Die Verschwiegenheit, mit der Johannes seinen Siegeszug durch die Welt der Jungfrauen, Mägde, Gesinde und Töchter antrat, sicherte ihm fünf Jahre lang reiche Beute. Der Jäger im Wald setzte leise einen Fuß vor den anderen, um das Wild nicht zu verscheuchen und erzählte nicht einmal seinem besten Freund Dodel Herzimuth von seinen Erlebnissen.
Und die Mädchen, immer um ihren Ruf besorgt, hielten ihrerseits den Mund nach heimlichen Treffen in Scheunen, auf Dachböden und in Bierkellern mit Margarethe, Kathrin, Agnes und all den anderen prallen Körpern, die sich nach seinem langen Degen sehnten und der Hoffnung, ein reicher Kaufmannssohn würde mehr von einer Magd wollen als pralle Brüste und feste Schenkel, als eine feuchte Möse und einen engen Arsch, in den Johannes besonders gerne mit Hilfe von feinstem Olivenöl eindrang, das auch bei längerer Benutzung nicht sofort fest wurde.
Seit dem letzten Viehmarkt im Januar schließlich hatte seine Wahllosigkeit ein neues Ziel. Annegret war die Tochter des ärmsten Schneiders der Stadt, der sechs Jahre zuvor seiner an Kindbettfieber gestorbenen Frau und den vier an der Pest krepierten Söhnen ins Grab gefolgt war. Der Schwarze Tod hatte nur Annegret verschont, die Leute in der Stadt sagten Jahre später, der Sensenmann habe sich nicht etwas so Schönes nehmen wollen, denn was ihr Vater an Geld zu wenig besessen hatte, war ihr von der Natur reichlich mit auf den Weg gegeben worden.
Ihr erster Auftritt in der Stadt nach der Kindheit war zum Sommerfest im letzten Juni gewesen und hatte verheerende Folgen. Die Frauen bewunderten ihre langen blonden Haare, die Alten ihr perfektes Gesicht und die Jungen die üppigen Kurven ihres Körpers, die endlich einen Zustand erreicht hatten, der jedes männliche Wesen, das sie einmal in ihrem engen Baumwollkleid gesehen hatte, nachts schlecht schlafen ließ.
Johannes war zu der Zeit mit dem Kaufmann Solberg in dessen Augsburger Faktorei gewesen, hatte sich von Dodel bei seiner Rückkehr berichten lassen, wie jeder Geselle in der Stadt, jeder Zimmermann, Bäcker und Fleischhauer, jeder Bierbrauer und Goldschmied in Blankenburg ihr nachgesehen hatte.
Wenn sie in den folgenden Wochen auf dem Markt verkaufte, was der Hof zu viel produzierte, oder in der Spinnstube mit den anderen jungen Leuten trank, was zu selten vorkam, weil auf dem Hof, der eine halbe Reitstunde entfernt lag, genug zu tun war, bildete sich ein Pulk um sie. Fliegen umschwärmten den Honigtopf, Annegret ignorierte sie.
Erst auf dem Viehmarkt im Januar begegnete Johannes ihr zum ersten Mal, und auch ihn verzauberte ihr Aussehen. Sie machte es ihm recht einfach, ihr ebenfalls zu gefallen. Zwei Fragen nach ihrem Alltag auf dem Hof, nach ihrer Großmutter, die im Wald aus Händen las, nach dem aufdringlichen Knecht. Zu lange hatte Johannes den Frauen zugehört, zu häufig von ihren Wünschen und Problemen erfahren, um jetzt einen Fehler zu begehen. Sein Plan war natürlich aufgegangen.
Annegret hatte auf ihn reagiert wie die Pupille auf Belladonna.
Es war ihr Vorschlag gewesen, sich nach der Kirche zu treffen. Unverfänglicher ging es nicht, und Johannes hatte sofort zugestimmt, weil er somit die Woche über weiter in der Spinnstube saufen und von ausgepusteten Kerzen profitieren konnte.
Im Dunkeln ist gut munkeln, sagte Dodel immer, und Johannes konnte munkeln, bis die Finger feucht wurden.
Johannes schob das hauchdünne Hemd der Baderin nach oben und entblößte ihren runden Hintern. Das Mädchen beugte sich etwas vor und seufzte. Johannes gefiel ihr, aber am meisten gefielen ihr sein aufgerichteter Degen zwischen den Schenkeln und die Tatsache, dass er immer ein großzügiges Trinkgeld hinterlegte, wenn er das Bad besuchte. Sie sei der einzige Grund für ihn zu kommen, hatte er ihr mehrfach zugeflüstert, und da er sich vor dem Beischlaf nur unwillig waschen ließ, glaubte sie ihm aufs Wort.
»Johannes«, hörte er wieder seinen Vater rufen, »lass die Finger von der Magd.«
Johannes seufzte, die Magd kicherte verlegen und machte einen Schritt zurück. Ihr dampfnasses Hemd ließ Brustwarzen erahnen und die dunkle Scham, an der Johannes seine Finger hatte und die feuchter war als der Weiher hinter der Bartholomäuskirche.
»Ich komme gleich«, rief Johannes, obwohl er längst nicht mehr daran glaubte. In diesem Moment kam der Bader in den Raum, in der Hand einen leeren Laugeneimer. Kichernd verschwand die Bademagd und Johannes seufzte.
Beim nächsten Mal, dachte er, beim nächsten Mal geh ich wieder alleine baden, und du wirst bis zur Bewusstlosigkeit gevögelt.
Als Johannes in die Badestube trat, war seine Erektion längst wieder zusammengefallen. Die Erinnerung an das letzte Gespräch mit seinem Vater, der selbstgefällig mit dem Zinnkrug vor dem Bauch in seinem Zuber saß, war alles andere als erregend.
Johannes wusste, was das ernste Gesicht zu bedeuten hatte. Seinem Vater gefielen das wahllose Herumvögeln in der ganzen Stadt nicht, seine Neigung zum übermäßigen Alkoholkonsum und nicht zuletzt die Schwärmereien für alles, was nicht bei drei auf den Kirschbäumen war.
Zum Glück wusste niemand von Annegret. Was hätte er seinem Vater auch sagen sollen? Dass dieses schüchterne Mädchen nur den Ehrgeiz des größten Liebhabers von Blankenburgs angestachelt hatte? Nichts hätte seinen Vater beeindruckt.
Hier ging es nicht um die Frage, ob ein Pferd sich wirklich leichter beschlagen ließ, wenn man es vorher mit der Nasenbremse ruhig gestellt hatte. Sein Vater brachte gleich die Zukunft seines Unternehmens ins Spiel, die Zukunft der Familie, die der ganzen Stadt und viel mehr, das Johannes in seinem jugendlichen Eifer gar nicht überblicken könne.
Wie würde er es ihm sagen? Vater, mach dir keine Sorgen, ich will nur vögeln.
Johannes setzte sich in einen Zuber mit heißem Wasser. Wie er diesen Zwang hasste. Er hasste seinen Vater, für den der Tag fast ausschließlich aus Arbeit bestand. Besitz wollte vermehrt werden, Handelsbeziehungen ausgebaut, neue Märkte erschlossen.
Und wo blieb die Lust? Ob Fugger oder Filius: Es ging immer nur um das Geschäft.
Der Vorsitzende der Handwerkerinnung polterte ungeduldig mit seinem Bierkrug.
»Die Idee, Richard. Erzähl uns davon.«
Der Bader brachte Bier und legte Holz auf das Kaminfeuer. Der Schornstein zog schlecht, ein offenes Fenster glich das aus. »Das läuft. Es nennt sich Aktiengesellschaft.«
Widmann zog die Nase hoch. »Und was soll ich darunter verstehen?«
Widmann, ein großer, hagerer Mann mit dünnem Haar, Adlernase und fliehendem Kinn, war der Stadtkämmerer - ein durch dieses Amt zu großer Machtfülle gelangter Kaufmann, dessen Frau vor zwei Jahren während der letzten Pestepidemie gestorben war.
Eine Macht, die Widmann nur zum Wohle der Stadt einsetzte, so betonte Johannes' Vater gerne und häufig. Denn er wisse, dass, was gut für die Stadt sei, auch den Bürgern gut tue. Widmann wisse auf dem Kopf genau zu sagen, woher die Steuern kamen und wohin sie gingen. Ein guter Kämmerer, so sein Vater, müsse die Ausgaben der Stadt auf Heller und Pfennig, Taler und Kreuzer kennen.
»Du kaufst Anteile an einem Unternehmen, gibst Geld und streichst den Gewinn ein.«
»Ich soll mein Geld hergeben und kann das Unternehmen nicht selber führen?«
»Das ist die Idee dahinter. Ein anderer hat ein Geschäftsmodell und kein Geld, du hast das Geld, nicht die Idee. Also bekommst du anteilig deinen Gewinn ausbezahlt. Das nennt sich Dividende.«
Nowak schüttelte den Kopf. Nowak war Johannes immer rätselhaft geblieben. Und mit seinen Kindern, humorlosen Blagen, konnte er schon gar nichts anfangen. »Diviwas?«
»Dividende. Das kommt von divido, lateinisch für Teilen.«
»Das ist mir zu hoch. Wer will denn freiwillig sein Geld für ein Geschäft hergeben, das er nicht selbst kontrollieren kann?«
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