nachgab und mit beiden Trinkflaschen ans Ufer lief. Er hockte sich hin und schöpfte erst mal etwas Wasser in seine Hand. Es war kalt und schmeckte wie Wasser nun mal so schmeckte. Aber hoffentlich schwammen hier keine Kaulquappen oder Wasserflöhe herum, dachte er. Auf Fleischeinlage im Trinkwasser konnte er wirklich verzichten.
„Bist du bald fertig, Daltrey? Wie lange brauchst du denn noch? Wir sollten weiter, bevor sich neue Wolken über den Mond schieben und es total finster ist.“
„Einen Moment noch“, sagte Robby und lief weiter am Ufer entlang, bis zu einer Stelle, an der die nackten Äste abgestorbener Bäume aus der Wasseroberfläche herausragten. „Nanu? Wie kommen denn Bäume in den See?“, fragte er sich und hockte sich hin, um seine Flasche ins Wasser zu tauchen.
Auf den Gedanken, dass dort, wo sich jetzt der Stausee befand, früher einmal Heide war und Bäume gestanden hatten, kam er nicht. Das lag vermutlich daran, dass er von etwas abgelenkt worden war, das auf dem Wasser schwamm. Zuerst hielt er es nur für eine Sinnestäuschung, einen Schatten, verursacht vom Mondlicht, das auf die abgestorbenen Bäume im Wasser schien. Dann glaubte er, es handle sich um eine Plane oder eine riesige Plastiktüte, die auf dem Wasser trieb. Bei näherer Betrachtung sah er aber, dass es sich um einen auf der Wasseroberfläche schwimmenden Mantel handelte. Das war zwar sonderbar, aber dann wieder auch nicht ganz so außergewöhnlich, dachte er. Schließlich wusste man doch ja, wie die Menschen die Umwelt verschmutzten, indem sie alle möglichen Dinge in die Gewässer warfen.
Doch in diesem Fall schien ein Mensch entsorgt worden zu sein, denn aus dem Mantel schauten auch Hosenbeine hervor, und die gehörten zweifelsohne zu einem menschlichen Körper, der wie ein Korken auf der Wasseroberfläche trieb. Robbys Herz begann wie wild zu hämmern. Er wollte laut nach Jamie rufen, war aber nur imstande, den Namen seines Freundes herauszukrächzen.
„Jamie… Jamie...“ Zwei oder drei Mal versuchte er es. Aber Jamie hörte ihn einfach nicht.
Ob der Körper auf dem See zu einem Mann oder einer Frau gehörte, hätte Robby auf Anhieb nicht sagen können. Zum einen schien der Mond nicht hell genug, zum anderen trieb die Gestalt auf dem Bauch, so dass man kein Gesicht erkennen konnte. Die Hose sprach für einen Mann, aber die langen Haare, die wie ein Strahlenkranz um den Kopf schwappten und sich teilweise in Schilfhalmen verfangen hatten, hätten die Vermutung aufkommen lassen können, es handle sich um eine Frau. Letztendlich stellte sich Robby die Frage nach dem Geschlecht der Wasserleiche ohnehin nicht. Alles, was ihn interessierte, war jetzt, so schnell wie möglich vom unheimlichen See und der Leiche wegzukommen. Daher ließ er auch die beiden Trinkflaschen am Ufer liegen und stürzte schreiend los, an Jamie vorbei. Der sah Robby erschrocken nach, als er mit seinem Rad wie ein Verrückter davonfuhr.
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