Wulfhelm seufzte. »Dich ändern wir eh nicht mehr, schieß los.«
»Also …«, grinste der Dieb, »Der Mann heißt Falgrim und ist Schatzsucher aus Kaisersruh. Er hat die ganzen Fresken abgemalt und sie mir auch gezeigt, sein Buch aber wieder mitgenommen. Du solltest ihn mal besuchen und befragen. Er hatte damals eine Mannschaft aus Torfstechern angeheuert und das Gebäude im Moor ausgebuddelt. Als sie fast fertig waren, erschien eine Gruppe Orks. Die Torfstecher sind gerannt, als wären alle Dämonen hinter ihnen her, auch Falgrim zog sich zurück. Dann überlegte er es sich aber anders, denn er wollte sich den Schatz nicht so einfach wegnehmen lassen. Er schlich sich zurück, während die Orks im Gebäude verschwunden waren und lautstark diskutierten. Es gab ein helles Licht im Inneren und Ruhe kehrte ein. Als der Schatzsucher vorsichtig hineinging, war niemand da. Nur die Schatulle lag am Boden.«
»Orks im Dunkelmoor? Das ist nicht sehr weit von Burg Falkenstein entfernt«, gab Wulfhelm zu bedenken.
»Meinst Du die gehörten zu unseren alten Freunden? Könnte gut sein, ist aber auch unwichtig. Ich werde mich nicht beklagen, sollte ich sie niemals wieder sehen. Dieser Falgrim nahm die Schatulle mit, um in der magischen Universität etwas darüber zu erfahren. Er plante, sie für eine stattliche Summe zu verkaufen, doch solange er nichts über ihren Ursprung weiß, wäre es ziemlich skrupellos, sie in fremde Hände zu geben.«
»Immerhin hat er sie in Deine Hände gegeben. Viel schlimmer kann er es da auch nicht mehr treffen.«
»Ich habe auch Gefühle, Wulf. Ich versichere Dir, dass ich mich sehr verändert habe. Ich soll die Schatulle vor Zugriff schützen und durch die Ausstellung wenigstens etwas Geld verdienen, bis ihr Geheimnis gelüftet wird.«
»War ja auch nicht so ernst gemeint, Finger.« Die Verwendung des Spitznamens des Diebes unterstrich dies.
»Soweit es Falgrim in Erfahrung bringen konnte, deuten die Darstellungen auf eine Herrscherin oder eine Göttin hin, die nicht in diesem Landstrich bekannt ist.«
»Was soll das Ganze? Geht es nur darum, den Kasten verkaufbar zu machen?« Wulfhelm war stehen geblieben und sah Darius herausfordernd an.
»Nein. So wie ich dem Verschwinden der Orks und den Darstellungen entnehmen konnte, ist es möglich, dass es sich hierbei um ein richtig gefährliches Ding handelt. Wahrscheinlich wäre es besser, die Schatulle weit draußen auf dem Meer zu versenken.«
»Das wollte ich hören. Vielleicht hast Du Dich ja wirklich geändert«, lächelte der Zauberer zufrieden.
Avion war auf dem Weg zu Harika und Alandra und fand, dass sein Papi mal wieder ein oller Spielverderber war. Immer war alles zu gefährlich. Für einen Bücherwurm vielleicht, aber doch nicht für einen richtigen Krieger! Onkel Darius hatte hier wirklich aufregende Sachen gesammelt, viel interessanter als Papis müffelnde Bücher.
Avions Fantasie bekam Flügel, als er sich vorstellte, von welchen fernen Scherben all die Dinge kamen und welche verwegenen Kapitäne sie unter Lebensgefahr hierher mitgebracht hatten.
Ja, Kapitän wollte er später einmal werden. Am Besten auf einem richtigen Piratenschiff! Er zog seinen Dolch und fuchtelte damit, wie mit einem Säbel vor sich herum, die andere Hand in der Hüfte abgestützt, und parierte die Angriffe eines Harpienfelser Galeonenkapitäns.
Auf der Scherbe Famirlon gab es drei »Kaiserreiche«, Ardavil im Nordosten, Harpienfels im Nordwesten und die Südlande im Süden. Diese Länder waren durch unwirtliche Gegenden voller Ungeheuer voneinander getrennt und kümmerten sich eigentlich nicht besonders um ihre Nachbarn. Vor vielen Jahren war dies jedoch anders und Harpienfels hatte versucht Ardavil zu überfallen, musste jedoch eine bittere Niederlage einstecken. Das Protestmal, eine Monolithenformation im Herzen Ardavils, kündete heute noch von dieser Schlacht. In den Erinnerungen der Ardaviler lebten die Harpienfelser als Feinde fort, auch wenn diese sich nach dem Verschwinden ihrer Armee, nicht wieder über das Gebirge wagten.
Als Avion sich so den Gang entlangkämpfte und den gegnerischen Seemann vor sich her trieb, nahm er ein Glänzen in seinen Augenwinkeln war.
Har! Es schien, er war seiner Beute zum Greifen nah. Er musste nur noch den feindlichen Kapitän besiegen, dann würde er sich die Prise näher anschauen. Die Galeone brachte gewiss reiche Fracht nach Hause. Als treuer Ardaviler war es natürlich seine Pflicht, dies zu verhindern!
Avion schlug eine Finte und durchbohrte seinen Gegner, anschließend führte er den Säbel vor sein Gesicht und verbeugte sich.
»Gut gekämpft, Rotbart. Gegen den großen Avion und seine furchtlose Horde habt Ihr aber keine Aussicht auf den Sieg!«, knurrte Avion düster und stürmte den Laderaum der Galeone. Sofort stach ihm der goldene Kasten ins Auge, der scheinbar achtlos auf einem Stapel von Kisten abgelegt war, über die ein Segeltuch gebreitet lag.
»Die Kronjuwelen der Kaiserin!«, rief er ehrfürchtig und trat langsam näher. Ein breiter Lederriemen mit einer eisernen Gürtelschnalle war um das Kästchen geschlungen und hinderte ihn am Öffnen. Daher nestelte er zunächst an dem Verschluss und schwelgte in Fantasien, welche Schätze im Inneren des Kastens auf ihn warteten.
Der Lederriemen fiel zu Boden und Avion öffnete mit leuchtenden Augen die Schatulle.
Ein heller Lichtblitz drang aus dem Gang im hinteren Bereich. Wulfhelm und Darius sahen sich kurz besorgt an, bevor sie losliefen.
»Nein«, flüsterte Wulf. »Es ist nicht, was ich befürchte, dass es ist.«
»Was war das für ein Licht?«, fragte Harika, die gerade mit Alandra auf den Gang trat.
»Ist Avion bei euch?«, stieß Wulf außer Atem hervor.
»Nein?«, antwortete die Kriegerin mit einem fragenden Unterton und ihre Miene verfinsterte sich. »Mein lieber Wulfhelm! Wehe Dir, wenn unserem Kind etwas zugestoßen ist!«, grollte sie gefährlich leise.
»Und wehe Dir, Darius, wenn Du wieder leichtsinnig etwas hast herumliegen lassen«, ergänzte Alandra und passte ihren Tonfall dem von Harika an.
Die Männer schluckten schwer.
Gemeinsam eilten sie in den Lagerraum und fanden die Schatulle genau dort, wo sie sie zurückgelassen hatten. Nur der Lederriemen lag einsam und fehl am Platze wirkend auf dem Boden.
»Avion!« Immer wieder erklang der Ruf aus einem anderen Winkel des Museums. Darius hatte umgehend seine Arbeiter angewiesen, den Jungen zu suchen, doch auch nachdem sie jeden Raum durchkämmt hatten, blieb das Kind spurlos verschwunden.
Wulfhelm hatte sofort damit begonnen, die Umgebung um die Schatulle genauestens zu untersuchen, aber nichts deutete darauf hin, dass Avion etwas zugestoßen war. Keine Überreste, Aschehäuflein oder Brandspuren. In Wulfhelm keimte die zarte Hoffnung, dass sein Junge noch am Leben war, nur wo mochte er stecken? Gleich morgen würde er diesen Zwergen besuchen und eigene Nachforschungen in der Universität anstellen.
Nachdem Harika eine Weile gefaucht und gebrüllt hatte, beruhigte sie sich ein wenig und begnügte sich damit Wulfhelm die Hölle auf Scherben anzudrohen, sollte er ihren Sohn nicht in einem Stück zurückbringen.
Mit gemischten Gefühlen schritt Wulfhelm über den Campus, nickte mal der einen, mal der anderen Gruppe von Studenten wohlwollend zu und betrat das Hauptgebäude der magischen Akademie von Kaisersruh.
Bis zu seinem Unterricht hatte er noch genug Zeit, die er nutzen wollte, um dem Archivar, Herrn Haarklein, einen Besuch abzustatten. Wenn dieser Zwerg einmal hier war, um etwas über die Schatulle zu erfahren, dann wusste der steinalte Archivar bestimmt davon.
Das Archiv befand sich in einem Nebentrakt der Bibliothek und arbeitete eng mit dieser zusammen. Neben der Verwaltung der Bücher wurden die Belange der Universität festgehalten. Stapelweise Schriftrollen mit den Namen von Absolventen, Protokollen zu Untersuchungen und Experimenten, sowie der Schriftverkehr mit diversen Advokaten - meist mit Schadensersatzansprüchen oder Plagiatsvorwürfen gegen einige Magister - stapelten sich in den gut zehn Schritt hohen Regalen.
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