1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Er seufzte müde.
Sein Rücken schmerzte wieder. So stand er einen Moment lang unten auf dem Podest und sah nicht die schattenhafte Bewegung oben am Ende des Schachts, sah nicht die dunkle Gestalt, die den Gang zurück zum Kerker huschte, die Treppen hinauf zum Burghof nahm und dort mit dem Wind verschwand.
Er nahm das leere Schälchen in der Küche zur Kenntnis, hielt sich die Hand vor die Augen, versuchte sie zu fixieren, hielt sie ein Stück weiter weg, bis er sie scharf sehen konnte, fragte sich, ob der Abstand kleiner oder größer geworden war, und machte sich auf den Weg nach oben.
Das Badehaus lag versteckt in einem hinteren Winkel der Stadt Blankenburg. Baden, das hatte seit ein paar Jahren wieder einen bösen Ruf bekommen. Pest und Syphilis, die Mal Franzos, waren mit der Körperreinigung in Verbindung gebracht worden
Bürgermeister Richard Dülmen legte seinen Kopf zurück und atmete aus. Neben ihm plätscherte Wasser. Er öffnete die Augen und beobachtete, wie der dicke Solberg in die Badebütt stieg. Es dampfte, auf seiner Stirn perlte Schweiß. Die Luft in der Badestube war rauchgeschwängert, der große Kessel in einer dunklen Ecke des Raumes dampfte.
»Wo sind die anderen?«
»Claus überprüft die Sauberkeit und Burkhard organisiert uns etwas zu essen.«
Claus, das war Claus Nowak, Ratsherr und Vorsitzender der Handwerkerinnung, dessen größter Kummer sein Haupthaar war, das sich schon seit einigen Jahren auf dem Rückzug befand. Seine Familie war das älteste Geschlecht der Stadt. Schon Nowaks Großvater hatte im Stadtrat gesessen und mit dem Import und Verkauf von Waidpulver ein Vermögen verdient, das er in Grundbesitz rund um die Stadt angelegt hatte. Von den Rentenzahlungen alleine hätte Nowak ein zweites Rathaus bauen können.
Solberg, der zweite Vorsitzende sog die Luft zischend zwischen den Zähnen ein, ließ sich ins Wasser gleiten. »Mensch, ist das heiß.«
Neben einem zweiten Zuber stand der Bader, legte Holz nach, überprüfte die Zuleitung zum Kessel und pfiff dabei. Messer und Schnepper steckten in seinem Vortüchel.
»Eine Rasur oder Schröpfen gefällig, die Herren?« Der Bader schwankte leicht angetrunken. Dülmen und Solberg schüttelten die Köpfe. Bei Peter Solberg, dem dicke, bärtigen Kaufmann und Stadtschreiber aus der Münzgasse, ging Dülmens Sohn Johannes in die Lehre. Als Teilhaber der Augsburger Welser hatte Solbergs Vater einst die Silberminen im Mansfelder Revier aufgekauft und am Bergsegen gut verdient, denn rechtzeitig vor Versiegen der Silberadern war er mit mehreren tausend Gulden Rücklage ausgestiegen.
»Übrigens, der Krug mit Lauge ist leer.«
»Ich werde sofort nachsehen und bitte um Verzeihung. Es reagieren übrigens immer weniger Blankenburger, wenn ich zum Bade blase. Ich fürchte Schlimmes, falls die Hygiene nachlässt, Herr Bürgermeister.«
»Vielleicht«, meldete sich Solberg aus der Badebütt, »liegt das nicht nur an Pfarrer Binsfeld, sondern gleichermaßen an der Gesundheit Eurer Gäste. Achtet etwas mehr auf Sauberkeit, dann können wir uns wieder unbesorgt für das Bad einsetzen. Die Syphilis ist kein gutes Aushängeschild für Euch, so wahr mir die Nase abfällt.«
Der Dicke lachte, Wasser schwappte über den Rand der Bütt. Nach einem kurzen Nicken verschwand der Bader, der Kämmerer kam mit Bier in der Hand nackt an ihm vorbei.
»Mittag.« Widmann stellte die zinnbeschlagenen Holzkrüge auf dem Brett ab, das quer über die Zuber gelegt war, und stieg in die zweite Bütt.
Das Badehaus war abgesehen von den Mitgliedern des Inneren Rates leer. Nach Erfahrung des Bürgermeisters fanden sich meist erst gegen Abend einige wenige Bürger der Stadt ein, um zu trinken, zu reden, zu lieben und zu essen.
Seit Jacob Binsfeld in seinen Predigten davon sprach, das gemeinsame Baden der Männer und Frauen berge Laster in sich, Untugend und Lüsternheit, und seit das kollektive Gedächtnis den letzten Pestfall vor drei Jahren bereits wieder vergessen hatte, war das Interesse der Menschen an Bädern deutlich geschwunden.
»Johannes, wo steckst du?«, rief der Bürgermeister.
Johannes hatte in einem Nebenraum des Bades, dort wo das Holz und die Lauge aufbewahrt wurden, seine Hand unter das dünne Kleid der Bademagd geschoben, einer schlanken jungen Frau, die ihm lediglich das Badehemd hatte reichen wollen. Doch sie hatte einen Fehler gemacht, einen kleinen nur, als sie Johannes gefragt hatte, ob er noch einen Wunsch habe, und Johannes hatte sie nur angesehen, lächelnd. Wünsche? Genug hatte er davon, reichlich.
Seine Vorstellungskraft war ausgeprägt, seit er mit dreizehn Jahren den Vorteil davon entdeckt hatte, die morgendliche Erektion statt mit kaltem Wasser mit der warmen Hand zu traktieren. Anfangs war Johannes erschrocken gewesen über den plötzlichen Ausbruch der Flüssigkeit, die ihn an das Weiße des Hühnereis erinnerte, das an einem heißen Sommertag auf warme Steine fiel.
Mit den Jahren wurde sie zum Symbol für den Höhepunkt der Gefühle, der das gelungene Gegenstück zum Ärger mit seinem Vater sein konnte oder ihm half, nach zu viel Bier einzuschlafen.
Anfangs noch heimlich schlich sich Johannes aus der Stadt, legte sich in Wiesen oder Kornfelder und produzierte Eiweiß, nackt im Sommer, kratzende Gräser und Halme auf der schweißnassen Haut; zitternd vor Erregung nachts im Lager auf Schafwollballen, wenn der Herbstwind ums Haus fegte und Schritte sowie klappende Türen übertönte und die Gefahr entdeckt zu werden noch erhöhte; dick vermummt im Winter, der Hosenlatz geöffnet hinter Ställen, Schnee auf heißer Haut; zwischen Kirschblüten am Bach, mit den Füßen im Wasser, wenn ihn im Frühjahr ganz spontan die Lust überkam. Dort hatte ihn die drei Jahre ältere Tochter des Fleischhauers, eine grobschlächtige Person ohne Manieren und Schamgefühl, erwischt.
Zwischen ihren Schenkeln erfuhr Johannes, wie effektiv aber letzten Endes unzureichend seine Hand ersetzt hatte, was Mädchen viel besser tun konnten. Sie setzte sich auf, kniete sich vor und legte sich unter ihn. Brüste und Bauch, Schenkel und Scham, Hintern und Hals waren weich und fest zugleich, waren Schlüsselreize, auf die er endlich lernte anzusprechen.
Das Erlebnis am Bach, inmitten von Butterblumen und Anemonen, während dicke Wolken über den Himmel zogen, war der Anfang einer Karriere geworden. Sein Auge wurde angezogen von den Rundungen der Brüste, Hinterteilen, Wangen und nackten Schultern jeder Frau in Blankenburg zwischen dreizehn und dreißig.
Die Fleischhauerstochter heiratete bald darauf den Bäckergesellen und schied aus dem neuen Spiel aus. Johannes fand andere Gefährtinnen, die ebenso daran interessiert waren, den menschlichen Körper zu erkunden. Heimlich, verborgen vor den Augen der sittenstrengen Zünfte, bohrte er sich in jede Öffnung, die sich ihm darbot. Mal im Wald, mal auf einer Wiese, mal im Kornfeld. War die Öffnung zu trocken, halfen sie mit Speichel nach; war sie zu eng, stahl er der Mutter Butter oder Rapsöl aus der Küche.
Es wurde ein Spiel mit der Lust, der Versuch herauszufinden, ob sich das Verlangen und die anschließende Erlösung steigern ließen. Manchmal wollten die Mädchen, die er mit seinem guten Aussehen, netten Worten oder dem Geld seines Vaters in den Heuschober lockte, nur schnell die Röcke heben und es hektisch hinter sich bringen. Andere schützten ihre Jungfernhäutchen und ließen bloß einen Finger den empfindlichen Punkt massieren, selten genug gab es ein Mädchen, das erfahren genug war, Zunge und Lippen einzusetzen.
Der Beischlaf, dachte Johannes mit fortschreitendem Alter, konnte nicht allein der Fortpflanzung dienen. So wenig, wie das Leben ausschließlich der Arbeit vorbehalten war. Körper waren zum Anfassen da, Lippen zum Küssen und der männliche Samen zum Benetzen von Gesichtern, Zungen, Bäuchen, Schenkeln und Hinterteilen. Wenn es so viel Lust verschaffte, die Öffnungen des Körpers zu berühren, in sie einzudringen und zu massieren, war es sinnvoll, genau dieses so oft wie möglich zu tun.
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