»Eine Einladung vom Chef persönlich? Dann geht nur hinein. Darius müsste sich im großen Saal aufhalten, gleich dort bei den Statuen hindurch.«
Der Zauberer bedankte sich und führte seine Familie ans Ende der Halle und durch eine hohe Doppeltür in einen gewaltigen Raum. Unschlüssig blieben sie stehen und sahen sich um. Durch weitere bunte Glasfenster drangen Sonnenstrahlen und erleuchteten den Raum in reichem Farbenspiel. Überall standen Kästen mit Gegenständen, umzäunte Statuen oder andere »Dinge« herum.
»Wulf! Harika! So schnell habe ich nicht mit euch gerechnet.« Der Dieb kam freudig auf sie zu. Er trug einen grauen Kittel, auf dem Farbkleckse und andere Flecke dicht an dicht verteilt waren. Hinter ihm arbeiteten ein paar Männer daran, einen weiteren Kasten aufzubauen.
»Darius!«, lachte Wulfhelm wurde jedoch gleich wieder Ernst. »Du hast doch wohl keinen Grumuk-Tempel entweiht, oder?« Grumuk war der Schutzpatron der Seefahrer und besonders in den Hafenstädten sehr hoch angesehen.
»Wo denkst Du hin? Hier wurde es zu eng und so haben sie einen größeren Tempel am Hafen errichtet. Ein glücklicher Umstand für mich und meine visionäre Magieunabhängige Sicherungseinrichtung Uralter Möbel . Kurz: MuSeUM«, strahlte Darius stolz mit einer alles umfassenden Geste.
»Museum?«, fragten Wulfhelm und Harika wie aus einem Mund.
»Ja, ich fand die Idee der Erzdämonen gar nicht so blöd, Schmuck und alten Kram herumzuzeigen und dafür Geld zu nehmen. Ist doch besser, als die Sachen zu verhökern. Du musst Avion sein. Bist Du groß geworden, Junge. Alandra wird sich freuen, euch zu sehen. Kommt, kommt.«
Darius freute sich wie ein junger Hund und Wulf befürchtete schon, er würde gleich eine Pfütze auf dem Boden hinterlassen. Der ehemalige Dieb war ein kleiner, drahtiger Mann mit kurzen, fast schwarzen Haarstoppeln und wieselte vor ihnen her in den hinteren Teil des Saales. Er gab ein paar Anweisungen an die Arbeiter und unterstrich seine Worte mit zappelig wirkenden Gesten, dann führte er die Familie durch einen schmalen Gang. In einem Hinterzimmer befanden sich in Regalen und auf Tischen verschiedene Stücke, die von einer schlanken Elfe in ein großes Buch auf einem Schreibpult eingetragen wurden.
»Alandra! Schau nur, wer hier ist!«, rief Darius, noch bevor er den Raum betreten hatte.
Lächelnd stellte Alandra den Federkiel im Tintenfass ab und wandte sich der Gruppe zu. Sie trug ein schlichtes, weißes Leinenkleid, das an ihr jedoch wirkte, wie eine wertvolle Seidentracht. Das Gewebe schien aus sich selbst heraus zu leuchten und die langen weißblonden Locken der Elfe unterstützten diesen Eindruck.
»Schön, euch zu sehen«, sagte sie mit warmer, sanfter Stimme, die wie ein Gebirgsbach dahinplätscherte.
»Wir haben noch eine große Neuigkeit für euch!« Darius’ Stimme überschlug sich förmlich vor Aufregung.
Harika und Wulfhelm sahen erst sich, dann ihre Gastgeber fragend an. Darius zog Alandra zu sich in den Arm und gab dadurch den Blick auf eine Kinderwiege frei, die an der Seite des Schreibpultes stand.
»Oh wie schön. Hat es bei euch endlich geklappt?« Harika trat näher an die Wiege heran und warf einen Blick hinein. Wulfhelm schüttelte Darius überschwänglich die Hand: »Ich gratuliere euch. Ist es ein Mädchen oder ein Junge?«
»Ein Mädchen. Ihr Name ist Lianna«, antwortete die Elfe und sah lächelnd zu, wie ihre Freunde sich über das Baby beugten. Avion machte aus respektvollem Abstand einen langen Hals, verlor das Interesse aber schneller wieder, als es geweckt war. Als seine Eltern auch noch alberne »Kuckucks« und »Gutschi-Gutschi-Guus« von sich gaben, rollte er mit den Augen und sagte: »Ich schau mir lieber die tollen Sachen draußen an.«
»Ja, mach das. Aber fass nichts an, verstanden?«, mahnte Harika und betrachtete dabei fasziniert, wie Lianna ihren Finger umklammerte.
Nach einiger Zeit nahm Darius Wulfhelm an die Seite und raunte: »Ich möchte Dir gern etwas zeigen.«
Der Zauberer folgte seinem Freund hinaus auf den Gang und in einen anderen Raum. Unter groben Leinentüchern verborgen, lagerten etliche Kisten und zukünftige Exponate. »Das hier«, begann der Dieb und zog ein Tuch von einer goldenen Schatulle, die mit einem Gürtel umschlossen war, »hat mir ein Zwerg zum Ausstellen überlassen. Ein Schatzjäger, der dieses Ding vor einigen Jahren in einer versunkenen Ruine im Dunkelmoor gefunden hat. Seitdem versucht er herauszubekommen, was es damit auf sich hat. Aber selbst in der magischen Universität von Kaisersruh konnte man ihm nur bedingt helfen.«
»Sieht für mich wie ein Gerät aus, mit dem man …«, begann Wulfhelm geheimnisvoll und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
»Ja? Mit dem man was?«, fragte Darius aufgeregt.
»Mit dem man seine Schätze vor neugierigen Blicken verbergen kann«, vollendete Wulf den Satz tonlos und grinste.
»Das ist ernster als es aussieht, glaube ich.« Der ehemalige Dieb knuffte dem Zauberer in die Rippen. »Hör Dir erst die Geschichte des Schatzsuchers an. An dem ausgegrabenen Gebäude waren nämlich Fresken, auf denen der Kasten zu sehen war. Auf diesen Abbildungen kam irgendetwas aus der Schatulle heraus. Licht oder Strahlen und als die Orks in die Ruine gingen, soll es hell daraus geleuchtet haben und dann waren sie weg!« Darius’ Stimme war immer schneller und höher geworden. Der Zauberer kratzte sich nachdenklich am Kopf.
»Weg«, wiederholte er lakonisch. »Wo sind sie gleich hergekommen? Am Besten wir machen einen kleinen Rundgang, Du holst tief Luft und erzählst mir alles noch einmal ganz in Ruhe und in ungekürzter Fassung.«
Darius nickte und führte Wulfhelm durch die große Haupthalle. In einiger Entfernung beobachtete er seinen Sohn, der gerade neugierig eine primitive Statue aus Holz umrundete.
»Fass nichts an, Avion!«, rief er nervös. Darius bemerkte die Besorgnis seines Freundes und winkte beruhigend ab: »Keine Sorge. Es kann eigentlich gar nichts passieren.«
»Wie meinst Du das?«, fragte Wulfhelm alarmiert. Er erinnerte sich an das schrille Klingeln, als sie sich das Zepter von Ardavil bei den Erzdämonen »ausgeborgt« hatten. »Was genau ist denn diese magieunabhängige Sicherungseinrichtung , von der Du gesprochen hast?«
»Es handelt sich um ein ausgeklügeltes Fallensystem …«
»Moment mal! Sagtest Du Fallen? AVION! Komm her!«
»Es besteht wirklich keinerlei Grund zur Aufregung. Zugegeben: Es gab da ein paar klitzekleine Zwischenfälle, aber jetzt funktioniert alles ganz wunderbar.«
Der Junge kam herbei gelaufen und Wulfhelm legte ihm die Hände auf die Schultern, hielt ihn fest.
»Ich kann mich ja irren, aber die größten Katastrophen sind immer dann eingetreten, wenn Du ganz sicher warst, dass alles gut wird.«
»Wann bist Du eigentlich zu so einem bösen Mann geworden?«, fragte Darius mit gespielter Traurigkeit.
»Möchtest Du uns begleiten, oder willst Du zu Mama, Avion?« Entweder Wulfhelm überging die letzte Frage, oder aber er wollte zum großen Gegenschlag ausholen, wenn der Junge zu Harika zurückkehrte.
Nachdenklich sah Avion zu den beiden ernst dreinschauenden Männern auf. Er hatte ein recht gutes Gespür dafür, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und sagte: »Ich geh zu Mami.«
Wulf blickte seinem Sohn nach und sagte dann: »Er ist der Grund. Und Dir wird es genauso ergehen mit Deiner Tochter, warte es nur ab.«
»Da will ich Dir nicht widersprechen, aber um noch einmal auf die Geschichte zurückzukommen …«
»Eigentlich wollte ich Dir gerade aufzählen, wann ich ein böser Mann geworden bin, wie Du Dich ausdrückst.«
»Muss das jetzt wirklich sein? Du hast ja recht, da sind gelegentlich mal ein paar Kleinigkeiten etwas aus dem Ruder gelaufen. Aber am Ende hat es doch funktioniert.«
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