Bob schaute unsicher zwischen den beiden Eheleuten hin und her.
„Nach reiflicher Überlegung haben wir uns entschlossen, d i c h zu adoptieren, wenn du einverstanden bist“.
Beide blickten forschend in Bobs überraschtes Gesicht. Was er da eben gehört hatte, träumte er doch nur. Ein so großes Glück konnte es gar nicht geben. Er, der arme Roberto Cortez sollte nun für immer zu Bob Graven werden.
Sprachlos war er aufgesprungen. Starrte das Paar mit weit aufgerissenen Augen entgeistet an. Er fand keine Worte. Seine Blicke verrieten dem Ehepaar Graven, dass es wieder einen Sohn hatte.
War es Zufall? War es Fügung? In den nächsten Wochen standen plötzlich Vater und Sohn Torres vor dem Anwesen der Gravens. Sie wollten einen dunklen Plan realisieren. Ein Geheimtipp hatte in gewissen Kreisen rasch die Runde gemacht. Mit Kunstgegenständen ließ sich herrlich unauffällig Geld waschen.
Rafael Hernandes Torres war unumstrittener Herrscher des weit verzweigten Mafiosoclans. Der Don, dem die niederen Chargen bedingungslosen Gehorsam zollten. Nahm man seine Befehle stillschweigend zur Kenntnis, konnte man gut leben. Wehe dem Abtrünnigen, der die Familie in Misskredit brachte. Dessen Überlebenschance schrumpfte rapide. E i n Fehltritt wurde verziehen, ein zweiter durfte nicht passieren. Wenig wert war das Leben eines Schwachen in der großen, starken, mitleidlosen Familie.
Nichts ahnend verkaufte der alte Graven gutmütig und stolz seine wertvollsten Kostbarkeiten, ehrlich überzeugt, die zahlungskräftige Kundschaft bestens zufrieden stellen zu können.
Während sich die beiden älteren Männer intensiv mit Wert und Preis der zu erwerbenden Gegenstände herumschlugen, stolzierte Julio, der Sohn, zu den Stallungen. Interessiert bewunderte er die prächtigen Tiere. Sein Städterherz überschlug sich förmlich beim Anblick der stattlichen Hengste.
In den letzten Jahren hatte er von seinem Vater Härte und Strenge, Rücksichtslosigkeit, Gerechtigkeit und Schläue als täglich Brot verabreicht bekommen. Auf einem Pferd aber war er schon lange nicht mehr gesessen.
Bob hatte Julio sofort wieder erkannt. Neun lange Jahre hatte er den Freund nicht mehr gesehen.
„Kann ich dir behilflich sein, mein Freund?“
Bobs Stimme klang erregt, männlich, dunkel. Der Angesprochene drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu der Kreatur, die es wagte, ihn, den Sohn des Don, zu duzen und noch viel mehr als Freund zu bezeichnen.
Er wollte schon zum Schlag ausholen. Die strahlenden Augen seines Gegenübers geboten ihm Einhalt.
„Roberto“, rief er, nun selbst völlig überrascht.
„Was hat dich hierher verschlagen? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Wie ist es dir ergangen?“
Während er sprach, wog er kritisch das Aussehen des Freundes ab. Der feine Wams aus besticktem Samt, das blütenweiße Hemd.
„Du bist ja ein richtig feiner Pinkel geworden“, meinte er reichlich überheblich und konnte sich keinen Reim darauf machen, wie aus seinem ärmlichen Freund ein Edelmann werden konnte.
„Du sprichst mit dem Sohn des Hauses!“, erwiderte Roberto stolz. Die Antwort schlug dem vornehmen Sohn wie Peitschenhiebe ins Gesicht.
Bob fühlte sich ebenbürtig. Er überragte Julio um mehr als einen Kopf, strotzte vor Gesundheit und Tatendrang.
Julio erblasste. Seine Züge verhärteten sich. Hellhäutiger als letztes Mal schien ihm der Freund. Zwei Augenpaare duellierten sich in erbittertem Machtkampf. Der unantastbare Julio Maria Torres und sein Gegenspieler Roberto Cortes. Ein Niemand. Ein Nichts. Ein Bauernlümmel. Seine freundschaftlichen Gefühle sanken rapide. Dennoch lächelte er schmal und streckte Bob die Hand entgegen.
„Das verstehe ich nicht. Wie kommst du dazu, hier den Herrensohn zu markieren? Was soll der Blödsinn? Spinnst du jetzt total?“
Irgendetwas irritierte ihn dennoch. Die Züge Bobs veränderten sich kaum. Noch hatte der Landjunker, keine Ahnung, wer da tatsächlich vor ihm stand. Wie groß der Einfluss dieses jungen Mannes war, wie weit sein Arm reichte.
„Hast du Lust mit mir auszureiten. Such dir ein Pferd aus, es sind alles preisgekrönte Tiere mit endlosem Stammbaum. Jeder ein kleines Vermögen wert“, fügte er mit Besitzerstolz hinzu.
Julio wählte einen glänzenden Rappen, den er fachkundig sattelte.
Wenig später sprengten die beiden Reiter in rasendem Galopp dem nahe gelegenen See zu.
Wortlos stürmten sie über die Weiden, übersprangen Koppelzäune, maßen sich unbewusst. Ein Duell zweier Giganten.
Der letzte Kraftakt: Julio ließ Bob auf seiner Schimmelstute Cinderella, der Königin des Gestüts, mit wehender Mähne hinter sich zurück. Arrogant drehte er sich um, fühlte sich unschlagbar und gab dem schnaubenden Hengst die Sporen. Cinderella hatte sich kurz aufgebäumt, unternehmungslustig gewiehert und verfolgte nun ihren Rivalen mit spielerischer Leidenschaft. Es wäre Bob ein Leichtes gewesen, den ungeübten Reiter zu schlagen. Aber er hielt Cinderella zurück. Er wollte unbedingt die alte Freundschaft erhalten, sie auffrischen. Dazu gehörte nicht Überheblichkeit und Streitsucht, hier waren Diplomatie und Feingefühl gefragt. Am Ufer des Sees sprangen die Burschen von den Pferden und warfen sich ins hohe Schilfgras.
Unvermittelt begann Bob zu erzählen, was er in den letzten Jahren erlebt hatte. Julio hörte gebannt die unglaubliche Geschichte. Bald hatten sich die Freunde wieder gefunden. Sie respektierten einander, keine Eifersucht mehr, keine Herablassung. Bob zog aus einem Futteral den kleinen Skorpion und hielt ihn Julio vor die Nase.
„Mein größter Schatz. Das Symbol unserer Freundschaft. Ein Leben lang.“
„Bob, wo steckst du denn?“ Britts helle Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken.
„Was treibst du denn so früh am Morgen im Garten?“ Ihr vorwurfsvoller Ton erheiterte ihn.
„Ich zermartere mir den Kopf, wie ich mein ganzes Leben in eine Kurzfassung bringe, die vor dem Treffen mit der gestrengen Familie heute Nachmittag bestehen kann.“
Jetzt lachte Britt herzlich auf. „Wo liegt das Problem? Erzähle einfach vom Anfang an. Das kann doch nicht so schwer sein!“
„Du hast leicht reden.“ Vom Anfang an, du meine Güte, das wäre bestimmt der Anfang vom Ende einer schönen Beziehung. Und ich will diese Chance nicht verlieren, grübelte Bob, im Gesicht das strahlendste Lächeln, das ihm zur Verfügung stand.
Viel Zeit blieb ihm nicht. Er hatte seine Wohnung in Paris aufgelöst, was ihm nun beinahe etwas verfrüht erschien, hatte als Zwischenlösung allen Bekannten und Geschäftspartnern die Telefonnummer eines Freundes in München bekannt gegeben. Er brauchte unbedingt einen festen Wohnsitz in Wien, wenn möglich bei Britt. Wenn heute etwas schief ginge, dann Gnade ihm Gott.
Immer noch war er unruhig und weit weniger gelassen, als bei seinen üblichen Geschäften. Zu viel stand auf dem Spiel. In seinem Kopf schwirrte es wie in einer Voliere. „Der Vater will mir auf den Zahn fühlen. Mich sezieren, wie eine Leiche im anatomischen Institut. Mich Stück für Stück auseinander nehmen, und dann das Geschnetzelte an die Hunde verfüttern. Wenn ich mir auch nur eine Blöße gebe, ist mein Traum vom schönen Leben in Wien jäh zu Ende“, murmelte er vor sich hin.
Britt stand vor ihm und kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Ein typisches Zeichen, wenn sie ihr wunderschönes Köpfchen zum Nachdenken zwang.
„Das Frühstück wartet! Mit vollem Magen denkt es sich leichter.“
Bob folgte ihr mit glattem Gesicht, aber sorgenvollen Gedanken. Kleine Britt, dachte er, wenn du wüsstest, was ich alles verschweigen muss, um dich zu erobern!
„Heute Abend werde ich um deine Hand anhalten, ich verspreche es.“
Herr Baumann würde zufrieden sein mit dem, was er zu hören bekäme, versuchte er sich zu beruhigen. Man kann das Negative so geschickt formulieren, dass es schon wieder positiv klingt. Wie oft ist mir das bereits gelungen. Ich schaffe es auch heute, die Familie von meiner Seriosität zu überzeugen. Wäre doch gelacht. Ein Bob Graven gibt nie auf, schon gar nicht jetzt, wo das Glück zum Greifen nahe ist.
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