Diese Unverfrorenheit war Ellen Knatchbull zu viel. "Du hast gut reden, Pap, nachdem das meiste an Land geschafft worden ist."
"Hindere ich sie, an diesen Bequemlichkeiten teilzuhaben?" Das Lachen in dem fleischigen Gesicht blieb. "Ich habe mich gestern nur geärgert, wie dreist und gottesfürchtig die beiden darangingen, den Delphin auseinanderzunehmen. Schließlich hat uns das gute Schiff um die halbe Welt getragen."
Sundström versuchte einzulenken. "Leider gestattet es uns unsre Situation nicht, unsre Zukunft einer -sagen wir mal- Sentimentalität zu opfern. Wir wollen heute den Delphin weiter auseinandernehmen."
"Machen Sie." Knatchbull hob die Schultern. Es sah aus, als resigniere er. "Alle weiteren Schritte in dieser Angelegenheit behalte ich mir für unsere Heimkehr vor."
"Wenn die Herren mit ihrem Disput zu Ende sind, bitte ich um Gehör für eine traurige Mitteilung", sagte Strong leise. In ernsten Worten berichtete er vom Ende Wan-hei-tschungs.
"Schade", sagte Knatchbull, "er war ein guter Koch und ein netter Kerl. Solch einen Tod hat ihm keiner gewünscht." Mit diesen Worten schien für ihn die Angelegenheit in das entsprechende Schubfach seines Seelenlebens verstaut. Den andern gelang das keineswegs so schnell. Die Kaltschnäuzigkeit des Inselfürsten hinterließ ein beredtes Schweigen. Keiner, außer Knatchbull, fühlte sich ganz schuldlos am qualvollen Tod des heiteren Wan-hei-tschung. Sie dachten an die Minuten der Katastrophe und daran, wie jeder um sein Leben gebangt hatte. Und das war kein Rückblick auf heldenhaftes Verhalten.
Sundström erhob sich still und ging zur Schaluppe. Pete folgte ihm. Die Gedanken an den Tod Wan-heis übten ihre Wirkung aus. Sogar Knatchbull ließ sich herab, an der Strandarbeit teilzunehmen, natürlich unter Assistenz Emersons. So konnten Downburn und Strong die Schaluppe beladen, während Hawk und Sundström demontierten.
Am Strande wuchsen langsam die Holzstapel. "Dass solch edles Holz noch mal ein Blockhaus ergeben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen", sagte Pete, "Was meinst du?" fragte er Sundström, "ob der Herr Präsident so denkt, wie er jetzt tut?"
"Das ist nur ein taktischer Rückzug. Bei der erstbesten Gelegenheit wird er versuchen, seine Niederlage zu rächen." Sundström hielt einen Augenblick verschnaufend inne und betrachtete wohlgefällig das vorsorgliche Tun des Freundes, der von allem nützlichen Gerät einen Teil zurücklegte.
"Der Alte freut sich schon, uns die Hölle heiß zu machen, wenn wir erst wieder in den Staaten sind", sagte Pete.
Sundström wiegte nachdenklich den Kopf. "Vielleicht auch früher. Außerdem - vergiss seinen Schatzkoller nicht."
Petes Augen leuchteten jungenhaft: "Das gibt noch die tollsten Abenteuer."
"Womöglich toller, als uns lieb ist." Der Ingenieur runzelte die Stirn.
"Meinetwegen." Die gestrige Aussprache hatte Pete sicher gemacht. Sie hatten ihren Plan, wussten, was sie wollten. Knatchbull hatte auch einen Plan, mit dem Unterschied, dass sie den seinen kannten, er aber den ihren nicht, "Jedenfalls, Knut", fuhr Pete fort, "können wir bis jetzt zufrieden sein. Mehr Vorsprung konnte uns der Kompromiss nicht bringen."
"Hm", Sundström blieb nachdenklich, "leider müssen wir dabei in den sauren Apfel beißen und dem Inseltyrannen ein Haus bauen."
Pete schob den Sombrero aus Reisstroh in den Nacken und fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. "Da segeln wir nicht dran vorbei. Es ist doch auch für uns. Und vergiss Ellen und Rose nicht."
"Stimmt, Pete. Aber ich möchte mal Ellen Knatchbull sehen, wenn die hörte, wie wir über ihren Pap sprechen."
"Sie hat ihrem Alten ganz schön Zunder gegeben."
Etwas bissig entgegnete. Sundström: "Bis auf gelegentliche Rückfälle, in denen sie Anwandlungen bekommt wie er. Das könnte mich immer fuchsteufelswild machen."
Pete griente hinterhältig. "Schlimmes Zeichen."
"Wie meinst du das?"
"Wenn sie dir gleichgültig wäre, würden dich ihre Charakterschwächen nicht wild machen."
"Du bist ja verrückt, Pete."
"Vor deinem besten Freund brauchst du nicht Verstecken zu spielen."
Sundström unterdrückte ein Lachen. "Hast eigentlich recht. Schon um den Alten zu ärgern, lohnt es sich, die Tochter zu erobern."
"Klingt sehr überlegen, oller Eroberer, ist aber bloß 'n frommer Selbstbetrug."
Sundström tat, als werde er wütend. "Schluss mit dem albernen Gerede, sonst komme ich dir mit Rose."
"Die Rose? Das Schönste an der Rose ist ...", Petes gutmütiges Gesicht verklärte sich, als sähe er eine berückende Vision.
"Was denn?" fragte Sundström gespannt.
"Dass sie keine Präsidententochter ist!" Pete lachte schadenfroh, und der Freund schüttelte nachsichtig den Kopf.
Sie arbeiteten eine Weile schweigend, dann blieb Pete vor einem Versteck mit Gerätschaften stehen und sagte: "Heute Nacht werden wir fischen gehen."
Sundström schaute verständnislos.
Pete fragte: "Oder weißt du einen besseren Vorwand, die Schaluppe heimlich für uns zu benutzen?"
"Aber wo bringen wir alles hin?"
"In eine Höhle."
"Erst mal eine haben."
"Haben wir."
Sundström sah den Freund skeptisch an.
"Mein unbemerkter Abendspaziergang hat uns nämlich viel genützt." Pete warf sich in die Brust. "Schon als wir uns die ersten Vogeleier von der Klippe geholt haben, dachte ich, hier gibt es bestimmt Höhlen."
"Und du hast eine gefunden?"
"Natürlich."
"Und das erzählst du mir heute schon?"
Pete machte das Gesicht eines weisen Großvaters. "Alles zu seiner Zeit, my boy. Dann aber bat er: "Entschuldige, ich war ganz davon abgekommen."
"Na schön." Sundström gab sich zufrieden. Die kommende Nacht beschäftigte ihn bereits. "Du bist dir doch klar, dass wir von der Angelei auch etwas für den Kochtopf mitbringen müssen."
"Ja." Pete teilte seine Ansichten über die Fischarten in diesen Gewässern mit und welche Köder und Angelgeräte er benutzen wolle.
Sundström fragte: "Wann fahren wir hinaus?"
"Um zwölf."
"Darum müssen wir zusehen, dass wir um acht in der Klappe liegen."
"Spätestens", betonte Pete, und sie gingen wieder an die Arbeit.
Kurz vorm Dunkelwerden saßen die Inselbewohner friedlich um die Abendtafel vereint.
Knatchbull legte Gabel und Messer beiseite. Gesättigt wischte er sich den Mund mit der schneeweißen Serviette. Während er sich behäbig eine Zigarre anbrannte, sagte er scheinbar leichthin: "Aus dem Holz des Delphin soll also unser Haus gebaut werden?"
Ellen und Rose bejahten die Frage gleichzeitig.
"Eins oder mehrere?" forschte der massige Mann weiter und sah Sundström nicht an, obwohl man spürte, dass die Frage in erster Linie an den Ingenieur gerichtet war.
Sundström überlegte, ob er antworten sollte. Dann dachte er an die Besprechung mit Pete. Ruhig entgegnete er: "Ich dachte an zwei Häuser: Ein größeres für die Ehepaare, Miss Ellen und Miss Rose; dann ein kleineres für die Junggesellen."
Sundström trafen lobende Blicke für den praktischen Vorschlag. Knatchbull tat, als sähe, er das nicht. "Und welches Haus wird zuerst gebaut?", fragt er.
Obwohl sich kleine Spottfältchen um seine Mundwinkel bildeten, antwortete Sundström weiterhin ruhig: "Natürlich, erst das Größere."
Knatchbull lehnte sich behaglich zurück und schaute dem Zigarrenrauch nach, Sein Gesicht ließ nicht, erkennen, dass er diese Antwort erwartet hatte, aber jeder wusste es.
"Und wenn nun die Regenzeit einsetzt, ehe das zweite Haus fertig, ist?", fragte Rose Taylor in das Schweigen hinein.
"Dann werden die sechs Räume auch ausreichen müssen", sagte Sundström. Pete Hawk fügte hinzu: "Besser eng sitzen und trocken, als nass ..."
"Na, was denn?", spottete Ellen Knatchbull.
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