"Pöh", machte Ellen Knatchbull, "das gehört mir sowieso. Goldcreme Levante-Rose, aus meiner Kabine, nicht wahr, Herr Ingenieur?"
"Pöh", äffte er ihr nach, "was nützt die schönste Goldcreme auf einer gestrandeten Jacht, wenn sie nicht ein aufmerksamer Mann für schöne Frauen zu finden weiß? Außerdem sollten Sie sich in unsern neuen Verhältnissen abgewöhnen, Mein und Dein derart scharf zu trennen."
Mistress Knatchbull machte ein freundliches Gesicht, als sie in das Gespräch eingriff. "Sie sind ein unausstehlicher Mensch, Herr Ingenieur, aber am unausstehlichsten, wenn Sie eifern."
"Und Sie sind so klug, immer auf den rechten Moment zu warten, mich zurechtzuweisen, Mylady."
"Danke für Ihr Kompliment. Ich werde mich revanchieren und Ihnen einen Tipp geben: Ein Gentleman hätte die Tube mit einer Verbeugung überreicht und einige wohlgesetzte Worte dazu gesagt."
"Verzeihung, Mistress Knatchbull", Sundström verbeugte sich schneidig und schnarrte: "Bedaure Formfehler außerordentlich. Werde in Zukunft versuchen, pädagogische Instinkte zu unterdrücken oder geschickter an den Mann - pardon - an die Frau zu bringen."
Das Boot war entladen. Im Lager türmten sich Berge von Dingen, die geordnet und ihrem Zweck zugeführt, die Annehmlichkeit der sogenannten Zivilisation ausmachen würden. Für die kommende Nacht konnte man nunmehr zwei zeltähnliche Behausungen errichten. Aus den Vorräten des Delphin entstand unter den Händen der Damen ein Nachtmahl, das sich sehen lassen konnte. Pete werkelte emsig an einem großen, leeren Kanister, der sich bald zu einem herdähnlichen Monstrum formte. Er bastelte noch, als die andern mit dem Essen schon fertig waren und mit der seelischen Ausgeglichenheit plauderten, die ein satter Magen verschafft. Dann sollte der Matrose wieder den Gong zur Abendgymnastik bedienen. Dagegen wehrte er sich energisch. Er schien Großes vorzuhaben. Ellen Knatchbull wagte etwas. Sie drückte ihrem Vater Knüppel und Kanister in die Hand. "Hier, Pap, bums mal ein bisschen den Takt zu unsern rhythmischen Übungen. Gelt, du bist so lieb?"
Sundström weidete sich an der nicht beneidenswerten Situation seines Widersachers, und Ellen wurde ihm wegen ihrer Respektlosigkeit um einiges sympathischer.
Knatchbull suchte die Lage zu meistern, indem er die Königswürde ausnahmsweise aufgab und dies an seiner väterlich-herablassenden Miene erkennen ließ.
Bald erhob sich Pete und ging zum Strand. Vorher hob er den Zeigefinger wie die Hexe aus dem Märchen, ehe sie im Zauberberg verschwindet, um darauf mit einem Weltwunder aufzutauchen.
Er tauchte wieder auf, aber mit leeren Händen.
"Gemeinheit", seufzte er, "wenn ich nicht ein erwachsener Mensch wäre, würde ich heulen."
"Was ist's denn, was dich drückt?" fragte Sundström teilnahmsvoll. Die übrige Gesellschaft stand neugierig um den traurigen Pete Hawk herum.
Pete raffte sich auf. "Prinz, warst du es?" Der Hund hob den Kopf und sah den Sprechenden so treuherzig an, dass man gern glauben konnte, er habe den Vogel nicht gestohlen. Alle verteidigten ihn, obwohl es nach Petes Darstellung keine andere Möglichkeit für das Verschwinden seiner Delikatesse gab.
Der Hund merkte, dass er im Mittelpunkt der Unterhaltung stand, und lief winselnd von einem zum andern.
Hell war das Feuer aufgeflammt. Sundström drehte einen leckeren Vogel über der Flamme.
Petes Unterkiefer klappte herunter wie ein schnell herabgelassenes Fallreep. Der Spießbraten kam ihm bekannt vor. Rasch fasste er sich, stand gravitätisch auf, nahm eine eingebildete Richterkappe vom Haupt und sprach feierlich. "Hiermit wird der Angeklagte Prinz wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Der Schuldige hat sich selbst gestellt. Er bereut seine Tat, ist schon beim Wiedergutmachen, und so schließen wir denn diese Akten mit Wohlgefallen."
Beifälliges Gelächter belohnte des Matrosen Schlagfertigkeit.
Appetitlicher Duft durchzog bald das Lager und stand in seltsamem Gegensatz zur märchenhaften Nachtlandschaft. Ein großer Mond legte eine Silberbrücke über die Bucht, und die Palmen stachen mit ihren schwarzen Spitzen in das Sternenfunkeln des Himmels.
Robinson spielt König
Am nächsten Morgen war Sundström der überraschte. Wie gewohnt, wollte er seine einsamen Übungen aufnehmen, als er die Damen schon beim Morgensport antraf. Ihre Gesichter leuchteten freudig, weil es ihnen geglückt war, ihm zuvorzukommen. Todernsten Gesichts meisterte er die Situation. "Guten Morgen, meine Damen, Sie haben sich verfrüht. Niemand hat den Sportplatz vor dem Sportlehrer zu betreten, verstanden?"
"Verschlafen, und dann obendrein Rügen erteilen!" Rose Taylor schnaufte, und ihre Entrüstung wirkte beinahe echt. "Sie sind die kleine Aufmerksamkeit gar nicht wert." Damit warf sie ihm eine Badehose an den Kopf. "Extra für Sie ausgesucht, Sie Undankbarer."
"Bei so viel unverdienter Sorge muss man allerdings einlenken." Er verschwand mit der Badehose im Männerzelt und war schnell wieder zurück. "Darf man sich an der Hüpferei beteiligen?"
Es wurde ihm gnädig gewährt. Das sah dann so aus, dass er automatisch die Leitung übernahm, froh gelaunt, federnd und bestimmt wie immer.
Petes Ofenbau gestern Abend nützte nun in der Frühe allen. Er überraschte die Frühsportler mit frischgebrühtem Mokka, gekocht auf seinem Apparätchen.
Beim gemeinsamen Morgenkaffee sagte Sundström leichthin: "Können Sie von Ihren Spaziergängen mit Emerson heute einmal Abstand nehmen, Mister Knatchbull, und beim Ausladen der Schaluppe helfen? Die Regenzeit kann bald einsetzen, und wehe uns, wenn wir dann nicht alles unter Dach und Fach haben."
"Ich wäre sowieso hiergeblieben, um zu sehen, was Sie mit meinem Schiff anstellen. Außerdem ist Ihre Bezeichnung 'Spaziergänge' daneben geglückt. Wir haben rekognosziert und dabei ständig Ausschau aufs Meer gehalten. Ich kann allen mitteilen, dass wir bereits eine ferne Rauchfahne gesichtet haben." Knatchbull sah sich triumphierend um.
"Eine ferne Rauchfahne ist noch kein Rettungsschiff, Pap." Nur die Tochter wagte ihre Skepsis offen auszusprechen.
"Nein, aber kein schlechter Anfang, Ellen. Vielleicht war es schon ein Kriegsschiff, das den Auftrag hat, uns zu suchen."
"Beneidenswerter Optimismus." Trotz aller Beherrschung gelang es Sundström nicht, ein mitleidiges Lächeln zu unterdrücken.
"Sie haben also nicht nur uns, sondern die ganze Welt auf den Leim geführt?" fragte Pete.
"Natürlich."
"Natürlich", folgerte Sundström weiter, "wartet diese auf den Leim geführte Welt in aller Seelenruhe, dass der Delphin in Frisco auftaucht. Deshalb wird man erst in einigen Wochen unruhig werden. Und bis die Unruhe so weit steigt, dass man Kriegsschiffe ausschickt, werden wieder einige runde Wochen vergehen. Und dann wird man zuallerletzt in diesem gottverlassenen Winkel suchen, weil Sie ja den beabsichtigten Abstecher geheim gehalten und sich auch dann noch geweigert haben, unseren Standort durch Funk zu übermitteln, als das Wetter schon reichlich mulmig wurde. Nachher war es dann zu spät."
Pete kicherte boshaft.
"Tscha, man soll auch auf einer Luxusjacht das Gehalt für einen Bordfunker nicht sparen. Der funkt wenigstens, bis ihm das Wasser am Hals steht, das ist seine Pflicht."
Der Hieb war gut. Sundström freute sich innerlich, als er sachlich sagte: "Auch ein Bordfunker wäre in diesem Fall hilflos gewesen. Ich bin als letzter von der Jacht gegangen. Weil ich die Situation auf dem Delphin ziemlich gut kannte, dachte ich: Funke, was das Zeug hält, SOS! Doch es gelang mir nicht. Infolge der Havarien war das Funkgerät nicht mehr brauchbar. Es zu reparieren, die Ruhe hatte ich nun auch wieder nicht."
Durch diese Einzelheiten über die Nacht der Katastrophe wurde nicht nur Sundström der Sinn der Anordnung klar, die Boote sollten so und nicht anders bemannt werden. Knatchbulls Hoffnung, auseinanderzukommen, hatte nicht getrogen. Eine mit ihm gemeinsam gelandete Mannschaft hätte wahrscheinlich längst revoltiert. Die in seinem Boot gesessen hatten, würden es kaum tun, denn wann immer sie gerettet wurden, in der Heimat würden sie wieder im gleichen Boot sitzen, kleine, gefällige Freunde, die sich dankbar dem Kommando des großen Steuermannes Knatchbull unterordneten. Ähnliche Gedanken waren auf den Gesichtern der anderen zu lesen. Unerschüttert erklärte Knatchbull: "Ihre Logik erdrückt mich beinahe, aber gesetzt den Fall, es treiben sich hier Kriegsschiffe ohne Suchauftrag herum, dann ist es doch gut ..."
Читать дальше