Von so etwas hatte er seit Wochen nur träumen können in feuchten Nächten, während er sich unruhig im Stroh, im Gras oder im dreckigen Lager einer Elendenherberge herumgewälzt hatte.
Während Tim von oben und mit zitternden Knien betrachtete, wie sich der Kopf der blonden, wunderhübschen Frau auf seinem blitzschnell erwachsen gewordenen Mann vor und zurück bewegte, beschloss er, in Zukunft netter zu alten Frauen zu sein.
Wer wusste schon, ob nicht alle eine schöne Tochter hatten, die ihn für seine Hilfsbereitschaft belohnen wollten? Kaum hatte er die Ersparnisse der letzten Wochen bis auf den letzten Tropfen aus dem mit Fingern und Zunge verhätschelten runzligen Beutel zwischen seinen Beinen geholt und war ermattet auf einen wackligen Hocker gesunken, verschwand die nackte, blonde Frau wortlos mit schwingenden Hüften durch die Tür.
In beiden Mundwinkel glitzerten milchigweiße Tropfen. Glücklich aber mit knurrendem Magen verließ er die Hütte. Die trockenen Reste aus seinem Brotbeutel und ein paar Beeren waren das klägliche Mahl des Tages, ein Bett aus Moos unter einer Tanne sein Nachtlager.
Der nächste Tag begann so traurig wie der vorherige. Hungrig stellte er sich in der nächsten Ortschaft auf den Marktplatz und spielte wieder vergebens auf seiner Triangel, bis ihm der Magen in den Kniekehlen hing und er kurz vor dem Entschluss stand, Mundraub zu begehen und enttäuscht nach Rostock zurückzukehren. In diesem Moment humpelte ihm eine runzlige alte Frau mit einem schweren Sack auf der Schulter über den Weg. Buckel, Warzen, strähnigen grauen Haaren und eingefallenen Lippen.
Anfangs begegnete sie seinem Wunsch, ihr den Sack abzunehmen, mit ungerechtfertigtem Misstrauen, aber schließlich überzeugte Tim sie mit leichter Gewalt und trug ihr den Sack nach Hause. Seine Frage nach der Tochter, Enkelin oder Nichte hingegen schien sie nicht zu verstehen, und die Bitte um Belohnung erfüllte sie schließlich mit einem trockenen Kanten Brot und einer Ecke Käse.
Gerade jedoch hatte Tim die Hütte verlassen und sich auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht gemacht, liefen ihm zwei junge Mädchen mit einem Korb in der Hand über den Weg. Auf die Frage, wohin des Wegs sie seien, antworteten sie im Chor: »Zur Großmutter.«
Tims Augen weiteten sich. »Braucht eure Großmutter zufällig Hilfe in der Küche?«
Krachend traf die Klinge den Holzklotz. Tim schwitzte. Er hatte Angst, sich in der Dunkelheit selbst in den Fuß zu hacken. Zwei Klafter später waren die beiden jungen Mädchen längst wieder im Wald verschwunden, und Tim traute sich kaum, nach einer Belohnung zu fragen. Er wollte nur noch schlafen. Vielleicht hatte die alte Frau ja eine Scheune.
»Ich habe nicht viel«, knarrte die Frau später am Tisch. Tim schlief beinahe im Sitzen ein. Aus dem Mundwinkel hingen ihm der letzte Zipfel Wurst. »Was könnte ich Euch geben?«
»Ein Bett«, murmelte Tim, während das Hemd an seinem Körper trocknete. So viel Holz hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehackt. Für nichts und wieder nichts. Nein, nicht ganz richtig: für eine Mahlzeit.
Am nächsten Morgen erwachte Tim zusammengerollt vor dem Ofen, erhielt eine fette Hafergrütze und einen Krug Bier zum Frühstück, und gerade als er sich verabschieden wollte, um bei der nächsten alten Frau sein Glück zu versuchen, bevor er seine kurze Karriere als Spielmann an den Nagel hängte, drückte ihm die Alte eine Gitarre in die Hand. Eine echte spanische Gitarre mit fünf Saiten.
»Hier. Mein Mann hat sie spielen können. Ich leider nicht. Vielleicht könnt Ihr sie eintauschen gegen etwas zu Essen oder was Euch sonst noch weiter hilft.«
Und so hatte sein Leben eine ganz neue Wendung genommen. Rasch entdeckte er die Möglichkeiten der Gitarre, die ihm die Triangel nicht geboten hatte – nicht nur für das Spielen sondern auch fürs Singen. Ihm gingen mit der Gitarre in der Hand auf einmal Worte, Melodien und Rhythmen wie von selbst über Zunge und Finger.
Josquin, dachte Tim, zieh dich warm an. Jetzt kommt Tim, der Spielmann.
Leider war das Wetter sehr wechselhaft. Immer, wenn sich die Sonne gerade wieder zeigte und Tim auf den Marktplatz trat, dauerte es keine Minute, bis er Spiel und Gesang unterbrechen musste, weil ein Platzregen hereinbrach. Der April, dachte Tim, macht wirklich was er will. Zum Glück gab ihm eine Marketenderin in ihrem Planwagen Unterschlupf und nahm ihn ein Stück mit.
Sie sei auf dem Weg nach Kurland, wo sich ein Krieg zwischen Schweden und Polen abzeichne und ein gutes Geschäft verspreche. Tim schrubbte über die Saiten und sang, und die dralle Marketenderin trieb mit schnalzender Zunge die beiden Pferde an. Kurz hinter Wernigerode bremste sie die Pferde.
»Wenn du deine Zunge so gerne gebrauchst, solltest du es vielleicht zwischen meinen Schenkeln tun«, sagte sie und lüpfte den Rock. Zwischen Pfannen und Töpfen, Säcken voll Mehl, Grieß und Rüben, zwischen Kräutern und Krügen spreizte sie die Beine und ließ Tim, nachdem er sie nicht weniger als zweimal mit der Zunge zum Höhepunkt gebracht hatte, mit drei, vier und fünf Fingern ihre Möse untersuchen.
»Landsknechte«, keuchte sie, als ihr Tim seine Hand bis weit über das Handgelenk hinein schob, »haben immer so große Musketen. Das schafft Platz in meiner Möse.«
Tim, dessen Magen lauter knurrte als die Pferde wieherten, griff sich mit der freien Hand einen Apfel aus einem Korb und massierte der lustvoll Zeter und Mordio rufenden Marketenderin die heißen Tiefen ihrer erfahrenen Möse. Zuckend kam sie ein drittes und viertes Mal, und der Spielmann schwor sich, darüber ein Lied zu verfassen, das noch Generationen später allen Zuhörern die Augen feucht werden lassen sollte.
Als sie sich anschließend hinkniete und Tim seine Flöte in ihren mit einem großzügigen Stück Butter gefetteten Hintereingang schob, stopfte er sich ein herzhaften Stück Brot hinterher und dazu noch ein Stück kalten Schweinebraten. So hatte er sich das Leben als Spielmann vorgestellt. Sex, Dauerwurst und Motetten.
»Dieses Instrument beherrschst du wirklich meisterhaft«, grölte die Marketenderin bei jedem Stoß, den Tim zwischen ihren drallen Backen ausführte. Dabei schob sie sich einen strammen Rettich tief in die Möse. So viel Unersättlichkeit hatte Tim noch nie erlebt. Lustvoll biss er in eine Karotte und spritzte ihr in den Arsch.
Bei einer ausgedehnten Mahlzeit erzählte ihm die Marketenderin vom letzten Grafen der Blankenburger, der wieder auf Regenstein thronte, seit Gräfin Margarethe zusammen mit ihren Kindern an der Pest gestorben war. Sie berichtete Tim, der Graf sei schwermütig geworden, weil das Geschlecht auszusterben drohte.
Seit Jahren habe er nicht mehr gelacht, Unterhaltung sei ihm ein Fremdwort geworden, er hocke trübsinnig in seiner Felsenburg und warte angeblich auf den Tod. Das wisse sie, weil sie dem Grafen vergeblich ihre Dienste angeboten habe.
Die Gelegenheit, sich ein paar Taler zu verdienen, dachte Tim. Am nächsten Morgen trennten sie sich. Die Marketenderin hatte ihren Wagen zurück auf die Straße gen Nordosten gelenkt, und Tim hatte sich auf den Weg nach Südwesten, in Richtung Blankenburg gemacht.
Die Erinnerung an die letzten drei Tage tat gut. Tim hüpfte wieder vor Vergnügen und stapfte mit seinen Stulpenschuhen von Pfütze zu Pfütze, bis die Feder an seinem Hut wippte. Eine solche Gitarre war von Anfang an sein Wunsch gewesen.
Tim nahm das Instrument vom Rücken und zupfte die Saiten. »Und nun eine Hymne«, sagte er zu sich selbst. »Auf mich.«
Also griff er in die Saiten und spielte, bewegte selbstvergessen seine Finger.
» Dreeeeh dich nicht uuuuuum, ohohohoooo, der Spieeeelmann, der geht uuuuum, ohohohooo .«
Kurz darauf brach von der Seite her aus ein Wolf aus dem Unterholz. Keuchendes Knurren und asthmatisches Rasseln begleiteten das Tier, das langsam auf den Weg trottete. Müde Augen waren in Wahrheit ein taxierender Blick, der Blick vor dem Sprung, der Sprung vor dem Knurren, das Knurren vor dem Aufreißen des Mauls voller spitzer Zähne.
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