Seine Freundin Henriette, dieses Biest, genoss den Augenblick in vollen Zügen. Erheiterte sich diabolisch über seine Verlegenheit.
Sie war die Tochter einer der Damen aus Mamas Teerunde. Jeden Donnerstag pünktlich um 16 Uhr 30. Ein Jour Fix mit Tradition. Man führte neueste Modelle aus, trug den kürzlich erworbenen Schmuck mit gespielter Nonchalance, ließ sich bewundern, beneiden.
Hennis Vater, Generaldirektor Fichtenberg, Besitzer und Vorstandsmitglied eines renommierten Geldinstitutes in der Innenstadt, war der beste Freund seines Vaters, schon von Jugend an. Fleißig, ehrenwert und tüchtig, doch mit einem einzigen, gravierenden Fehler. Er war Jude.
Jude sein bedeutete für viele Menschen den sicheren Tod. Durch Glück, mehr noch durch Beziehungen, wurde Herr Fichtenberg auf die so genannte Begnadeten-Liste Goebbels gesetzt. Er überlebte, konnte sich ins Ausland absetzen. Für den Rest der Familie begann eine qualvolle Zeit.
Darum verbrachte Henriette auch die meiste Zeit in der Hinterbrühl. Eifrig wurden Rettungspläne ausgearbeitet und wieder verworfen, um Platz für neue zu schaffen. Offiziell schwieg man und wusste von nichts. Ein falsches Wort zur falschen Zeit hätte Menschenleben gekostet.
An einem Montagmorgen läutete es sehr früh. Ein Eilbote. Dringlich wedelte er mit einem Einschreibebrief der Kommandanturstelle in Wien. „Ich brauche die Unterschrift von Berthold Baumann, Fräulein", ächzte der beleibte Briefträger.
„Und a bisserl dalli, wenn i bitten darf. I hab heut no mehr solche Hiobsbotschaften auszutragen.“ Mama war herbeigeeilt. Verzweifelt hielt sie das bedrohliche Dokument in Händen. Rosi stürzte aus der Küche. Aufgeregtes Geschnatter. Der Junge stand erwartungsvoll am Treppenabsatz.
„Na junger Mann, kommans runter und machens schon eana Kraxen auf des Formular. I habs eilig.“ Das Gesicht des Postmannes erhellte sich. Rosi hatte ihm ein tüchtiges Stamperl Obstbrand gereicht.
Beiläufig kritzelte der junge Herr seine Unterschrift auf die Empfangsbestätigung. Stolz unterzeichnete er den Einberufungsbefehl.
Für Mama stürzte eine Welt zusammen. Erst der Mann, nun der Junge. Sie war einer Ohnmacht nahe. Rosi rannte weg. Marlies lehnte versteinerte an der Marmorsäule. Ihre ernsten Augen füllten sich langsam mit Tränen. Die Arme ausgebreitet, zog sie ihren Jungen innig an sich. Flüsterte Worte, die eher sie als ihn trösten sollten. „Es wird gut, Berti, alles wird wieder gut.“
Doch es sollte viele Jahre dauern, lange, bittere, kaum zu ertragende Jahre. Die schönsten Jahre seiner Jugend sollten vergehen, ehe alles gut wurde.
Bob ist das erste Mal in Wien
Familie Baumann wohnte in einem gediegenen Appartementhaus in Wiens Innenstadt. Zur Jahrhundertwende erbaut. Edel und teuer. Fünf Stockwerke türmten sich vor dem staunenden Bob Graven auf. Der Dachfirst mit teils vergoldeten allegorischen Gestalten geschmückt. Plattgold-Reliefs verzierten die ersten beiden Stockwerke. Im Mitteltrakt schmiedeeiserne Balkone. Gediegenstes Kunsthandwerk.
Gebannt stand er vor dem imposanten Bau, überprüfte nochmals die Nummer, in Stein gehauen über dem mächtigen Portal. Zu beiden Seiten des Tores große Auslagenfenster, kostbare Antiquitäten.
Forsch griff er zur massiven Klinke, drückte das riesige Schmiedeeisentor auf. Zum ersten Mal betrat er das Allerheiligste. Ein Gedicht aus Marmor und Spiegeln. Die Eingangshalle mit Pförtnerloge, ein kleines Büro aus schwerem, dunklen Holz. Ein ältlicher Mann, hager, grauhaarig, blickte kritisch. Wachsame Augen nahmen den Eindringling unter die Lupe: Junger Mann, etwa dreißig, etwa einsneunzig groß, sehr kräftig und muskulös gebaut. Ja, Leopold kannte sich aus im Einschätzen von Menschen. Spekulieren war eines seiner Lieblingshobbys. Der Polizei hätte er einen urteilssicheren, kompetenten Zeugen abgegeben. Die Kleidung: Tweedjacke zu grauen Flanellhosen, ochsenblutfarbene Mokassins. Für Leopold war dieser gut aussehende Mann in Ordnung.
“Kann ich behilflich sein, mein Herr?“ Der typisch wienerische Klang rang Bob ein Lächeln ab. Seit seiner Landung am Flughafen Wien-Schwechat hatte er noch kein einziges Wort in diesem charmanten Dialekt gehört. Der Taxichauffeur war Italiener, der Mann an der Gepäcksaufbewahrung Tscheche, und im Cafe gegenüber, wo er sich bei einer Melange und einem Nusskipferl für seinen großen Auftritt sammeln wollte, bediente ihn eine reizende Japanerin. International, aber nicht wienerisch. Sein Entschluss stand fest. Hier würde er Fuß fassen. Er wollte unbedingt diesen Ort zu seinem neuen Zuhause machen, wenn er auch noch nicht ganz genau wusste, wie er es anstellen sollte.
Mit Britt hatte er leichtes Spiel. Sie liebte ihn bedingungslos, dessen war er sich ganz sicher. Aber wie würde er bei den Eltern ankommen?
„Was wünschen Sie, mein Herr?“, wiederholte der Pförtner etwas forscher.
„Oh, sorry Mister, entschuldigen sie, ich suche die Familie Baumann, besser gesagt das Fräulein Britt Baumann. Sie wohnt doch hier?“
„Gewiss, gnädiger Herr“, entgegnete Leopold mit einem gewichtigen Unterton in der etwas flachen Stimme:
Der Portier machte kehrt, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der Baumanns.
„Gnädige Frau, küss die Hand, hier spricht der Leopold", schnaufte er aufgeregt. „Hier bei mir steht ein fescher, junger Mann und möchte der Gnädigen und dem Fräulein Tochter seine Aufwartung machen.“
Unwirsch drehte er sich nach Bob um: „Na, sagn’s mir scho endlich ihren Namen, junger Mann“.
Bob konnte das Grinsen nicht mehr verbergen. Strahlende Zähne kamen zum Vorschein. Er beeilte sich seinen Namen zu nennen.
„Bob, oh Verzeihung, Robert Graven“.
Leopold schüttelte den Kopf. Wieso entschuldigt sich der Mensch und nennt dann einen anderen Namen.
„ Der Herr heißt Robert Graven“ buchstabierte er nun laut und deutlich.
„Ja, ja, Bob heißt er auch, liebes Fräulein Britt. Darf ich den Herrn weiter bitten.“
Sichtlich zufrieden gestellt durch die freudige Überraschung, die seine Meldung ausgelöst hatte, bat er den Gast zum Lift.
„Die Herrschaften wohnen im ersten Stock.“ Er dienerte höflich und überließ Bob seinem Schicksal.
Der Fahrstuhl war eine Klasse für sich. Wände mit Walnuss paneeliert, ovale, abgeschrägten Spiegel, ein Perserteppich am Fußboden, eine Kristallleuchte an jeder Wand. Ein Glockenton signalisierte die Ankunft. Die Türe öffnete sich gemächlich - vor ihm stand Britt. Hinreißend anzusehen, in jugendlicher Frische, mit leicht zerzausten Locken und sanft geröteten Wangen.
Tausend Gedanken waren Britt in letzter Zeit durch den Kopf geschwirrt. Vergeblich waren die Bemühungen, die wilden Liebesnächte aus ihrer Erinnerung zu löschen. Die Sehnsucht kehrte immer wieder, überflutete sie mit Hitze und Kälte zugleich. Das war kein oberflächlicher Sex, damals, das war viel mehr. Mit jeder Umarmung waren die Gefühle intensiver, leidenschaftlicher aber auch liebevoller geworden. Nun war er da, stand vor ihr, und sie zitterte überwältigt vor Glück.
„Bob, ich freue mich so, dich zu sehen. Warum hast du mir deine Ankunft nicht mitgeteilt? Wann bist du angekommen? Woher kommst du?“
Alle Fragen sprudelten gleichzeitig heraus. Sie plapperte ungereimtes Zeug, um ihre Verwirrung zu überspielen. Hastig stolperten die Worte über ihre Lippen.
Er schwieg, lächelte sie an, machte zwei Schritte auf sie zu und nahm sie in die Arme. Zärtlich strich er durch ihr Haar. Zwei riesige Blumensträuße landeten unbeachtet am Boden. Er küsste sie auf Augen, Stirn und Mund und hielt sie dann etwas von sich.
„Lass dich anschauen, meine Prinzessin!“
„Anschauen kannst du mich später“. Sie hatte sich wieder gefangen und spielte nun auf extrem locker.
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