Die erste Lieferung erfolgte im Herbst 1942. Eine Ukrainerin, ein Kleiderschrank von Frau; mit der würde ich auch in meinen besten Männerjahren keinen Ring- kampf gemacht haben; ich glaube, sie hätte mich auch damals auf ihrer offenen Hand vertrocknen lassen! Und diese Frau kam mit einem Ungetüm von Traktor, ein richtiger Bulldog ohne Hörner, hinten dran ein langer viereckiger Hänger mit vier Gummireifen, beladen mit den 60 zt. Kartoffeln und 20 zt. Weißkraut. Diese Frau hielt vor unserer Haustür Neugartenstraße 14. Von diesen Traktorgeknatter und dem, was es so auf sich hat, kam ich so schnell ich konnte vom nahegelegenen Preußen 06 Sportplatz angelaufen. Ich schlackerte nur mit den Ohren als ich diese Frau da mit den gefüllten Säcken einhändig hantieren sah. Sie zog mit einer Hand den 2 zt. Sack an die Wagenkante, öffnete ihn, bückte sich unter den Sack, legte sich den Sack über den Buckel, richtete sich auf und marschierte vier Stufen ins Haus, um dann am Ende des Hausflurs vor der Küchentür rechts 10 Stufen runter in den Keller zu gehen, um dann die Kartoffeln im Kartoffelkeller auszuschütten. Und das ging so dreißigmal mit den Kartoffeln und 15 mal mit 20 zt. Weißkraut, verpackt in 15 Säcken. Mein Vater, der 1942 während der Herbstferien auch zu Hause war, kam mit einer Cognacflasche und einem größeren Gläschen heraus, um ihr zu danken und goss ein Gläschen ein, das sie ohne mit der Wimper zu zucken „runter kippte“. Dann hielt sie das Glas meinem Vater mit der rechten Hand hin und mit der linken Hand zeigte sie mit einem leicht schelmischen Gesichtsausdruck , dass sie zwei Beine habe, als wollte sie sagen, ich hab doch mit zwei Beinen alles in den Keller getragen. Mein Vater schenkte ihr das zweite Glas ein, randvoll wie das erste, das sie auch mit einem Zug leerte. Ich war ganz stolz, ich kleiner Knirps, als sie davon knatterte mit diesem Ungetüm und sich noch mal umdrehte und mir zuwinkte. Vor soviel Kraft in einer Frau konnte ich damals nur staunen. Am nächsten Tag, noch mit meinem Vater und unseren zwei ältesten Brüdern, ging’s richtig los. Auch alles was irgendwie helfen konnte musste ran: Mutter, Anuschka, unsere Ukrainerin, die mittlerweile im Haushalt mithalf, und die großen Schwestern halfen die Weißkrautköpfe säubern und halbieren, die älteren Brüder hobelten das Kraut, Vater und ich stampften das frischgehobelte Weißkraut, das Bruder Kalle gemischt mit Salz und Gewürzen im Eimer, abwechselnd ins große Holzfass und in den meterhohen Bunzeltopf kippte, in dem ich, nachdem ich zur Zufriedenheit meiner Eltern und Geschwistern meine Füße gewässert und gewaschen habe, stampfte. Tüchtig stampften wir das gesalzene und mit Gewürzen gemischte gehobelte Weißkraut, bis der Saft Knöcheltief stand und das Fass fast randvoll war. Das restliche Weißkraut kam am nächsten Tag in den Garten, wo es in einem Schober überwinterte. Ebenso erging es den Kartoffeln. Die Hälfte der Kartoffeln kam in den Garten, auch in einen Schober. Vom neuen Sauerkraut wurde zuerst das Holzfass leergegessen. Aus dem Schober im Garten wurde dann das eingeschoberte Weißkraut geholt und das Holzfass frisch gefüllt. Ebenso wurde es mit den Kartoffeln gemacht, als der Kartoffelvorrat im Keller aufgegessen war. Alles was aus dem Schober kam war fast so frisch, als ob es gerade geerntet worden wäre. Nach den Sommerferien 43 wurde unser Vater kriegsdienstverpflichtet. Das heißt, er kam als Lehrer, seine Hauptfächer waren Mathematik, Physik und Chemie, nach Dombrowa in Ostoberschlesien. In Dombrowa war eine Heimatflakabteilung, die mit Gymnasiasten eines Gleiwitzer Gymnasiums besetzt war. Und diese Gymnasiasten waren ja nicht nur mit den Flakgeschützen beschäftigt; sie sollten nach Möglichkeit weiter unterrichtet werden. Und unser Vater war hier für den Unterricht in den Fächern Mathematik, Chemie und Physik zuständig, aber auch Deutsch und Geschichte. Er konnte noch am Samstag Nachmittag heimfahren, nach den Rechten sehen und mir notfalls die Vitaminspritze KadS verpassen, die ich regelmäßig brauchte, um nicht auf der Strecke zu bleiben, und er musste dann am Montag in der Früh wieder in Dombrowa sein. Zu der Vitaminspritze sei noch gesagt: Ich war nicht dumm, aber stinkfaul und hatte eine saumäßige Handschrift. Mich hat alles interessiert, nur nicht das Pauken. Ich habe das Gras wachsen hören; die zur Lektion gehörenden Vokabeln, dreimal durchgelesen und ich habe sie gekonnt und behalten. Aber ohne Jagen ging bei mir kaum etwas Vernünftiges. Meistens fuhr Vater am Sonntag Abend mit einem der letzten Züge in Richtung Dombrowa. Im Herbst 1943 wurde mein Bruder Franz, Schüler des Realgymnasiums in Ratibor, klassenweise zur Heimatflak eingezogen. Franz, kam mit seinem Schulfreund, unserem Loganten Jochaim nach Reigersfeld zu den 8,8 cm Geschützen; Bruder Klaus, der Jüngere, im nächsten Frühjahr zur Heimatflak zu den 3,8 cm Geschützen nach Plania, einem Stadtteil von Ratibor. Die Reigersfelder Heimatflak kam regelmäßig zum Einsatz, denn dienstags und freitags waren die Amis da, um die Hermann Göring Werke zu bombardieren, die von der Heimatflak tüchtig attackiert wurden. Die Buben haben auch einige „Amis“ abgeschossen; aber auch unter den Ratiborer Gymnasiasten gab es 1944 Tote. So auch aus unserer Nachbarschaft. Bei der Beerdigung dieses 17 jährigen jungen Mannes auf dem Jerusalemer Friedhof in Ratibor waren viele Hundert Menschen, die allermeisten dieser Menschen machten, so glaubte ich als fast 12 jähriger zu erkennen, keinen siegreichen „Ausdruck“;eher, als wollten sie sagen: „Wozu das sinnlose Sterben ?“; zumal die Russen schon in Ostpolen, kurz vor Warschau standen!
Bruder Klaus, wenn er sonntags Nachmittag für ein paar Stunden heim kommen durfte beglückwünschte seinen Bruder Franz lautstark, obwohl er nicht daheim sein durfte, dass sie schießen konnten und wir hier, während die Amis über unsere Köpfe in Richtung Reigersfeld flogen nur an den 3,8 cm Geschützen teilnahmslos sitzen mussten, ohne, so glaubte er, eingreifen zu können und sie herunterzuholen, bevor sie in Reigersfeld Schaden anrichten.
An einem Freitag, ich glaube es war im August 1944. Gegen 8.30 Uhr ertönte wie immer in der letzten Zeit im Radio während die Musik spielte paar mal der Kuckucksruf. Das hieß Vorwarnung!Eine knappe Stunde später gab es im Radio den ersten Voralarm –die Amis befinden sich bereits über Österreich! Das hieß, die Schule fällt heute am Nachmittag aus. Zur Schule:Das Realgymnasium, dass ich auch trotz meiner Faulheit besuchte, befand sich jetzt im Gebäude des humanistischen Gymnasiums auf der Jungfernstraße, in dem auch das Mädchenlyzeum von der Troppauer Straße untergebracht war = drei Schulen in einem Gebäude. Infolgedessen wurde vormittags und nachmittags unterrichtet. Ich hatte nachmittags, die Woche über an den Tagen: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag nur Unterricht. Dienstag und Freitag fiel regelmäßig der Unterricht aus. Also hatten wir nur noch zweimal die Woche nachmittags Unterricht. Zurück zum Voralarm: Dann folgte die übliche Prozedur: Bücher und Büchertasche kamen auf ihren Stammplatz, Koppel mit Zündplättchenpistole umgegurtet, die Steinschleuder mit dem Beutel Kieselsteinen am Koppel befestigt und rauf aufs Dach und hinterm Schornstein wurde Stellung bezogen mit der geladenen Steinschleuder in der Hand. „Die sollen nur kommen, ich werde sie gebührend empfangen“, dachte ich immer im Stillen!! Und sie kamen, aber diesmal flogen sie igendwie anders als sonst; ich meinte, sie würden weiter etwas östlich von uns fliegen. Und da passierte es, ich glaubte die erste Welle wäre schon an Ratibor vorbei, da machten sie kehrt, flogen zurück und in der Ecke, in der der Lockschuppen sich befand, nicht weit von uns auch im Neugartener Bereich, da ließen sie, etwa 1 m lange und schmale, Säcken ähnliche Dinge aus den Flugzeugen fallen. Ich dachte noch: „Ihr Feiglinge, warum kommt ihr nicht ein bisschen näher, dass auch ich euch mit meiner Steinschleuder begrüßen darf ?“ Ich habe den Satz noch nicht zu Ende gedacht, da gab es die ersten lautstarken Detonationen. Das Haus wackelte, das ich glaubte es falle jeden Moment in sich zusammen. So schnell wie damals war ich, der vermeintliche Held „der Ratiborer Baron von Münchhausen“ noch nie vom Dach im Luftschutzkeller, in dem meine jüngeren Geschwister mit Muttern saßen., während oben auf dem Küchenherd die Dampfhefeklöße, gefüllt mit Pflaumen oder Wasserlatschen dampften und zum Mittagessen herhalten sollten. Auch für die Hefeklöße war das Weizenmehl mit Weizenschrot gemischt, damit’s mehr sind. Wie üblich gegen 15.30/16Uhr gab es Entwarnung, und die inzwischen hartgedampften Hefeklöße konnten gegessen werden. Aber so richtig Hunger hatte keiner! Obwohl es längst schon Entwarnung gegeben hatte, explodierten laufend Bomben, auch während der Nacht. Bei vielen der Explosionen hörte es sich im Nachhinein so an, als ob von Lastwagen kohleähnliches Material rutschen würde. Diese Geräusche stammten von einstürzenden Gemäuern. Wie wir am nächsten Tag erfahren haben, waren es die Blindgänger/Zeitzünderbomben, die nachträglich explodierten. Wie wir auch später erfahren haben, wurden zum Tode verurteilte aus dem Ratiborer Zuchthaus zum Entschärfen der Blindgänger eingesetzt. Es hieß, wenn ihr Verurteilten die erreichbaren Bomben entschärft, werdet ihr begnadigt. Ob das stimmt, kann ich nicht bestätigen; wie gesagt, das wurde nachträglich erzählt. Zu diesem Luftangriff auf Ratibor später auf S. 138 mehr !
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