Endlich! Wir nähern uns unserem Zielhafen Boncuk. Ich sehe mich gezwungen, dort meine Reise zu unterbrechen und erst einmal wieder zu Kräften zu kommen.
Der Name der Stadt bedeutet »Perle« in ihrer Sprache und genauso erscheint sie mir jetzt im Glanz des Sonnenlichtes - als strahlendes Juwel. Ich werde nun meine Passage bezahlen und bin froh, bald schon festen Boden unter den Füßen zu haben …
Ich ging vom Kai ins Innere der Stadt, wo mir der Kapitän ein gutes Gasthaus empfahl. Ich bahnte mir einen Weg durch das Gewühl in den engen Gassen, wo ein Basar stattfand. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein, und ein Fest zu feiern. Auf einem großen Platz unweit des Gasthauses wurde eine Parade abgehalten, aber mein Sinnen trieb mich an, erst einmal ausgiebig zu speisen und mich zu waschen.
Das Gasthaus liegt auf einem kleinen Hügel und wird von einem breiten Streifen künstlich angelegten Gartens und einer flachen Sandsteinmauer umrahmt. Dies sieht wirklich nach einer standesgemäßen Unterkunft für einen Mann von Adel, wie mich, aus. Im Inneren herrscht angenehme Kühle, die ich mir nicht so recht zu erklären vermag, mir jedoch mehr als willkommen ist. Durch die schmalen Fensterschlitze fällt nur wenig Licht und ich frage mich, wie es den großen Palmen, die in jeder Ecke stehen, zum Gedeihen reichen kann.
Ich bekam ein erfrischendes Mahl aus Feigen, Melonen und Ziegenkäse gereicht und schreibe nun diese Zeilen in mein Reisetagebuch. Ein Diener in einem gelben Kaftan, den alle Angestellten dieses Hauses tragen, brachte mir die Speisen auf mein Zimmer. Er erzählte mir auf meine Anfrage hin vom Fest der Erneuerung, das gerade in der Stadt gefeiert wird. Es soll jedes Jahr um die Mittsommerwende stattfinden und die Festivitäten eine ganze Woche andauern. Vier Tage habe ich schon verpasst, aber ich denke morgen werde ich mir das Spektakel einmal genauer ansehen.
Das war ein seltsamer Festtag in Boncuk. Ich aß allerlei und sah Dinge, die mich in Erstaunen und Befremden versetzten. Ich nahm an, dass es sich bei diesem Fest der Erneuerung um eine Art verspätetes Frühlingsfest handelt, doch mit den Jahreszeiten scheint es rein gar nichts zu tun zu haben. Deutlichstes Anzeichen dafür waren die vielen, militärisch anmutenden, Paraden und Aufführungen von Schlachten.
Meine Kenntnisse im Achlaman, der Zunge der Südlande, stießen schnell an ihre Grenzen. Sei es durch wenig alltagsgebräuchliche Ausdrücke oder durch Namen von Orten und Personen. Die Jungen auf den Straßen boten sich einem Fremden wie mir für ein paar Münzen sehr gerne und redselig als Führer an. Soweit ich ihren Erzählungen entnehmen konnte, gab es früher andere Strukturen oder Herrscher, die über die Südlande regierten. Gar ein anderes Volk, wenn ich es richtig verstanden habe. Ihre Hauptstadt soll sich nahe der Südspitze des Kaps der Könige befunden haben und noch heute enorme Schätze für diejenigen verborgen halten, die es wagten, die Dschinnwüste abseits der gut benutzten Karawanenroute nach Hachnasim zu durchqueren.
Diese Erneuerung war also ein Umsturz der alten Herrscher mit der Einsetzung eines Kalifen, so wie er heute noch über die Südlande herrscht. Schlüsselfigur in diesem Feldzug war eine Frau, die nur als »Gesandte der Einzigen« bezeichnet wird. Nun ist es kein Geheimnis, dass die Südländler unserem Schöpfer Tornak abschworen und stattdessen eine Göttin namens Birtanem verehren, was in ihrer Sprache auch »meine Einzige« bedeutet. Diese Frau spielte in den Schauspielen immer wieder eine Rolle und trat selbstbewusst und kühn vor die Herrscher. Dabei trug sie eine goldene Schatulle mit sich, die von den Einheimischen nur »Kiste der Krise« genannt wird. Dieser Auftritt der Frau endete darin, dass sich die Könige ihr zu Füßen warfen, oder in einer für meinen Geschmack überdramatisierten Sterbeszene zu Boden sanken. Was von alledem der Wahrheit entspricht und was Legende ist, vermag ich nicht zu deuten. Die Südländer feiern diese Ereignisse, die schon Hunderte Jahre zurückliegen sollen, jedoch mit einer Ernsthaftigkeit und Inbrunst, die über bloße Sagenverehrung hinausgeht.
Wulfhelm rollte die Pergamente wieder zusammen und übergab sie Herrn Haarklein. Alles, was er diesem Text entnehmen konnte, wusste er schon. Sei es durch die Skizzen des Zwergs oder die jüngsten Ereignisse. Als Wulf an Avion dachte, stiegen Tränen in ihm auf und er schüttelte zornig die Faust. Hoffentlich ging es ihm gut und es gab eine Möglichkeit ihn zurückzuholen, wo immer er jetzt auch war. Sollte es in den Südlanden ähnlich gewissenhaft geführte Bibliotheken geben, wie hier in Ardavil, dann würde er dort sicher Näheres erfahren.
»Ich komme natürlich mit!«, rief Harika in einem Tonfall, der keinerlei Widerspruch duldete. Wulfhelm hatte nichts anderes erwartet. Schließlich waren sie nicht nur ein Paar, sondern auch Kampfgefährten. Die Kriegerin hatte Wulfs Nachforschungen nicht ungenutzt verstreichen lassen und bereits die Ausrüstung zusammengepackt.
»Alandra und Darius werden wohl nicht mitkommen können, mit Lianna und ihrem Museum an den Hacken. Aber ich werde ihnen vor unserer Abreise einen weiteren Besuch abstatten. Dieser Zwerg will uns jedoch begleiten.«
»Na wunderbar«, knurrte Harika mit loderndem Blick, »Dann habe ich wenigstens noch jemanden, den ich verantwortlich machen kann, sollte mir zwischendurch mal langweilig werden.«
Das war Harika, wie Wulfhelm sie kennengelernt hatte. Freundlich, bezaubernd schön, zuvorkommend und mit unheimlich schnell steigendem Blutdruck. Nicht dass sich daran in all den Jahren ihrer Ehe viel geändert hätte, nur trat es nicht mehr so oft in Erscheinung.
»Dieser Falgrim scheint mir ein sympathischer, freundlicher Kerl zu sein, der dazu noch eine Menge Grips im Kopf haben muss. Er kann gewiss nichts für dieses Unglück, also sei bitte nett zu ihm, ja?«, begann Wulf und beobachtete Harika dabei, wie sie in einer großen Truhe herumwühlte. Lächelnd holte sie ein schweres, in weißes Wachstuch gehülltes, Bündel heraus und legte es auf den Boden.
»Ganz wie Du möchtest, Liebling. Dann wirst Du halt der Einzige in der Nähe sein, an dem ich gelegentlich aufkommende Verstimmungen auslassen kann«, sagte sie mit honigsüßer Stimme und öffnete das Bündel. Fühlte Wulfhelm sich jetzt besser? Nein, irgendwie nicht.
Im Inneren des Tuchs befanden sich mehrere metallene Gegenstände. Harikas altes Kettenhemd, der schimmernde Brustpanzer und das Schwert Belanwils von Graustein, die die Kriegerin in einem Turnier gegen den berühmten - bereits vor langer Zeit verschiedenen - Ardaviler Helden gewonnen hatte.
Skeptisch betrachtete der Zauberer die schwere Rüstung und fragte: »Dir ist schon bewusst, dass wir in ein verflixt warmes Land mit Wüsten und Dschungeln reisen wollen? Wäre etwas luftigere Kleidung da nicht besser geeignet?«
Die Unterlippe schmollend nach oben gezogen, starrte Harika eine Weile auf die Ausrüstung. »Aber das Schwert kommt mit!«
Wulfhelm beobachtete seinen Freund Darius dabei, wie er rastlos in dem kleinen Lagerraum auf und ab ging. Die Schatulle war wieder mit dem Gurt gesichert und nun zusätzlich in einer Truhe verschlossen. Hier war sie am Sichersten aufgehoben.
»Mann Wulf, Du glaubst gar nicht, wie gerne ich mitkommen würde und Alandra natürlich auch. Das Museum könnten meine Leute eine Weile ohne mich führen, aber wo sollen wir mit Lianna bleiben? Sie bei ihrem Großvater lassen? Na, das dürfte was geben …«
Wulf erinnerte sich noch gut an Alandras Aufbruch aus den behüteten Fittichen ihres Daseins als Elfenprinzessin. Ihr Vater, der Elfenkönig, war gar nicht angetan von ihren Gefühlen zu Darius und hatte seinen Sohn Tanrion ausgeschickt, die Elfe zurückzubringen. Mit mäßigem Erfolg. Wo die Liebe hinfällt …
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