„Oder soll ich noch einmal zu dir ins Bett kommen?“
„Raus!“ befahl sie und zog die Bettdecke bis zum Hals. Bei Tageslicht war alles realer, heikler. Gewissensbisse traten auf, die noch vor wenigen Stunden nicht existent waren. Sie verschwand im Bad. Die kalte Dusche kühlte den erhitzten Körper.
Es klopfte. Ein übervoller Servierwagen rollte durch den Raum.
„Merci“, hörte sie Bobs volltönende Stimme.
Kühle Morgenluft vermischte sich mit Sonnenstrahlen, Straßengeräuschen, Blumenduft und Kaffeearoma.
„Kaffe und frische Croissants, Señorita?“ Er arrangierte die üppigen Köstlichkeiten. Leicht und elegant, souverän. Britt strich zärtlich über Bobs Rücken. Er schlang die Arme um ihre Taille, wirbelte sie jungenhaft im Kreis herum.
Der flauschige Bademantel öffnete sich. Lange, schlanke Beine. Zauberhafte Fesseln, grazile Waden, sehnig und drahtig. Errötend wickelte sie den Mantel fester. Bob grinste unverschämt, versuchte ihre Stimmung zu analysieren. Da war die klare und reine Britt, im nächsten Augenblick die sehnsuchtsvolle Frau. In der Nacht wurde sie zur verwegenen Verführerin, die ihn um den Verstand brachte. Unglaublich. Ein Fang, der seine kühnsten Erwartungen noch um einiges übertraf.
Von der alten Turmuhr gegenüber hallten zehn schwere Schläge zu ihnen herüber. Britt blieb der Bissen im Mund stecken. Sie sprang auf. „Mein Gott, Marc.“ Sie hatte ihn völlig vergessen. Im nächsten Augenblick stürmte sie, flüchtig angezogen, aus dem Zimmer. „Ich ruf dich an“.
Der Lift kam nicht. Sie hastete über die Treppen, stolperte, fing sich wieder und stand wenig später atemlos vor Marc.
In seiner Sorge um das geliebte Mädchen hatte er kein Auge zugetan. Der Hotelportier hatte ihm lediglich die Auskunft gegeben, Herr Graven sei auf seinem Zimmer. Marc war in die Suite zurückgekehrt und hatte geweint. Er ahnte, was geschehen war. Britts ungewohntes Verhalten. Der Schwächeanfall im Museum, die Nervosität beim Essen und dann in der Hotelhalle, als er ihr den Vorschlag gemacht hatte, mit diesem Graven in die Oper zu gehen. Sein Herz verkrampfte sich in unsagbarem Schmerz.
Jetzt stand sie vor ihm, zerzaust, übernächtig, völlig aufgelöst. In ihren Augen schimmerte ein seltsamer Glanz.
„Ihr habt euch wohl etwas verplaudert“, versuchte er die entsetzliche Situation zu entschärfen. Britt rang nach Atem.
„Marc, ich habe mich verliebt!“
Marc ignorierte den Satz, beugte sich über sie, wollte ihr einen Kuss geben. Sie entzog sich ihm mit wütender Geste.
„Du willst mich nicht verstehen“, kreischte sie hysterisch. Dann fügte sie flüsternd hinzu:
„Ich habe den Menschen gefunden, der mich bezaubert, fasziniert, der mich mit eisernem Griff festhält, dem ich nicht mehr entfliehen kann.“
Sie suchte nach Worten, erschöpft, verzagt, unendlich glücklich:
„Ich habe nie gewusst, was Liebe ist, was Liebe bedeutet. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man liebt. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann einmal verzeihen.“ Unschlüssig blickte sie im Zimmer umher.
Marcs Augen füllten sich mit Tränen. Er schien ganz ruhig, nur ein klägliches Lächeln auf den zitternden Lippen. Sie standen einander gegenüber. Still. Traurig, dass all das Schöne, das sie seit Jahren verbunden hatte, in diesem Moment wie Staub zerfiel.
„Gib mich bitte frei Marc! Steh meinem Glück nicht im Wege. Ich kann nicht anders. Wenn du mich je geliebt hast...“
Marc unterbrach sie brüsk.
„Lass gut sein. Ich versteh schon, was du meinst. Ich gehe. Ich werde heute noch nach Wien fliegen. Du willst ja vermutlich noch einige Zeit hier bleiben.“ Ungewollt klangen seine Worte mehr sarkastisch als deprimiert.
„Lass dir bitte etwas einfallen für Papa“. Zum ersten Mal dachte sie an zu Hause. An ihre Eltern. An das Unverständnis, auf das sie stoßen würde. Ihr wurde schwarz vor Augen. Eine Katastrophe.
Schluchzend fiel sie Marc um den Hals.
“Du bist mein bester Freund, seit ich denken kann. Du musst mich verstehen. Du musst auch mit Papa und Mama sprechen und sie vorbereiten. Ich kann das nicht allein. Wenn du mir hilfst, wird alles gut.“
Sanft schob er sie von sich, schaute nochmals in das vertraute Gesicht, das er so sehr liebte. Er nahm seinen leichten Mantel.
„Ich gehe jetzt, passe auf dich auf, mein Mädchen.“ Nach einigem Zögern fügte er mit kaum hörbarer Stimme hinzu: „Ich werde es den Herrschaften schonend beibringen, du kannst dich auf mich verlassen, Kleines.“
Aus weiter Ferne hörte sie Bobs flüsternde Worte.
„Träumst du noch lange so vor dich hin oder bekomme ich nun doch wieder einmal einen Kuss.“
Britt schreckte zusammen. „Ach Bob, ich war gerade in Paris. Ich wollte alles Glück, das ich damals erlebte, nochmals herzaubern, mit dir unmittelbar da anschließen, wo wir damals aufhörten.“
Bob zog sie fester an sich.
„Kann Liebe weh tun, Bob?“ fragte sie ihn plötzlich kindlich.
„Ich hab Papa gehört, komm lass uns ihm entgegen gehen. Er wird überrascht sein und wahrscheinlich nicht ganz so begeistert wie Mama. Aber lass dich nicht verwirren, ich wickle ihn immer um den Finger. Er kann mir keinen Wunsch abschlagen, und du bist mein größter Wunsch“.
Treffen bei Baumann im Büro
Kurt Wieland eilte die Treppe hinauf. Henni, seine Frau, blickte überrascht auf.
„Was machst du hier. Ich wusste gar nicht, dass du kommst.“
„Mach uns einen starken Kaffee und bring die Flasche Martell auch gleich mit. Ich habe ein wichtiges Gespräch vor mir.“
„Wer hat dich angerufen“, fragte sie nun ein klein wenig gekränkt, und schüttelte ärgerlich den Kopf.
„Ich muss dich zuerst anmelden. Berthold hat eine Menge zu tun, und ich weiß nicht, ob...“
Weiter kam sie nicht. Der Chef hatte die Tür zu seinem Büro geöffnet und lachte herzlich. „Auf meine Sekretärin kann ich wirklich stolz sein, die macht nicht einmal bei ihrem eigenen Gatten eine Ausnahme.“
Freundschaftlich umarmte er Kurt und bat ihn einzutreten.
Unter der mächtigen Zimmerlinde ließ sich Kurt auf der kastanienbraunen Garnitur nieder.
„Was ist los, Bert?“ Er versuchte, die Sache zu beschleunigen. Baumann ließ ihn zappeln, ließ langsam den herrlichen Cognac in zwei große Schwenker fließen.
Schmunzelnd meinte er dann beiläufig. „Warten wir noch auf Henni, sonst muss ich alles zweimal erzählen und dann wird es vielleicht langweilig.“
Kurt sprang auf, stürzte zur Tür und brüllte hysterisch. “Henni, beeil dich, ich platze gleich vor Neugier, und Berthold will nicht mit seiner Neuigkeit herausrücken, ehe du da bist.“
Baumann wählte seine Worte bedächtig, sah seine Freunde sinnend an. Diese beiden lieben Menschen waren Marcs Eltern. Viel zu frisch waren die Wunden nach der Trennung der Kinder.
„Wie ihr wahrscheinlich wisst, hatten wir in den vergangenen Tagen einen Gast.“ Kein zustimmendes Nicken, nur gespannte Aufmerksamkeit.
„Bob Graven hat uns besucht. Er war für drei Tage in Wien und hat sich bei uns vorgestellt.“ Überraschung lag in Kurts Augen. Henni zuckte unwillkürlich zusammen.
„Der junge Mann war auf einer Geschäftsreise, hat seine Tour kurz unterbrochen, und wollte sichtlich die Stimmung ausloten, die bei uns herrscht. Ein interessanter Mann, allerdings scheint er ein ziemlicher Windhund zu sein.“ Baumann räusperte sich, zündete umständlich eine dicke Zigarre an. Ein missbilligender Blick von Henni. In bewusst lockerem Tonfall erzählte er von seiner ersten Begegnung mit dem möglicherweise künftigen Schwiegersohn.
Henni blickte Kurt an und dieser seine Frau. Das ist nicht unser Berthold. Diese gespielte Art passte so gar nicht zu dem immer besonnen Geschäftsmann. Auch privat hatten die Beiden ihn noch nie so eigentümlich beschwingt über schwerwiegende Dinge plaudern hören. Berthold schaute über sie hinweg ins Leere. Es schien fast, als spräche er zu dem tanzenden Mädchen auf dem Cezanne über seinem Schreibtisch.
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