1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Von Bühler, ein tumber aber ehrlicher Mann, hatte ein Gefühl dafür, wo etwas zu holen war und wo es besser war, Milde walten zu lassen. Den Verwalter hingegen hatte er mit der Arkebuse im Anschlag vom Schloss gejagt.
Nur Theodor war bei ihm geblieben, und das hatte vermutlich auch damit zu tun, dass er Botho einfach nicht verstanden hatte, weil er kaum noch etwas hörte.
»Du bist entlassen«, hatte Botho mehr als einmal gerufen, und Theodor hatte ihm mehr als einmal ein Bad eingelassen. Irgendwann hatte Botho es aufgegeben und ihn sowie die Köchin mit nach Regenstein genommen.
Köchin, ja, das war dann wohl auch Geschichte.
Das Leben hatte nicht mehr viel übrig für ihn, und Botho, was er sich in manchen Momenten eingestand, hatte gleichfalls nicht mehr viel für das Leben übrig. Nicht für Baden und Kochen und die anderen alltäglichen Dinge, nicht für die Sorgen seiner Untertanen, die sicherlich unter Hunger litten, unter den Missernten und hohen Abgaben. Jeder lebt sein eigenes Leben, dachte der Graf bitter.
»Ach ja.« Botho seufzte wieder. Das lustvolle Kribbeln in seinem Schwanz wurde stärker. Jetzt nur keinen Tropfen verschwenden. Die Augen brannten vor Müdigkeit. Seit Tagen fand er kaum Schlaf, wälzte sich unruhig auf seinem Nachtlager, stand nach wenigen Stunden Unruhe bereits wieder auf, stellte sich auf seinen Burgturm und sah zu, wie sich im Osten der Himmel erst grau färbte, dann rosa und wie schließlich die Sonne aufging.
Manchmal steckte er sein hartes Schwert in alle Öffnungen, die auch nur im Entferntesten an die Möse der Bäckerin erinnerten. Einmal hatte er sich sogar dabei erwischt, wie er mit einem Schemel in der Hand vor dem Pferdestall stand.
Ein Schritt weiter, hatte er gedacht, und du bist für alle Zeit für die Frauen verloren. Er hatte diesen Schritt dennoch gemacht, aber kaum hatte er sich auf den Schemel hinter sein Pferd gestellt, rettete ihn der Fluch. Innerhalb eines Wimpernschlags war die Erektion in sich zusammengefallen.
Im ersten Moment hatte Botho nicht gewusst, ob er froh darüber sein sollte. Beschämt hatte er sich wie so oft eine Weile in den Rittersaal in seinen alten Sessel vor dem Fenster gesetzt, seine Pluderhose geöffnet und hinaus ins Land geblickt, bis es Zeit geworden war für das Ritual gegen die Weitsichtigkeit.
Botho stieg mit der Hand an seinem steifen Schwert ein paar Stufen hinab in die Küche, suchte eine tönerne Schale und setzte sich an die Feuerstelle auf einen Hocker. Wieder hörte er Theodor in der Rüstkammer rumpeln. Etwas schepperte. Jemand fluchte heiser. Der gute alte Theodor.
Mit der linken Hand hielt er die Schale, mit der rechten verstärkte er die Bewegungen. Seine Finger waren kalt, aber das machte ihm auch an diesem Morgen nichts aus. Der Gedanke an die Frau des Bäckers bewies Botho wieder einmal, wie wenig er zum alten Eisen zählte.
Woher wollte der Bürgermeister überhaupt Bothos Lebensspanne kennen? Die konnte niemand vorhersagen. Irgendwann einmal musste es doch klappen, seinen Samen noch einmal dorthin zu vergießen, wo die Saat aufging. Er war grau und nicht mehr so ausdauernd, aber bekäme er in Schierekschestal hingegen einmal wieder ein Huhn vor seine Flinte, würde er es so richtig rupfen.
Rupf, rupf, rupf. Botho schloss die Augen. Rupf, rupf, rupf.
Die Armmuskeln spannten sich, Bothos rechter Arm war inzwischen zu seinem kräftigsten Körperteil geworden. Er stellte sich die Frau des Bäckers in der Kirchgasse vor. Wie sie den Rock lüpfte und die Füße weit auseinander nahm. Sie beugte sich über den Tisch, ganz weit, über den Tisch. Wie sich die beiden Öffnungen seinen Blicken preisgaben, wie die Feuchtigkeit zwischen den dunklen Haaren glitzerte, wie sich das enge Futteral um seine eindringenden Finger geschlossen hatte.
Das weiße Haar des Grafen wippte beim Rupfen auf und ab. Schneller und schneller, dann hielt er die Schale vor sich, spritzte einmal ab, zweimal, dreimal, und fing jeden Tropfen auf mit dem Geschick eines Mannes, der das bereits seit einigen Monaten machte.
Botho stellte die gefüllte Schale auf einem Tisch in der Mitte der Küche ab. Berge von Geschirr türmten sich darauf, Pfannen und Töpfe, dreckverkrustet. Er zog die Schale zum Rand, damit sie nicht übersehen werden konnte, nahm gedankenversunken die breite Treppe nach unten. Das Material der Wände änderte sich von Granit zu Sandstein, und irgendwann stand der Graf vor dem Einstieg zum tiefsten Kerker seiner Burg.
In der Felsenburg Regenstein, die damals von einer Seitenlinie seines Geschlechts bewohnt gewesen war, hatte man unter Graf Poppo einen Brunnen ausgeschachtet. Den tiefsten Brunnen neben dem tiefsten Kerker. Damals. Botho nahm eine Fackel, bückte sich und ging durch einen schmalen Durchgang. Die Flammen leckten über das Gestein. Der Atem des alten Grafen hallte kalt von den Wänden wider, die Schnallenschuhe scharrten im losen Geröll auf dem Boden.
Der Gang wand sich in die Tiefe und endete an einem offenen Schacht, über den an einem dünnen Holzpfahl eine grobe Schöpfvorrichtung mit einer Kette und zwei Eimern hing. Botho zündete eine weitere Fackel in einem eisernen Halter an und stieg an der inneren Schachtseite grob aus dem Sandstein gehauene Stufen hinab.
In das Rauschen der Flamme mischte sich bald lautes Plätschern, dann hatte Botho den Boden des Brunnens erreicht. Die Stufen endeten an einem kleinen Podest. Graf von Blankenburg blieb schnaufend stehen. Mit seinen siebzig Jahren konnte er sich nicht mehr viele Ausflüge hier herunter erlauben. Feuchtigkeit und Kälte waren Gift für seinen Rücken.
Er stand sekundenlang nach Atem ringend auf dem Absatz. Die Kette mit dem Eimer führte noch zwei Ellen in die Tiefe und endete kurz über dem Wasserspiegel, dessen Oberfläche von einer kleinen unterirdischen Quelle stetig aufgewühlt wurde.
Botho räusperte sich. Vor ein paar Jahren schon hatte der Brunnen begonnen zu reden. Das erste Mal war es im Anschluss an eine rhetorisch hervorgepresste Frage nach dem Grund für die schwere Arbeit gewesen. Eine Stimme hatte geantwortet, es läge am spezifischen Gewicht des Wassers und dem randvollen Eimer. Beim nächsten Besuch hatte Botho Rat zum Wetter und den Vorkommnissen des bevorstehenden Tages eingeholt, und immer wieder hatte eine dumpfe, etwas heisere Stimme geantwortet.
Vor einigen Monaten hatte er wie geraten angefangen, jeden Morgen das Schälchen zu füllen, um wieder besser sehen zu können, den besten Tipp hatte Botho jedoch letztes Jahr zu Himmelfahrt bekommen. Er hatte Theodor auf den Rat der Stimme hin alle seine Hemden unverzüglich stopfen und flicken lassen, seitdem war ihm am Rücken nicht mehr so kalt. In der alten Familienchronik war Botho eines Tages auf die Geschichte des Urahns Konrad gestoßen, der im Brunnen einer Intrige zum Opfer gefallen war und dessen Geist vermutlich seitdem ruhelos herumspukte. Botho räusperte sich erneut.
»Ich beschwöre Euch, Konrad von Regenstein, warum muss mein Geschlecht aussterben?«
Wasser tropfte, ein leises Kichern ertönte. Botho drehte sich im Kreis und sah den Schacht hinauf, wo die andere Fackel flackernd brannte.
»Was kann man mir zur Last legen?«, fragte der Graf erneut.
»Höre Botho!«, tönte es ihm plötzlich dumpf entgegen. Die Stimme war geschlechtslos, ein heiseres Flüstern. »Es gibt einen einfachen Grund: du hast keine Kinder.« Was folgte ähnelte einem unterdrückten Kichern. Botho verzog das Gesicht. Nichtssagender war nur Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist . Da war ihm keine Antwort lieber, was häufig genug vorkam.
»Und warum nicht?«
»Die Zeit für Ritter und Helden ist vorbei. Die Welt dreht sich weiter, andere regieren jetzt«, krächzte die Stimme. Botho sah zu Boden. Genau das hatte er erwartet. Seine Zeit war vorüber. Wenn er starb, würde sein Lehen zurück an die Wolfenbüttler fallen. Vielleicht war das sein Schicksal, vielleicht sollte es so sein.
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