Sie teilten sich ein kleines Doppelzimmer. Es war ziemlich veraltet, aber sauber. Braune Gardinen, brauner Teppich – knarrendes Bett. Doch das machte Kriemhild nichts aus. All die Nebensächlichkeiten ertranken in ihrem Schmerz und ihrer Sehnsucht nach Samuel. Seit er aus ihrem Kopf verschwunden war, quälte die Feuerqualle sie wieder. Kriemhild nahm eine Dusche und kroch ins Bett. Sara hatte durch die Fernsehkanäle geswitcht und es ausgeschaltet, als sie neben ihr lag.
„Hey, bist du müde?“, fragte ihre Freundin von der Seite.
„Nein, im Gegenteil. Diese dumme Zeitverschiebung …“
„Naja.“ Sara gähnte. „Kann ich leider nicht von mir behaupten. Aber für dich bleibe ich gern wach.“
„Das musst du nicht. Wenn du müde bist, solltest du besser schlafen. Übrigens, lieb von dir, dass du mich abholst. Danke nochmal.“
„Mach ich doch gern! Aber jetzt erzähl mal, ich halte es nicht länger aus! Wie war dein Sommer in den Staaten? Die Jungs und all das? Hast du viele neue Leute kennengelernt?“
Kriemhild drehte sich zur Seite. Sie war nicht wirklich in der Stimmung, fröhlich draufloszuplaudern … Das Bett ächzte und ihre Kette fiel aus dem Shirt hervor. Sara bekam große Augen. Sofort griff sie nach den Korallenperlen und ließ sie durch ihre Finger gleiten.
„ Wow , was ist das denn für ein cooles Teil?“
Die Szenen der Hochzeit traten lebhaft aus Kriemhilds Erinnerung hervor – lebhaft und schmerzhaft. Vor allem der Moment, als Sam ihr die Kette um den Hals gelegt hatte, und sein Blick.
„Alter, ist die hübsch!“ Sara musterte Glied um Glied. „Ich hoffe doch mal, du hast mir auch so eine mitgebracht. Woher hast du die?“
„Aus den Staaten.“ Schweren Herzens schob Kriemhild die Hand ihrer Freundin weg. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihr schon in dem Moment von der Hochzeit erzählen sollte.
„Ja, dass die nicht aus ‘nem Kaugummiautomaten ist, sehe ich selber! Darf ich sie mal tragen?“
„ Nein !“ Kriemhild erschrak selbst über ihre heftige Antwort. Sie ließ die Kette unter dem Shirt verschwinden. Sara saß senkrecht im Bett. „Wie nein ? Ich will sie dir nicht abkummeln. Wir borgen uns doch ständig irgendwelchen Schmuck. Oder …“, sie hielt grinsend inne und legte den Kopf auf die Seite, „oder ist sie von ‘nem Typen?“ Kriemhild drehte sich um und wünschte, ihre Freundin hätte die Kette gar nicht erst bemerkt. Sie hätte Sara gern eingeweiht, aber irgendwie fürchtete sie sich vor ihrer Reaktion. Einfach zu heiraten, das war eine ganz neue Seite an ihr, die ihre Freundin nicht kannte. Für gewöhnlich passten solche Dinge nicht zu Kriemhild – so war es bisher jedenfalls gewesen.
„Echt jetzt? Von ‘nem Typen ? Mann, Süße! Eher landen Aliens auf der Erde, bevor du was von ‘nem Typen annimmst! Was ist los mit dir, du bist so anders! Jetzt erzähl doch mal!“
Kriemhild schwieg. Erneut stiegen Tränen in ihr auf.
„Weißt du, … wenn ich mich recht erinnere, dann waren wir vor drei Monaten noch beste Freundinnen“, sagte Sara traurig. „Darf ich nicht erfahren, was in der Zwischenzeit so alles passiert ist?“
„Natürlich darfst du das erfahren, und wir sind auch noch immer beste Freundinnen. Aber das mit der Kette … Ich weiß nicht, ob ich im Moment drüber reden will, verstehst du?“
„Nein, tu ich nicht.“
Kriemhild spürte die enttäuschten Blicke auf ihren Schultern ruhen.
„Ist es so schlimm, dass ich es nicht wissen darf? Du bist vor mehr als zwei Stunden gelandet und hast noch nicht ein Wort von deiner Zeit in den USA erzählt. Ich hab mich so auf dich gefreut! Dann werd’ ich wohl doch lieber schlafen, vielleicht bist du morgen Früh besser drauf.“
Sara schaltete das Licht aus. Durch das Fenster strahlte gelber Schein von der Straße, dem Flughafen und der Stadt herein. Wieder rann eine Träne über Kriemhilds Wange.
„Sie ist von Sam“, flüsterte sie. „Er hat mir die Kette geschenkt.“
Das Bett knarrte.
„ Wer ?“
„Samuel.“
„Ist das der Typ, von dem du am Telefon erzählt hast?“
Kriemhild nickte.
„Na, siehst du, geht doch. Und was genau läuft da zwischen euch? Ich meine … außer Justus gab es niemanden in deinem Leben. Der Justus – der eigentlich gar nicht zählt. Und dann bist du kurz in Amiland und lässt dir prompt ‘ne Kette andrehen?“ Sara lachte. Draußen begann es zu regnen. Gelbe Tropfen perlten am Fensterglas ab und Kriemhild spürte, wie ihre Freundin das Kinn an ihre Schulter lehnte.
„Hey, sorry, sollte sich nicht so hart anhören. Ich bin einfach überrascht. Erzählst du es mir? Das mit Sam? Bitte.“
„Klar. Was willst du hören?“
„Na, alles natürlich!“
„ Alles ? Dazu bist du zu müde.“ „Los, raus damit! Ich platze vor Neugier!“
Kriemhild drehte sich herum und schaute in die Dunkelheit. Wieso nicht? Sara würde es ohnehin erfahren. Früher oder später – was spielte das schon für eine Rolle?
„Sam ist unglaublich“, begann sie. „Ich habe ihn gleich am Tag nach meiner Anreise kennengelernt. Ich wollte mir die Gegend anschauen, bin über den Strand und durch die Dünen gelaufen. Und da saß er.“
Sara lauschte gebannt. Kriemhild fuhr fort, während die Erinnerungen sie einholten.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es in Falmouth ist! Das Meer und der Strand, die Landschaft, die hübschen Holzhäuser. Da kann unsere Nordsee nicht wirklich mithalten.“
„Jaja, aber jetzt erzähl mir erst mal von dem Typ“, rief Sara wie ein ungeduldiges Kind. „Er saß da in den Dünen. Und dann?“
„Ja, er saß da in den Dünen und schaute aufs Meer hinaus. Ich wollte Richtung Innenstadt, aber als ich ihn dort so sitzen sah, musste ich einfach anhalten und ihn ansehen. Schon verrückt.“
„ Verrückt !“ Sara gackerte. „Das ist das richtige Wort. Hat er zurückgeschaut?“
„Ja, er hat mich kurz angesehen und dann bin ich auch schon weiter, Richtung Straße. Von dem Tag an sind wir uns ständig über den Weg gelaufen. Ist in so ‘nem Ort wohl auch nicht sonderlich aufregend. Er fand irgendwie raus, dass ich nicht schwimmen kann und hat es mir beigebracht.“
„Mal eben – einfach so? Süß. Scheint ja ein echter Held zu sein.“
Die Regentropfen am Fensterglas erinnerten Kriemhild an das salzige Meerwasser, an die Lagune und die wunderschönen Riffe. Sara schien nicht zu verstehen, was sie gesagt hatte. Und Kriemhild hatte nicht vor, ihrer Freundin jedes kleine Detail zu erzählen; noch nicht.
„Du müsstest seine Augen sehen“, flüsterte sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal Hals über Kopf in jemanden verliebe.“
„ Was ?“ Das schrille Lachen ihrer Freundin durchbrach die Dunkelheit und Kriemhilds Herz. „Das ist nicht dein Ernst! Liebe auf den ersten Blick, oder was? Du bist so romantisch, wie du naiv bist! Hast du ein Foto? Ich will ihn sehen! Ist er auf Facebook ? Wie ist er denn so – mal abgesehen von den Augen? Ein echter Ami? Ich hoffe, er teilt deine Ansicht. Oder hat er in zwei Wochen die Nächste am Start? Wer weiß, am Ende ist das mit dem Schwimmkurs nur so ‘ne Masche von ihm.“ Kriemhild versuchte den Schmerz zu verbergen, den Saras Spott in ihr auslöste. Die sprach von Sam wie von einem kitschigen Souvenir, das sie aus dem Urlaub mitgebracht hatte. Sie hätte besser auf ihr Bauchgefühl gehört und ihr noch nichts von ihm erzählt.
„Nein, Sam ist nicht auf Facebook .“
„Oh, sehr enttäuschend. Und was macht er so? Arbeiten? Studieren?“
„Er geht nächste Woche nach Harvard.“
Ihre Freundin schwieg. Sie schaltete das Licht wieder ein und riss ungläubig die Augen auf.
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