1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Eines Morgens war Roberto verschwunden. An seinem zwölften Geburtstag. Ohne ein Lebewohl für die Mutter, die sich von Pedro weiter ausnutzen lassen würde. Er war zu Größerem geboren!
Im Morgengrauen kletterte er den steilen Hügel hoch. Beschwingt und voller Tatendrang blickte er der aufgehenden Sonne siegessicher entgegen. In seiner Tasche das Klappmesser, die Schleuder. Ganz unten, am Boden seines Beutels, Julios Talisman. Ein Griff in Pedros wohl gehütete Geldschatulle gab ihm das Gefühl, ein reicher Mann zu sein.
Er kaute an einem Stück Brot. Den geklauten Schinken wollte er für später aufbewahren. Vor ihm lag das ersehnte, unbekannte Land. Schon sah er sich als vornehmer Patron, als Herr über viele Sklaven, denen er mit Härte und Macht begegnen wollte. Macht war der Inbegriff für Reichtum und Stärke. Rache wollte er nehmen für all das Leid, das ihm widerfahren war. Seine verbitterte Seele kannte weder Menschenwürde noch Nächstenliebe.
Die kühle Morgenluft spornte ihn an, trieb ihn weiter. Spät abends schlief er unter einer knorrigen Pinie ein. Ein Stück Freiheit hatte er schon erobert.
Am nächsten Morgen weckte ihn der knurrende Magen. Nach Stunden fand er einige Beeren. Eine Quelle löschte den quälenden Durst. Seine Schleuder hatte er verloren. Zorn und Missmut erfüllten ihn. Ein Mann, der seine Waffe verliert, muss bestraft werden.
Je weiter von zu Hause weg, je müder, umso verdrossener wurde er. Geschunden verzweifelt gelangte er in fruchtbares Gebiet. Seine hochtrabenden Gedanken waren gewaltig zusammengeschrumpft, sein Stolz fast gebrochen. Schafe und Rinderherden grasten im saftigen Gras, endlos. Seine Kehle war ausgetrocknet.
„Wo kommst d u her, Amigo“, lachte der Reiter, der aus der Weite der Steppe plötzlich aufgetauchte war. Das vom Wetter gegerbte Gesicht war von tiefen Falten durchzogen.
„Aus den Bergen, Senor, in der Nähe von Medellin.
Sein wirkliches zu Hause hatte keinen Namen. Keiner hatte sich je die Mühe gemacht, den wenigen Lehmhütten, die verstreut in den Mulden herumlagen, einen Namen zu geben. Medellin hieß der Ort, wo er von Onkel Pedro ausgenutzt und gequält worden war.
„Und warum kommst du jetzt hierher“, fragte der Reiter neugierig weiter.
„Ich suche Arbeit“, log Roberto.
Es schien ihm glaubwürdiger, mit fester Absicht seine Heimat verlassen zu haben, als von Abenteuerlust oder Unzufriedenheit zu reden.
„So. So, Arbeit suchst du“, meinte der Mann. Er wiegte bedenklich den kleinen Kopf, der unter dem riesigen Hut fast verschwand.
„Ich kann ordentlich zupacken. Lasst es mich nur versuchen. Ich schaffe mehr als ihr denkt.“ Sein Lebenswille besiegte Hunger, Durst und Müdigkeit.
Der Reiter blickte abschätzend den Jungen an. Warten war noch nie Robertos große Stärke gewesen.
„Na dann komm, du Ausreißer. Bist wohl einer, der auszog, das Fürchten zu lernen.“
„Angst habe ich bestimmt nicht“, antwortete Roberto nun etwas zuversichtlicher.
Nach einstündigem Ritt erreichten sie eine riesige Hazienda. Mächtig lag das flache Haupthaus inmitten saftiger Sträucher und hohen Pinien. Die Wände waren blütenweiß getüncht. Wilde Blüten rankten sich an der breiten Hausmauer empor. Zahlreiche Hütten und Scheunen standen in der Nähe. Aus einigen stiegen schwache Rauchwolken zum Himmel. Vor anderen saßen Arbeiter und verzehrten ihr Abendbrot. Lustiges Geschnatter und Gelächter erhob sich, als sie den Reiter samt Sozius ankommen sahen.
„Einen seltsamen Kojoten hast du da heute gefangen, Michele“, rief ein älterer Mann und wandte sich dann wieder seinem Stück Fleisch zu, das er gierig in den zahnlosen Mund schob.
Der Cowboy setzte Roberto vor einem der mächtigen Eingangstore ab und deutete ihm, vorwärts zu gehen. Mit großen Lettern stand da „OFICINA“.
„Keine Angst, hast du gesagt. Also geh hinein und sprich mit unserem Vorarbeiter. Mehr kann ich für dich nicht tun“, sagte er, und ritt gemächlich zurück zu den Herden. „Wie heißt du eigentlich?“, rief er noch zurück.
„Roberto Cortez, Senior“, lachte der Junge, und nahm allen Mut zusammen.
Bob reist zurück nach Wien
Pünktlich landete die Maschine am Flughafen Wien- Schwechat. Die Reise hatte Bob über Tokio, Hongkong, Paris nach Amsterdam geführt, wo er den kostspieligen Verlobungsring für Britt bei einem ihm bekannten Händler erworben hatte. Dieses Schmuckstück, ein prächtig geschliffener Sternsaphir in einer Fassung aus kleinen Saphiren und Diamanten, wäre eigentlich unerschwinglich für ihn gewesen, hätte er nicht seine Verbindungen spielen lassen.
Ein Wort gab das andere. Man berief sich auf alte Freundschaften und gute Geschäfte, die man seit Jahren miteinander machte. Bob ließ dabei eindeutig durchklingen, dass der Händler von seiner Gunst abhängig sei, dass ein Wort zu bestimmten Personen seine Existenz ruinieren könnte. Wohl formulierte Andeutungen und versteckte Drohungen versetzten den Kaufmann in höchste Panik. Bob wusste Vieles über unreelle Machenschaften diverser Personen und nützte seinen Vorteil.
Um ein ehrenwertes Mitglied der großen Familie zu werden, eine gute Position in der Hierarchie zu erlangen, genügten nicht allein Intelligenz und Kaltblütigkeit. Leistung, Geschäftssinn, und vor allem Erfolg zählten .
Bob Graven schaukelte sich die Leiter stetig hinauf. Kaltschnäuzig machte er, wenn es die Situation erforderte, von der Waffe Gebrauch, stieß Menschen, die im Wege standen, rücksichtslos ins Verderben. Julio war sein Vorbild.
Als Sohn des großen Rafael Hernandes Torres hatte dieser in vielen Belangen einen Freibrief. Bob hingegen war ein Niemand, der sich durch Protektion und die Sympathie der maßgeblichen Herren erkämpfen musste. Was nicht darüber hinwegtäuschte, dass ein falscher Schachzug genügte, um ebenso am Rande des Grabes zu sitzen, wie so manch anderer. Im Augenblick schwamm er ziemlich weit oben. Ließ sich nicht beirren. Zog seine Geschäfte mit rücksichtsloser Kälte durch. Das wohlgefällige Auge des Don ruhte auf ihm.
Er und seine Partner handelten mit allem, was der Markt anbot. Schmuck, Bilder, Immobilien aller Art, Grundstücken in Amerika, Asien und Europa, Schlösser in England, Hotels an der Cote d´Azur und kostbare Villen auf dem ganzen Erdball. Dreckige Ware mit großem Geschick sauber zu waschen war eine seiner vorrangigsten Aufgaben. Er kannte alle Schliche. Das Risiko, mit einem Fuß stets im Gefängnis zu stehen, erhöhte den Reiz seiner Arbeit immens. Mit Köpfchen und Souveränität konnte man allerdings in diesen Kreisen die besten und lukrativsten Geschäfte machen. Bob hatte gelernt, sich auf Glatteis zu bewegen und legte eine Kür nach der anderen mit Bravour hin.
Britt hatte ihn ungeduldig erwartet und brachte ihn direkt in die Hinterbrühl, ins Landhaus zu Großmama.
Eine stürmische, tränenreiche Begrüßung. Fragen, Fragen. Erst spät abends kamen sie in der Villa Baumann an.
Bob machte sich mit bestem Appetit über die köstlichen Häppchen her. Stopfte Salat und Brötchen, Käse und Früchte in sich hinein, als stünde er vor dem Hungertod. Britt saß sprachlos neben ihm. Nippte verzweifelt an ihrem Glas Bordeaux. Sie hatte sich so sehr auf seine Nähe gefreut. Und jetzt stopfte Bob sich den Bauch voll und dachte nicht daran, mit ihr ins Bett zu gehen. Wie sehr hatte sie sich auf diese Nacht nach drei endlosen Wochen gefreut.
„Gehen wir doch noch in den Garten, mein Schatz“, meinte er beiläufig. „Heute ist Vollmond. Lass uns die herrliche Nacht genießen.“
Gerade das wollte sie. Aber nicht im Garten und noch weniger bei einem Spaziergang. Sie hatte Sehnsucht nach seiner Umarmung, wollte seine samtige Haut auf der ihren spüren, seine heißen Küsse aufsaugen, ihn lieben.
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