»Wart ihr Mal wieder dort? Ich meine abgesehen von dem Versuch, nach der Hochzeit Kontakt aufzunehmen.«
»Gelegentlich, aber es ist wirklich nicht leicht für Alandra. Immerhin haben wir den Alten mittlerweile so weit, dass er sie nicht mehr im tiefsten, hohlen Baum einsperren möchte.«
»Ich schätze, das kann man auf der Haben-Seite verbuchen«, murmelte der Zauberer, »Doch ich habe schon damit gerechnet, dass ihr zurückbleiben müsst. Ich hoffe, wir kommen ohne euch zurecht. Es ist wohl auch besser, Du achtest hier gut auf die Schatulle.«
»Ich weiß nicht, ob er noch lebt, aber frag in Hachnasim nach einem Schattentänzer namens Üzümü, falls Du einen geschickten Burschen brauchst. Du weißt ja, dass ich für einen Erfahrungsaustausch dort war, bevor wir uns trafen. Schattentänzer nennen sich die örtlichen Diebe und Du solltest nicht gerade die Stadtwache nach ihm fragen, wir verstehen uns?« Darius zwinkerte verschwörerisch.
»Verstehe. Hast Du sonst noch nützliche Hinweise? Mir fällt ein, dass ich die Sprache gar nicht beherrsche.«
»Nur gut, dass Dir das nicht erst einfällt, wenn Du in den Südlanden von Bord gehst. Was ist mit dem Zwerg?«
»Auch nicht. Ansonsten wäre er wohl schon auf eigene Faust losgezogen.« Wulfhelm seufzte niedergeschlagen.
»Dann solltet ihr einen Dolmetscher mitnehmen, oder Du schaust mal in Deinen Zauberbüchern nach.«
»Mensch Darius, das ist es! Martor hatte so viele magische Ringe und Amulette. Ich glaube da waren irgendwo welche bei, um Sprachen zu verstehen. Ich hab den ganzen Ramsch auf den Dachboden gebracht.«
Als Wulfhelm wieder im heimischen Turm war, stürmte er die Wendeltreppe hinauf. Verdutzt sah Harika ihrem Mann nach, wie er die Luke zum Speicher aufstieß und darin verschwand. Seit sie das Gemäuer nach ihren Abenteuern und dem Aufenthalt in Palmenhain bezogen und allen überflüssigen Plunder dort verstaut hatten, waren sie nicht oben gewesen.
Nach einigem Nachdenken war Wulfhelm eingefallen, wonach er suchen musste: einen flachen hölzernen Koffer, in dem mehrere Amulette an kleinen Nägeln hingen. Unter ihnen war in kunstvoller Schrift die Sprache eingraviert, die sie übersetzten. Der Zauberer mochte fast nicht glauben, dass ihm das entfallen war.
Damals konnte man sich kaum in Martors Arbeitszimmer bewegen, weil jeder freie Platz mit Stapeln von Büchern und Schachteln vollgestellt war. Wulf hatte angefangen die Haufen von einer Ecke in die andere zu schieben, bis Harika etwas von »wohnlich machen« murmelte und das Fenster öffnete, um die Sachen dort »einzusortieren«. Wulfhelm blutete das Herz, als er die vielen Kleinodien und Literaturperlen im Vorgarten liegen sah und beschloss, sie in seinem ehemaligen Lehrlingsgemach unter dem Dach zu lagern. Als Avion alt genug war, um ein eigenes Zimmer zu beanspruchen, erweiterten sie lieber den Anbau, anstatt ihn in der Dachkammer einzuquartieren. Wulfhelm hatte nicht die allerbesten Erinnerungen an den finsteren, muffigen Raum. Es gab nur ein kleines Erkerfenster, durch das wenig Licht hereindrang. Er stand vor dem Berg zauberischer Arbeitsutensilien und wartete, bis seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, dann begann er, den Haufen abzutragen.
»Ein weiser Magier hat immer einen Plan B bereit, falls etwas schiefläuft«, pflegte Martor angesichts der Amulette und Stäbe zu sagen, die er gerne mit sich führte. »Sowie einen Sublimationszauber, sollte doch einmal unerwartet ein Steuereintreiber aufkreuzen.«
Dieser Zauber war sehr einfach zu sprechen, bedurfte nur minimale magische Energie und erfreute sich bereits bei Praktikanten und Lehrlingen der größten Beliebtheit. Die Sublimation bezeichnete den Wechsel vom feststofflichen Zustand in den gasförmigen, unter Auslassung des flüssigen. War doch einmal Flüssigkeit im Spiel, handelte es sich meist um Angstschweiß, dennoch wurde dieser Zauber bei Insidern gern: »Duft-wie-Luft« oder »Verduftix« genannt. Sehr zu seinem Verdruss hatte Wulf diesen Spruch in seiner Ausbildung nicht gelernt. Martor wusste vermutlich ganz genau, warum.
Nun war Wulfhelm ein Angestellter der Kaiserin und bezog seine Einkünfte aus dem Staatshaushalt. Daher waren die steten Bemühungen des selbstständigen Unternehmers Martor, dem Fiskus zu entrinnen, für den jungen Zauberer allerhöchstens als kreislaufschädigend anzusehen.
Triumphierend zog Wulfhelm das gesuchte Kästchen unter einem Bündel ellenlanger Zauberstäbe hervor, die mit einem Bindfaden verschnürt waren. Er klappte die Holzdeckel im rechten Winkel auf, stellte den Kasten auf den Stirnflächen der Deckel auf einer Kiste ab und sein Blick schweifte über die säuberlich aufgereihten Amulette im Inneren.
Es ließ sich immer nur ein Anhänger zur gleichen Zeit verwenden, da es zu magischen Rückkopplungen kam, wenn sich zwei Talismane zu nahe kamen, was sich äußerst unharmonisch auf die Gedanken des Trägers auswirkte. Die Übersetzung der fremden Sprache fand nämlich nur im Kopf des Benutzers statt. Dummerweise reichte es aus, solch ein Amulett am Körper mit sich zu führen, also war es nicht ratsam, andere Sprachversionen in der Tasche aufzubewahren. Wenn der Träger etwas in der Fremdsprache sagen wollte, kam eine Stimme aus dem Anhänger und dolmetschte. Wulfhelm drehte den Kasten ins Licht des Fensters und überflog die Gravuren: elfisch, zwergisch, trollisch, Südlande - antik sihir, Südlande – Achlaman …
Zufrieden streckte der Zauberer die Hand nach der Achlaman-Medaille aus, als ein dunkler Schemen von oben in sein Blickfeld geriet. Erschrocken schlug Wulfhelm nach der Spinne vor seinem Gesicht und ließ dabei das ergriffene Amulett fallen. Die Schnur blieb an einem Nagel hängen und zog den Kasten mit sich in die Tiefe.
»Verdammnis …«, grollte Wulf missvergnügt und beobachtete, wie das Tierchen hinter einem Bücherstapel verschwand. Der Medaillenkasten lag mit seinen Deckeln auf seinem Inhalt. Ein Amulett lag etwas abseits und Wulfhelm nahm es an sich, überzeugt davon, dass dies der Achlaman-Übersetzer war.
»Das kann auch nur mir passieren«, klagte er und hob vorsichtig den Kasten an, in der Hoffnung wenigstens ein Teil der Schmuckstücke würde noch an seinem Platz hängen. Es bedarf sicherlich keiner weiteren Schilderung, dass dem nicht so war.
Zwei Tage später standen Harika und Wulfhelm mit ihrer Marschausrüstung, sowie zwei kleinen Koffern vor der Haustür der Birkenallee 26. Wulf hatte in der Akademie einen mehrwöchigen Urlaub angetreten. Die näheren Umstände stießen auf allgemeines Verständnis seitens der Akademieleitung und die Zusage des Zauberers, einen Reisebericht über die Südlande zu verfassen, gaben dem Unternehmen zusätzlich einen »halboffiziellen« Anstrich.
»Beeilt Euch, Falgrim. Der Dampfwagen fährt in zwanzig Minuten ab.« Besorgt sah Wulfhelm zum entfernten Uhrenturm der Akademie.
Das Schiff, mit dem sie in die Südlande reisen wollten, lag im Hafen von Kaisersruh vor Anker. Da die Hauptstadt aber gute sechzig Meilen von der Küste entfernt lag, entwickelte sich das Dorf um den ersten Leuchtturm Ardavils im Osten immer mehr zum Hafen der Hauptstadt. Um die recht große Distanz zu überbrücken, schickte die Kaiserin nach den besten Ingenieuren der Gnome und Zwerge. In einer Gemeinschaftsleistung wurde der Dampfwagen gebaut, der auf Schienen zwischen dem Hafen von Heimleuchtung und Kaisersruh pendelte. Dabei zog er aus eigener Kraft Waggons mit Handelsgütern und Sitzen für Passagiere, nur angetrieben von einem Feuer, das einen Wassertank erhitzte. Der Dampfwagen schaffte die Strecke in unter zwei Stunden, aber wenn sie ihn jetzt verpassten, müssten sie fast 4 Stunden warten, bis er wieder da war. Es gab nämlich erst einen Wagen und auch nur ein Gleis. Wegen des enormen Erfolges wurde jedoch schon der Ausbau der Strecke geplant.
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